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Syrien Bittere Lehren aus Afghanistan

Der Westen ist gut beraten, eine Attacke auf Syrien nicht zu überstürzen, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Dieser Einsatz ist zu einer „Mission impossible“ geworden, weil es nie einen klaren Plan für die Zeit nach dem Waffengang gab.

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So steht die Welt zu einem Angriff auf Syrien
Die drei westlichen Vetomächte im Weltsicherheitsrat haben deutlich gemacht, dass sie auch ohne UN-Mandat gegen Syrien handeln könnten. In dem seit mehr als zwei Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieg mit über 100.000 Toten hatte Obama einen Giftgaseinsatz als „rote Linie“ bezeichnet. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag laufen dementsprechend auf Hochtouren. Ein Bericht von Inspektoren der Vereinten Nationen, die prüfen sollen, ob es einen solchen Angriff von Seiten des Assad-Regimes gab, steht noch aus. Quelle: dpa
Die USA seien zu dem Schluss gekommen, das Assad-Regime sei für den Einsatz chemischer Waffen gegen die Bevölkerung verantwortlich. „Und wenn das so ist, müssen internationale Konsequenzen folgen“, sagte US-Präsident Barack Obama. Die Opposition hätte die Angriffe nicht ausführen können. Mehrere ranghohe US-Regierungsmitglieder hatten bereits zuvor klar gemacht, dass für sie das syrische Regime schuld an dem Angriff ist. Die USA treffen derzeit Vorbereitungen für eine mögliche militärische Reaktion. Obama erwähnte die mögliche Gefahr, die von Syrien für die USA ausgehe. Doch eine Entscheidung, wie die USA handeln werden, habe er noch nicht getroffen, sagte Obama. Der Auswärtige Ausschuss des US-Senats hat sich am 4. September (Ortszeit) für einen Militärschlag gegen Syrien ausgesprochen. Mit zehn zu sieben Stimmen gab er Präsident Barack Obama grünes Licht für einen Einsatz in dem Bürgerkriegsland. Das Votum ebnet den Weg für eine Abstimmung im gesamten Senat, mit der in der kommenden Woche gerechnet wird. Quelle: dpa
Die britische Regierung von Premierminister David Cameron rückt nun gezwungenermaßen von ihrer harten und USA-treuen Linie ab: Cameron hat eine Abstimmung im Parlament zu einem möglichen Militäreinsatz in Syrien verloren. Das Unterhaus lehnte am Donnerstagabend militärische Schritte mit 285 zu 272 Stimmen ab. In einer ersten Stellungnahme nach der Abstimmung sagte Cameron, es sei ihm klar, dass das britische Volk keine Militäraktion sehen wolle. "Das habe ich verstanden und die Regierung wird entsprechend handeln." Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief Russland und China am 29. September auf, im UN-Sicherheitsrat eine gemeinsame Haltung mit dem Westen zu suchen. Nach einem Telefonat Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hieß es, beide seien sich einig, dass es für Syrien nur eine politische Lösung geben könne. Deutschland besteht jedoch auch auf „Konsequenzen“, sollte bewiesen werden, dass das Assad-Regime für den Giftgaseinsatz mit Hunderten Toten verantwortlich sei. In einem Telefonat mit Obama sprach sich Merkel dafür aus, dass die Ergebnisse der UN-Untersuchung im Sicherheitsrat behandelt werden. Laut ZDF-„Politbarometer“ lehnen 58 Prozent der Deutschen einen Militärschlag ab. Quelle: dpa
Frankreichs Präsident François Hollande schreckt bislang vor einem möglichen Intervention in Syrien zurück - auch wenn seine Streitkräfte bereit stehen, wie das Verteidigungsministeriums mitteilte. Wichtig sei eine politische Lösung im Syrien-Konflikt, betonte Hollande nach einem Treffen mit dem syrischen Oppositionsführer Ahmad al-Dscharba in Paris. Diesem habe er alle Unterstützung Frankreichs zugesagt, neben politischer auch humanitäre und materielle Hilfe, erklärte Hollande. Quelle: dpa
Ein Militärschlag gegen Syrien würde nach Einschätzung des Irans zu einer Katastrophe im Nahen Osten führen. „Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, eine amerikanische Militärintervention in Syrien würde daher zu einer Katastrophe ohne absehbares Ende führen“, sagte Irans oberster Führer, Ajatollah Ali Chamenei. Der Israel-feindliche Iran ist der wichtigste regionale Verbündete der syrischen Führung. Er hat den syrischen Rebellen vorgeworfen, hinter dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff zu stecken. Quelle: dpa/dpaweb
Dementsprechend will auch der iranische Präsident, Hassan Ruhani, eine Intervention in Syrien verhindern. Eine Militäraktion brächte hohe Kosten für die Region mit sich, sagte Ruhani. Es müsse alles notwendige getan werden, um dies zu verhindern. Sollte es zu einem ausländischen Militärschlag kommen, wäre dies eine „offene Verletzung“ des Völkerrechts, so Ruhani. Er warnte, „engstirnige Entscheidungen“ würden weltweit nur zu mehr Extremismus und Terrorismus führen. Ein militärisches Abenteuer im Nahen Osten würde nicht nur die Stabilität der Region, sondern auch die der ganzen Welt gefährden. Die Menschen weltweit hätten keinerlei Interesse an einem weiteren Krieg im Nahen Osten, so der Präsident. Quelle: dpa

Zynisch schaut es aus, dieses Spiel auf Zeit von Barack Obama. Der US-Präsident macht eine Intervention in Syrien von einer Entscheidung des Kongresses abhängig – und die folgt frühestens am 9. September, wenn das Parlament aus den Ferien zurückkehrt. Regimegegner in Syrien sind bestürzt über das Zögern: Jeden Tag kostet der hässliche Krieg des Assad-Regimes gegen die eigene Bevölkerung neue Menschenleben. Die Summe der Toten soll bis dato bei mehr als 110.000 liegen.

Zuletzt waren es die Bilder der Giftgas-Opfer in sauber aufgereihten Leichensäcken, die die Fernsehzuschauer erschütterten. Mehr als 1300 Unschuldige sollen bei einem Angriff mit chemischen Waffen getötet worden sein. Wie kann Barack Obama jetzt noch Zögern? Geben die USA ihre Rolle als Verteidiger der Menschenrechte ausgerechnet in einem der blutigsten Kriege der letzten Jahrzehnte auf?

Aller Dramatik zum Trotz – der Westen ist gut beraten, den Waffengang in Syrien nicht zu überstürzen. Es fehlt an Informationen über die Lage der Opposition, es gibt keinen Plan für die Zeit nach einer Intervention, jeder Militärschlag wäre ein Schuss ins Blaue. Der Zwang zu plan- und maßvollem Vorgehen rechtfertigt das Zögern des Westens, nicht die Zweifel an der Urheberschaft der Aggression Assads, die insbesondere Russland sät.

Wie notwendig Umsicht ist, zeigt das Beispiel Afghanistan. Hier ist der Westen auf Drängen von US-Präsident George W. Bush 2001 ziel- und planlos einmarschiert, um das brutale Taliban-Regime zu stürzen. Was zwar in kürzester Zeit gelang, doch Frieden herrscht bist heute nicht am Hindukusch: Es fehlte von Anfang an ein Plan für die Stabilisierung. Zwölf Jahre und geschätzte 30.000 Tote später steht die Koalition vor dem Rückzug aus einem anarchischen Land, das zum großen Teil wieder unter der Kontrolle der Taliban steht.

Für Afghanistan gab es von Anfang an sehr unterschiedliche Konzepte des „Peace keeping“: Die Deutschen wollten zunächst nur Schulen bauen und mit den Afghanen kumpeln, aber bloß nicht schießen. Die Amerikaner wollten Terroristen töten und suchten keine Freunde in der Zivilbevölkerung. Innerhalb der Nato-Koalition änderten die Krieg führenden Verbände immer wieder ihre Strategien, einen stimmigen Plan zur Demilitarisierung, Stabilisierung und Demokratisierung gab es nie. Und wenn, dann hatte jeder seinen eigenen.

Ein miserabel vorbereiteter Krieg ist das schlimmste, was Militär und Zivilbevölkerung passieren kann – weil er sich im Zweifel über Jahre zieht. In Syrien darf sich ein Debakel wie in Afghanistan nicht wiederholen. Darum ist ein hohes Maß an Abstimmung innerhalb des wohl intervenierenden Westens erforderlich, vor allem aber auch mit der Opposition. Die mag zwar vereint sein in der Gegnerschaft zum Assad-Regime, doch eine homogene Gruppe sind die Gegner des syrischen Diktators keineswegs. Gut möglich, dass auf einen chirurgisch gedachten Luftschlag eine Intervention mit Bodentruppen folgen muss, wenn die heterogene Opposition eines Tages gegeneinander kämpft und das geopolitisch exponierte Syrien im Chaos versinken lässt.

In Berlin empfängt heute Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) den Vorsitzenden der Nationalen Koalition der syrischen Opposition. Solche Treffen sind wichtig, denn auch die Syrer sind in der Bringschuld, wenn sie eine Attacke der Nato herbeisehnen: Sie müssen einen schlüssigen Plan vorlegen, wie sie in Syrien in einer möglichen Zeit nach Baschar al-Assad zu Sicherheit und Stabilität verhelfen wollen.

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