Streit zwischen Österreich und Italien Säbelrasseln am Brenner

Österreich droht damit, die Grenze am Brenner mit Soldaten zu kontrollieren. Dabei gibt es dort derzeit kaum Flüchtlinge. Italien reagiert erbost, Österreichs Bundeskanzler Kern versucht, die Wogen zu glätten.

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„Yes to Europe – No to Borders“ hatten Demonstranten am Grenzübergang zwischen Österreich und Italien bereits im April 2016 auf den Asphalt geschrieben. Quelle: dpa

Wien Drohende Grenzkontrollen mit österreichischen Soldaten und Panzern am Brenner haben zu einer Verstimmung zwischen Wien und Rom geführt. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) versuchte in einem ausführlichen Telefonat mit seinem Amtskollegen Paolo Gentiloni, die Irritationen der vergangenen Tage aus dem Weg zu räumen. Am Mittwochnachmittag betonte Kern zusammen mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), dass am Brenner weder Soldaten noch militärisches Gerät im Einsatz seien.

„Wir haben keine Anzeichen, dass die italienischen Behörden die Situation nicht im Griff haben“, sagte der SPÖ-Politiker am Mittwoch. Es sei lediglich ein „Notfallplan“ erstellt worden, um eine Situation wie 2015 zu vermeiden, als Tausende Migranten unkontrolliert die österreichische Grenze passierten.

Sollte die Lage es in Zukunft verlangen, könnten die notwendigen Entscheidungen zur Einführung temporärer Grenzkontrollen schnell gefasst und umgesetzt werden. „Für den Fall, dass sich die Situation weiter zuspitzt, müssen wir aber vorsorgen“, sagten Kern und Doskozil. „Denn eines ist für uns klar: eine Situation wie im Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen.“ Derzeit bestehe keine Notwendigkeit, temporäre Kontrollen an der Grenze zu Italien einzurichten, wie sie beispielsweise an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien bestehen.

Die österreichische Regierung will mit dem Notfallplan den unkontrollierten Zustrom von Migranten wie im Spätsommer 2015 verhindern. Damals strömten Tausende von Ungarn und Slowenien nach Österreich und reisten größtenteils weiter nach Deutschland.

Das ohnehin nicht besonders gute Verhältnis zwischen Österreich und Italien hat mit dem Streit einen neuen Tiefpunkt erreicht. Italien bestellte bereits am Dienstag den österreichischen Botschafter in Rom ein, nachdem der österreichische Verteidigungsminister Doskozil mit der Entsendung von Soldaten an den Brenner gedroht hatte. „Es gibt überhaupt keine Notsituation am Brenner“, sagte Italiens Innenminister Marco Minniti in Rom. „Diese ungerechtfertigte und beispiellose Initiative wird unausweichlich Konsequenzen haben bei der Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik beider Länder.“ Es sei das Gleiche wie im vergangenen Jahr. Damals hatten die Österreicher erst eine Mauer am Brenner errichten wollen und dann eingesehen, dass es nicht notwendig war, weil kaum ein Flüchtling kam.

Im Fernsehen berichten Reporter von der italienisch-österreichischen Grenze, dass in der Tat auch jetzt keine Flüchtlinge zu sehen seien. „Wir haben in den vergangenen sechs Monaten nicht mehr als zehn Flüchtlinge am Tag gehabt“, sagt Luca Critelli von der Provinz Bozen.

Die rechtspopulistische Opposition in Österreich sprach am Mittwoch von „Chaos“. FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache bezeichnete das Verhalten der Wiener Regierung als „peinlich und beschämend“. Zuerst werde Verteidigungsminister Doskozil vorgeschickt, um den starken Mann zu markieren, aber kaum übe Italien Kritik an einer Kontrolle, knicke Bundeskanzler Kern ein und pfeife seinen Minister zurück.

In Norditalien wird die Rhetorik in Wien als Wahlkampfgetöse interpretiert. Arno Kompatscher, Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Südtirol, sieht die Ursache für die drohenden Grenzkontrollen am Brenner im „Wahlkampfklima in Österreich.“ Auch der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi vertritt diese Meinung.

Österreich wählt am 15. Oktober in vorgezogenen Neuwahlen eine neue Regierung. Die Flüchtlingspolitik ist das wichtigste Wahlkampfthema, mit dem insbesondere Außenminister und Kanzlerkandidat Sebastian Kurz (ÖVP) bei den Wählern punktet. Der konservative Spitzenkandidat liegt nach letzten Meinungsumfragen deutlich vor Bundeskanzler Kern. Unter ihrem neuen Parteichef Kurz ist die ÖVP laut Umfragen die stärkste Partei. Die Konservativen kommen derzeit auf 32 Prozent. Die SPÖ mit dem amtierenden Bundeskanzler Kern auf 28 Prozent und die rechtspopulistische FPÖ auf 25 Prozent.

Als „unerträgliche Polit-Show“ geißelte der CSU-Europapolitiker Bernd Posselt, Präsident der überparteilichen Paneuropa-Union Deutschland, am Mittwoch die mögliche Entsendung österreichischer Panzer an den Brenner. Das Flüchtlingsproblem könne nicht dadurch gelöst werden, dass man diese Menschen einfach über Südtirol und die anderen italienischen Regionen verteile und sich vor substanziellen Hilfestellungen für Rom drücke.

Für Italien kommt der verbale Aufmarsch der Österreicher zur Unzeit. Gerade erst hat das Land es geschafft, die europäische Öffentlichkeit auf das Flüchtlingsproblem aufmerksam zu machen – mit der Drohung, die italienischen Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen zu sperren, die nicht unter italienischer Flagge, der von Frontex oder der europäischen Mission „Sophia“ fahren. Das Thema Flüchtlingspolitik steht nun ganz oben auf der Tagesordnung des EU-Innenministertreffens am Donnerstag in Tallin.

Doch ein Erfolg der Runde ist nicht selbstverständlich. Frankreich und Spanien haben bereits signalisiert, dass sie ihre Häfen nicht für Schiffe von Hilfsorganisationen öffnen werden. Und die östlichen EU-Mitgliedsstaaten sperren sich seit langem gegen den vereinbarten Verteilungsschlüssel. Da ist das Säbelrasseln der Österreicher nur ein Problem mehr.

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