
Die Evakuierung der Rebellengebiete in der syrischen Stadt Aleppo ist ausgesetzt worden. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen von Hilfsorganisationen. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete am Freitag, der Transport von Kämpfern und Zivilisten aus Ost-Aleppo sei gestoppt worden. In der Region seien mehrere Explosionen zu hören gewesen. Die Ursache dafür war zunächst unklar. Der regimenahe Sender Al-Mayadeen berichtete, Rebellen hätten das Feuer eröffnet.
Aktivisten hatten zuvor berichtet, dass die Evakuierung nur schleppend vorankommt. Augenzeugen erklärten, Tausende warteten bei winterlichen Temperaturen auf Busse, die sie aus der Stadt bringen sollen. „Das Problem ist, dass nicht viele Busse kommen“, sagte Ibrahim al-Hadsch von der Rettungsorganisation Weißhelme.
Die Evakuierung hatte am Donnerstag begonnen. Ein Abkommen zwischen Regierung und Rebellen sieht vor, dass Kämpfer und Zivilisten die Stadt verlassen und in andere Gebiete unter Kontrolle der Opposition gebracht werden. Ein erster Anlauf zur Umsetzung war am Mittwoch gescheitert, weil neue Kämpfe ausgebrochen waren.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
In Ost-Aleppo warten noch Zehntausende auf den Transport. Frankreichs Präsident François Hollande erklärte, es seien noch 50 000 Menschen eingeschlossen. Hilfsorganisationen rechnen sogar mit rund 70 000 Menschen, die aus der Stadt gebracht werden müssen. Wegen einer monatelangen Blockade durch das Regime ist die humanitäre Lage dort katastrophal.
Bilder aus Ost-Aleppo zeigten volle Straßen, in denen Einwohner neben Trümmern mit Koffern auf den Transport warteten. „Die Menschen sind alle erschöpft“, berichtete ein Aktivist mit dem Namen Abdulkafi. „Und sie haben Angst, dass die Waffenruhe wieder scheitern könnte.“
Die Sprecherin des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Ingy Sedky, erklärte, die Evakuierungsoperation sei über Nacht weitergelaufen. Es lasse sich jedoch nur schwer sagen, wie viele Menschen Ost-Aleppo verlassen hätten.
Aus syrischen Regierungskreisen hieß es, bislang hätten mehr als 8000 Menschen Ost-Aleppo verlassen. Nach russischen Angaben wurden bisher rund 6500 Menschen aus der Stadt gebracht, wie die Agentur Tass berichtete. Das Rote Kreuz hatte am Donnerstag erklärt, die Evakuierung könne noch Tage dauern.
Bundespräsident Joachim Gauck warf der internationalen Gemeinschaft schwere Versäumnisse im Syrien-Konflikt und eine Mitverantwortung an den Gräueln des Bürgerkriegs vor. Die „Mechanismen der internationalen Ordnung“ hätten kläglich versagt, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“.
Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel erhob auch der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament heftige Vorwürfe gegen Russland und den Iran. „Der Iran, Russland - (Präsident) Putin, muss man sagen - hat Blut an den Händen“, sagte Manfred Weber (CSU) im rbb-„Inforadio“. Derzeit habe humanitäre Hilfe oberste Priorität. „Und dann brauchen wir Klartext. Das heißt, wir müssen deutlich machen, wer schuld ist an dieser Situation.“
Russland und der Iran sind die engsten Verbündeten der Regierung in Damaskus und unterstützen sie militärisch. Merkel hatte beiden Ländern nach dem Brüssler EU-Gipfel schwerste Vergehen im Kampf um Aleppo vorgeworfen. Sie sprach von „gezielten Angriffen auf Zivilpersonen (...), auf Krankenhäuser“ und nahm auch das Regime von Baschar al-Assad in die Pflicht.
Putin setzt auf ein neues Format von Syrien-Gesprächen mit der Türkei als Schutzmacht der Opposition. Russland versuche, die syrische Regierung dafür zu gewinnen, die Türkei wiederum die Gegner von Präsident Assad. Das habe er mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan vereinbart, sagte Putin am Freitag bei einem Besuch in Tokio. Die Treffen könnten in Kasachstan stattfinden.
Syriens Armee hatte nach dem Beginn einer Offensive den allergrößten Teil der bisherigen Rebellengebiete in Ost-Aleppo eingenommen. Unter Vermittlung Russlands und der Türkei vereinbarten die Konfliktparteien in dieser Woche ein Abkommen über den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus der Stadt.