




Zynisch schaut es aus, dieses Spiel auf Zeit von Barack Obama. Der US-Präsident macht eine Intervention in Syrien von einer Entscheidung des Kongresses abhängig – und die folgt frühestens am 9. September, wenn das Parlament aus den Ferien zurückkehrt. Regimegegner in Syrien sind bestürzt über das Zögern: Jeden Tag kostet der hässliche Krieg des Assad-Regimes gegen die eigene Bevölkerung neue Menschenleben. Die Summe der Toten soll bis dato bei mehr als 110.000 liegen.
Zuletzt waren es die Bilder der Giftgas-Opfer in sauber aufgereihten Leichensäcken, die die Fernsehzuschauer erschütterten. Mehr als 1300 Unschuldige sollen bei einem Angriff mit chemischen Waffen getötet worden sein. Wie kann Barack Obama jetzt noch Zögern? Geben die USA ihre Rolle als Verteidiger der Menschenrechte ausgerechnet in einem der blutigsten Kriege der letzten Jahrzehnte auf?
Aller Dramatik zum Trotz – der Westen ist gut beraten, den Waffengang in Syrien nicht zu überstürzen. Es fehlt an Informationen über die Lage der Opposition, es gibt keinen Plan für die Zeit nach einer Intervention, jeder Militärschlag wäre ein Schuss ins Blaue. Der Zwang zu plan- und maßvollem Vorgehen rechtfertigt das Zögern des Westens, nicht die Zweifel an der Urheberschaft der Aggression Assads, die insbesondere Russland sät.
Wie notwendig Umsicht ist, zeigt das Beispiel Afghanistan. Hier ist der Westen auf Drängen von US-Präsident George W. Bush 2001 ziel- und planlos einmarschiert, um das brutale Taliban-Regime zu stürzen. Was zwar in kürzester Zeit gelang, doch Frieden herrscht bist heute nicht am Hindukusch: Es fehlte von Anfang an ein Plan für die Stabilisierung. Zwölf Jahre und geschätzte 30.000 Tote später steht die Koalition vor dem Rückzug aus einem anarchischen Land, das zum großen Teil wieder unter der Kontrolle der Taliban steht.
Für Afghanistan gab es von Anfang an sehr unterschiedliche Konzepte des „Peace keeping“: Die Deutschen wollten zunächst nur Schulen bauen und mit den Afghanen kumpeln, aber bloß nicht schießen. Die Amerikaner wollten Terroristen töten und suchten keine Freunde in der Zivilbevölkerung. Innerhalb der Nato-Koalition änderten die Krieg führenden Verbände immer wieder ihre Strategien, einen stimmigen Plan zur Demilitarisierung, Stabilisierung und Demokratisierung gab es nie. Und wenn, dann hatte jeder seinen eigenen.
Ein miserabel vorbereiteter Krieg ist das schlimmste, was Militär und Zivilbevölkerung passieren kann – weil er sich im Zweifel über Jahre zieht. In Syrien darf sich ein Debakel wie in Afghanistan nicht wiederholen. Darum ist ein hohes Maß an Abstimmung innerhalb des wohl intervenierenden Westens erforderlich, vor allem aber auch mit der Opposition. Die mag zwar vereint sein in der Gegnerschaft zum Assad-Regime, doch eine homogene Gruppe sind die Gegner des syrischen Diktators keineswegs. Gut möglich, dass auf einen chirurgisch gedachten Luftschlag eine Intervention mit Bodentruppen folgen muss, wenn die heterogene Opposition eines Tages gegeneinander kämpft und das geopolitisch exponierte Syrien im Chaos versinken lässt.
In Berlin empfängt heute Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) den Vorsitzenden der Nationalen Koalition der syrischen Opposition. Solche Treffen sind wichtig, denn auch die Syrer sind in der Bringschuld, wenn sie eine Attacke der Nato herbeisehnen: Sie müssen einen schlüssigen Plan vorlegen, wie sie in Syrien in einer möglichen Zeit nach Baschar al-Assad zu Sicherheit und Stabilität verhelfen wollen.