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S&P, Moody's, Fitch EU will Ratingagenturen an die Kette legen

EU-Finanzmarktkommissar Barnier nimmt erneut Anlauf: Er will viel strengere Regeln für die Bonitätsprüfer. Die Rating-Riesen laufen Sturm - dabei wird der Franzose ihnen die größte Bürde wahrscheinlich ersparen.

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Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte zuletzt mit einer unabsichtlichen Herabstufung Frankreichs für Aufsehen gesorgt. Quelle: dapd

Brüssel Michel Barnier ließ seiner Empörung freien Lauf. „Dieser Vorfall ist schwerwiegend“, tobte der EU-Finanzmarktkommissar Ende vergangener Woche. Standard & Poor's, die größte Ratingagentur der Welt, hatte Frankreich seine Topnote, das dreifache A, aus Versehen aberkannt. Als der Irrtum zwei Stunden später entdeckt und korrigiert wurde, waren die Kurse französischer Staatsanleihen bereits in den Keller gesackt. „Das alles bestärkt mich in der Auffassung, dass Europa eine strikte und unerbittliche Regulierung der Ratingagenturen beschließen muss“, erklärte Barnier.

Auch die österreichische Finanzministerin Maria Fekter hat strengere Vorschriften für Ratingagenturen gefordert: Fehler wie jüngst mit der versehentlich veröffentlichten Herabstufung Frankreichs dürften nicht passieren. „All das hat zu Irritationen geführt, die eine Last für Länder geworden sind, und ich denke, dass es richtig ist, dies einzudämmen“, sagte die Ministerin in einem Radio-Interview.

Barnier wird seine Worte heute in Taten umsetzen und neue Regeln für die Bonitätsprüfer vorschlagen. Es ist bereits Barniers dritte Verordnung für die Branche seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 - und die mit Abstand härteste. Die politische Führung der EU ist schwer verärgert über die Ratingagenturen. Immer wieder stuften sie die Papiere hochverschuldeter Euro-Staaten herab und empörten die betroffenen Regierungen dabei mit einem unsensiblen Timing.

Die schlechten Noten kamen häufig ausgerechnet dann auf den Tisch, wenn das betroffene Land gerade ein schmerzliches Sparprogramm beschlossen hatte, um seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Dass es ihnen öfter an politischem Fingerspitzengefühl mangelte, geben führende Vertreter der Ratingagenturen mittlerweile selber zu. Die neuen Regeln von Kommissar Barnier halten sie gleichwohl für maßlos übertrieben.

Seit Wochen laufen Topmanager von Standard & Poor's, Moody's und Fitch in Brüssel Sturm gegen das Regelwerk. Doch die 27 EU-Kommissare werden den von Barnier vorgelegten Entwurf heute weitgehend unverändert beschließen. Er enthält folgende Kernelemente:

- Rotation: Eine Agentur darf ein Wertpapier beziehungsweise einen Emittenten nur noch maximal drei Jahre lang benoten. Die Frist reduziert sich auf ein Jahr, wenn die Agentur „mehr als zehn Schuldtitel des Emittenten in Folge benotete“. Danach beginnt eine "Abkühlungsperiode" von vier Jahren. Während dieser Zeit darf der vorher führend für die Benotung eines Wertpapiers zuständige Analyst nicht zu diesem Produkt zurückkehren. Das gilt auch dann, wenn der Analyst zwischenzeitlich zu einer anderen Ratingagentur gewechselt ist.

- Gesellschafter: Die EU-Kommission will die Eigentümer der Ratingagenturen strikt voneinander trennen. Das bedeutet, dass ein Gesellschafter nicht Anteile an zwei Agenturen halten darf. Das trifft zum Beispiel die US-Gesellschaft Capital Group, die Anteile von Standard & Poor's und von Moody's besitzt. Damit will Barnier verhindern, dass das Oligopol der drei weltweit führenden Ratingagenturen immer enger zusammenwächst.

- Analysemethodik: Die Agenturen müssen ihre Bewertungsmodelle von der EU-Börsenaufsicht ESMA genehmigen lassen. Die Genehmigung erhalten sie nur dann, wenn sie bestimmte von der ESMA entwickelte Bewertungsstandards einhalten. Damit reagiert Barnier auf Zweifel der Regierungen an den Bewertungskriterien der Agenturen.

- Haftung: Die Ratingagenturen sollen künftig für Schäden haften, die Investoren wegen grob fahrlässig verursachter Bewertungsfehler entstehen. Die Mitgliedstaaten sollen entsprechende Bestimmungen in ihr nationales Zivilrecht aufnehmen.


Ein Verbot von Staaten-Ratings ist wahrscheinlich vom Tisch

Bei Staatsanleihen wollte Barnier eigentlich besonders drastisch vorgehen, stieß damit innerhalb der EU-Kommission allerdings auf Widerstand. Bis zuletzt strittig war das Vorhaben, die Veröffentlichung neuer Noten von Staatsanleihen „in außergewöhnlichen Situationen“ vorübergehend zu verbieten. Barnier hielt dies für nötig, wenn „die Stabilität des ganzen Finanzsystems oder Teilen davon unmittelbar bedroht ist“, heißt es in seinem Entwurf.

Doch andere Kommissare warnten: Ein Publikationsverbot könne das Gegenteil des erwünschten Effekts haben und Panik am Markt auslösen. Wahrscheinlich werde sich Barnier in diesem Punkt nicht durchsetzen, hieß es gestern in Kommissionskreisen. Barnier hatte alternativ dazu vorgeschlagen, die Benotung der Euro-Staaten zu verbieten, die Kredite von der Euro-Zone und vom IWF erhalten. Das betrifft derzeit Griechenland, Portugal und Irland. Dieses Vorhaben finde bei den anderen EU-Kommissaren mehr Verständnis, hieß es in Brüssel.

- Aufsichtsrecht: Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass sich Banken und andere institutionelle Investoren nicht blind auf externe Ratings verlassen, sondern mehr auf die eigene Analyse setzen. Die Bestimmungen in den EU-Eigenkapitalvorschriften für Banken (CRD IV), Versicherungen (Solvency II) sowie Investmentfonds sollen entsprechend geändert werden.

- Offenlegung: Die Ratingagenturen werden verpflichtet, alle Noten an die EU-Börsenaufsicht weiterzuleiten. Die ESMA listet die Ratings je Finanzprodukt in einem Index auf, so dass Anleger die Noten leichter vergleichen können.

Mit der Vorlage der neuen Verordnung beginnt am Dienstag das - in der Regel langwierige - EU-Gesetzgebungsverfahren. Der EU-Finanzministerrat und das Europaparlament müssen der Verordnung mehrheitlich zustimmen, bevor sie in Kraft treten kann. Die Ratingagenturen haben also noch Möglichkeiten, auf das Endergebnis Einfluss zu nehmen.

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