Der Unterschied zwischen einer chinesischen Reisegruppe und antijapanischen Demonstranten scheint verschwindend gering, zumindest an diesem Dienstagnachmittag, als zwei Dutzend Menschen einer Frau folgen, die eine kleines rotes Fähnchen schwenkt. Schnell bewegt sich die Gruppe auf einen Kordon Militärpolizei zu. Frau und Militärpolizist wechseln ein paar Worte, die Soldaten gehen zur Seite und die Gruppe bewegt sich in Richtung Konsulat. Das Areal um das japanische Konsulat in Shanghai ist weiträumig abgesperrt. Leere Busse stehen in den Einfallstraßen, die anscheinend die Demonstranten rechtzeitig an Ort und Stelle gebracht haben, um den Japanern den chinesischen Volkszorn vor Augen zu halten.
Die "Mutter aller antijapanischen Demonstrationen", wie es ein von Westlern verfasstes Internet-Blog befürchtete, dürfte so nicht aussehen. Eher wirkt das, als handle es sich um ein wohl orchestriertes Spektakel.
Doch ganz so niedlich ist der Protest nicht überall. Japanische Unternehmen, darunter Elektronikhersteller wie Sony, Mitsubishi Electric und die Autohersteller Honda, Toyota, Suzuki und Nissan schickten ihre Arbeiter nach Hause. Einige Demonstranten riefen unterdessen zum Boykott japanischer Waren auf. Viele der 60000 Japaner in Shanghai haben Angst, auf der Straße erkannt zu werden.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
China und Europa sind voneinander abhängig. Das Reich der Mitte wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer aufsteigen und damit die USA überholen. Umgekehrt ist die Europäische Union der größte Abnehmer chinesischer Ausfuhren. Beide Seiten handeln jeden Tag mit Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Nach einem Zuwachs von 37 Prozent 2010 stiegen die europäischen Ausfuhren nach China im vergangenen Jahr von Januar bis November um 21 Prozent auf 124 Milliarden Euro. Deutschland hat mit deutlichem Abstand und knapp der Hälfte der EU-Ausfuhren nach China den größten Anteil daran, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. 60 Prozent der EU-Ausfuhren waren Maschinen und Fahrzeuge.
Während die 27 EU-Länder im Jahr 2010 rund 19,8 Millionen Autos produzierten, waren es in China nicht viel weniger: rund 18,3 Fahrzeuge.
Die Importe aus China kletterten nach einem Anstieg von 31 Prozent 2010 im vergangenen Jahr bis November um weitere fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 244 Milliarden Euro. Seit Jahren gibt es ein großes europäisches Defizit im Handel mit China, das 2010 noch bei 168 Milliarden Euro lag. Aus diesem Überschuss sammelt China die Euros in seinen weltgrößten Devisenreserven im Wert von insgesamt 3,18 Billionen US-Dollar an. Rund ein Viertel sollen Euros sein.
Während die Leistungsbilanz der 27 EU-Länder im vergangenen Jahr bei minus 24 Milliarden Euro lag, konnte China einen deutlich positiven Saldo von 258 Milliarden Euro verbuchen. Auch das BIP der Chinesen war 2011 mit 12.900 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch wie das BIP der EU (5100 Milliarden Euro).
Die Wirtschaftskooperation zwischen Europa und China ist rasant gewachsen. Doch beklagen europäische Unternehmen in China schlechten Marktzugang, ungleiche Wettbewerbsbedingungen, mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheiten.
Schlechter Schutz des geistigen Eigentums ist unverändert ein großes Problem. Sieben von zehn in China tätigen europäischen Unternehmen wurden nach eigenen Angaben schon Opfer von Urheberrechtsverletzungen mit teils erheblichen Verlusten. Mehr als die Hälfte aller Raubkopien, die der Zoll in Europa sicherstellt, stammt aus China.
Die 27 EU-Staaten zählen mit 7,1 Milliarden Euro 2010 zu den fünf wichtigsten Investoren in China - neben Taiwan, Hongkong, USA und Japan. Rund 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in China stammen aus Europa. China investiert aber nur sehr zögerlich in Europa. Zwar stiegen die chinesischen Investitionen 2010 von 0,3 auf 0,9 Milliarden Euro, doch stammen nur 1,7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Europa aus China.
Bei Bedarf dreht China den Hahn auf
Chinas Regierung köchelt seine außenpolitischen Probleme gerne auf niedriger Flamme. Das hat den Vorteil, bei Bedarf den Hahn aufzudrehen und hier und da eine eindrucksvolles Feuer zu entfachen. Streitpunkte mit Nachbarländern gibt es genug. Mit Indien ist der Status mehrerer Grenzgebiete unklar, mit den Philippinen und Vietnam streitet man sich um die Paracel- und Spratly-Inseln im südchinesischen Meer.
Mit Erzfeind Japan zankt man sich seit Jahren um die Diaoyu- bzw. Senkaku-Inseln nördlich von Taiwan. Seine Finger mit im Spiel hat dabei, laut den Staatsmedien, natürlich stets der große Rivale USA, der China den Aufstieg zur Weltmacht missgönnt. In regelmäßigen Abständen berichtet die staatlich kontrollierte Presse darüber, wie die Nachbarländer unter dem Schutz der USA versuchen, sich chinesisches Territorium unter den Nagel zu reißen. Gleichzeitig wird von staatlicher Stelle immer wieder versichert, der Aufstieg Chinas sei ein friedlicher. "Nationalismus ist neben Wohlstand für die Bevölkerung die zweite Legitimation für die Partei", sagt Richard McGregor, langjähriger Korrespondent und Autor des Buches "The Party".
Der Konflikt eskalierte, als Japan am 11. September bekannt gab, die Inseln dem Privateigentümer abzukaufen, sie also quasi zu verstaatlichen. Nicht gerade ein Schachzug, der zur Entspannung beitrug. Doch dass gerade jetzt überall im Land Demonstranten vor japanische Geschäfte und Konsulate ziehen und rote Fahnen schwenken, nützt vor allem der Partei. Im Oktober findet der 18. Parteitag statt, auf dem Xi Jinping als Nachfolger von Präsident Hu Jintao bekannt gegeben wird, und eine neue Generation die Führung des Landes übernimmt. Fünf solcher Wechsel hat es seit Gründung der Volksrepublik gegeben, nur einer verlief friedlich. Gleich mehrere Peinlichkeiten beschäftigten in den letzten Wochen die chinesischen Internet-Nutzer.