Sturz des Ministerpräsidenten Die Politikkrise in Armenien bringt ein wenig mehr Distanz von Russland

Die Opposition greift in Armenien nach der Macht. Der Umsturz könnte weitreichende Folgen für die Beziehungen zu Moskau und Brüssel haben.

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Der Oppositionsführer Paschinjan (M) bei einem Protest. Morgen könnte er zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden. Quelle: dpa

Moskau Nach wochenlangen Protesten steht die Opposition in Armenien kurz vor dem Ziel: Der Machtwechsel in Eriwan könnte am 1. Mai real werden, wenn der Anführer der Proteste Nikol Paschinjan im Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Am Montag wurde er von seiner Partei „Elk“ („Ausweg“) für den derzeit vakanten Posten nominiert. Zwei weitere Fraktionen wollen für ihn stimmen.

Doch allein diese Unterstützung reicht Paschinjan nicht, da die regierende „Republikanische Partei“ über die Mehrheit der 105 Sitze verfügt. Doch die Republikaner sind nach dem Sturz ihres Parteichefs, des langjährigen armenischen Präsidenten Sersch Sargsjan geschwächt.

„Geordnete Wahl am 1. Mai“

Fraktionschef Bagram Bagdasarjan kündigte an, dass seine Partei einem Einheitskandidaten der übrigen politischen Kräfte keine Steine in den Weg legen werde. „Wir haben außerdem dazu aufgerufen und vorgeschlagen, die öffentliche Ordnung nicht zu stören, die Straßenblockaden und Meetings zu beenden, damit wir geordnet an die Wahl am 1. Mai gehen können“, fügte er hinzu.

Paschinjan will den Druck auf das Parlament allerdings aufrecht erhalten und hat auch für den Tag der Abstimmung im Parlament weitere Straßenproteste angekündigt. Für die außenpolitische Orientierung Armeniens, aber auch für den Konflikt um die Region Berg-Karabach könnte der Wechsel gravierende Folgen haben.

Kreml blickt argwöhnisch auf Armenien

Bislang haben Russland und die USA den Machtkampf in Armenien sehr zurückhaltend kommentiert. Moskau hatte den Abtritt Sargsjans, der eigentlich mit dem Umbau der Verfassung hin von einer präsidialen zu einer parlamentarischen Republik seine Macht konservieren wollte, ruhig aufgenommen.

Als Präsident hatte Sargsjan eine Doppelstrategie betrieben. Einerseits war Armenien unter ihm der russisch dominierten Eurasischen Union beigetreten, andererseits hatte das Land parallel dazu, auch Verhandlungen mit Brüssel über die östliche Partnerschaft weitergeführt.

Das war im Kreml mit Argwohn betrachtet worden. Die politische Agenda Paschinjans kann der russischen Führung allerdings noch viel weniger gefallen. Zwar wird im russischen Fernsehen immer wieder betont, dass die armenische „samtene Revolution“ nur innere Ursachen habe. Parallelen zum Sturz Viktor Janukowitschs in der Ukraine sind aber nicht zu übersehen.

Journalist als künftiger Regierungschef

Zudem sind Paschinjans Äußerungen in der Vergangenheit kein Anlass für großen Optimismus in Moskau: Der 42-Jährige hatte den Beitritt Armeniens zur Eurasischen Union scharf kritisiert. Dieser sei „nicht freiwillig, sondern erzwungen“ erfolgt, erklärte er. Das Verhältnis zwischen Russland und Armenien charakterisierte er als das von „Sprecher und Zuhörer“.

Der gelernte Journalist gilt als Liberaler. Er wurde schon zweimal wegen politisch motivierter Delikte verurteilt – einmal wegen angeblicher Verleumdung eines politischen Kontrahenten, ein zweites Mal wegen der Anstiftung zu Massenunruhen, die Armenien nach der Wahl Sargsjans 2008 erfassten. Die von ihm geführte Partei „Ausweg“ will Verhandlungen mit der EU über ein Freihandelsabkommen neu aufnehmen.

Schwache Position im Parlament

Paschinjan kann allerdings auch nach seinem wahrscheinlichen Antritt als Ministerpräsident nicht nach eigenem Gutdünken regieren. Im Parlament ist seine Position weiterhin schwach, auch wenn Paschinjan auf schnellstmögliche Neuwahlen drängt, um seinen Sieg auf der Straße in Abgeordnetensitze umzumünzen.

Doch auch dabei muss Paschinjan auf gewisse Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen. Armenien gilt traditionell als russlandverbunden, die armenische Wirtschaft ist stark von Russland abhängig, auch wenn zugleich die USA größter Kreditgeber des Kaukasusstaats ist.

Auch die armenische Diaspora in Russland ist zahlenmäßig sehr groß. Viele armenisch-stämmige Unternehmer in Russland finanzieren Projekte in ihrer Heimat. Einen Bruch mit Russland wolle er nicht, sagte Paschinjan daher zuletzt. „Was den geopolitischen Faktor betrifft, so geht aus den Äußerungen Paschinjans hervor, dass er wie die Mehrheit der armenischen Politiker erzwungenermaßen Realist ist“, meint der Moskauer Politologe Fjodor Lukjanow.

Anhaltender Konflikt um Berg-Karabach

Der Experte verweist darauf, dass der orthodox-christliche Kaukasusstaat gleich von zwei potenziellen Feinden umgeben sei. Auf der einen Seite die Türkei, auf der anderen Seite Aserbaidschan, mit dem sich Armenien um die Region Berg-Karabach streitet. Ein Konflikt, der seit über 25 Jahren immer wieder auch militärisch ausgetragen wird.

Ohne russische Hilfe wäre Armenien wohl nicht in der Lage, die vorwiegend von Armeniern bewohnte, aber zu Sowjetzeiten Aserbaidschan zugeschlagene Region, zu halten.

Diese Drohkulisse dürfte Moskau auch bei den weiteren Verhandlungen über die künftigen Beziehungen aufbauen. Eine zu starke Orientierung der neuen armenischen Führung auf den Westen könnte fatale Folgen für Armenien haben. Die Beispiele Georgien, Moldawien und Ukraine, die allesamt faktisch die Kontrolle über einen Teil ihres Territoriums verloren haben, sind den Armeniern in bester Erinnerung.

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