Syrien-Konflikt UN-Vollversammlung greift Sicherheitsrat an

Der Konflikt in Syrien wird zur Zerreißprobe für die Vereinten Nationen. Die Vollversammlung wirft dem Sicherheitsrat Versagen vor. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

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Die UN-Versammlung hat den Sicherheitsrat scharf angegriffen. Quelle: dapd

New York Die UN-Vollversammlung hat dem UN-Sicherheitsrat Versagen im Syrien-Konflikt vorgeworfen. Mit großer Mehrheit verabschiedete die Vollversammlung am Freitag eine Resolution, die dem Sicherheitsrat Untätigkeit in dem Konflikt vorwirft und einen raschen Machtwechsel in dem Land gefordert. Die Erklärung war von einer Gruppe arabischer Staaten eingebracht worden.

Diplomaten begrüßten den Text als „starkes Signal“, aber da er nicht bindend ist, dürfte er wohl trotzdem ohne größere Wirkung verpuffen.
Der Sicherheitsrat - als einziges Gremium, das bindende Resolutionen verabschieden und beispielsweise Sanktionen verhängen kann - ist nach mehreren Doppelvetos von Russland und China gegen schärfere Resolutionsentwürfe vollkommen blockiert. Auch von der Vollversammlung gab es dafür heftige Kritik: Das Versagen des Sicherheitsrats, sich auf weitere Schritte zu einigen, wurde in der am Freitag verabschiedeten Resolution offiziell „tief bedauert“.

Längst wird der heftige Streit im Sicherheitsrat nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen ausgetragen. „Schlicht blöd“ nannte der französische UN-Botschafter Gérard Araud vor kurzem einige Äußerungen seines russischen Amtskollegen Witali Tschurkin vor Journalisten und beschwerte sich, dass Tschurkin ihn als amtierenden Vorsitzenden des Gremiums nicht als Ersten an die Mikrofone gelassen hatte. „Das wäre eine Sache der Höflichkeit gewesen, aber Höflichkeit hat anscheinend verschiedene Bedeutungen in unseren Sprachen.“ Hinter den Kulissen sollen Diplomaten zufolge deutlich heftigere Worte gefallen sein.

Am 19. August läuft das Mandat der im April ins Leben gerufenen Beobachtermission Unsmis in Syrien aus. Der Sondergesandte Kofi Annan hatte schon am Donnerstag entnervt verkündet, dass er nicht weitermachen wird. Eine Verlängerung des Mandats ist an die Bedingungen geknüpft, dass sich die Situation in Syrien bessert und keine zivilen Ziele mehr bombardiert werden. Beides scheint momentan nicht in Sicht. Wie es dann aber weitergehen soll, ist völlig unklar.
„Wenn es eine Resolution gibt, die von mir aus den Namen der Mission ändert und ein wenig auch ihre Aufgaben, dann schauen wir uns das gerne an“, sagte Russlands UN-Botschafter Tschurkin. Die meisten anderen Diplomaten wiegeln alle Fragen in diese Richtung ab. Es sei noch viel zu früh, darüber zu sprechen. Hinter den Kulissen aber laufen die Telefondrähte zu den jeweiligen Außenministerien heiß.


Frust bei den westlichen Mächten

Die westlichen Mächte sind momentan vor allem eins: Stinksauer. Russland und China hätten Annan durch mangelnde Unterstützung regelrecht verheizt, heißt es aus Diplomatenkreisen. Sie behandelten die Krise kurzsichtig und verspielten dabei massiv diplomatisches Kapital. Bei der US-Regierung wächst zudem die Sorge, dass das Syrien-Thema immer mehr in den laufenden Wahlkampf grätschen könnte.

Eine Lösung ist nicht in Sicht. Niemand scheint zu wissen, wie man Russland und China ins Boot holen soll. Beharrlich weitere Gespräche führen, heißt es. Man hoffe, dass die deutliche Kritik von allen Seiten am Sicherheitsrat „zumindest die chinesische Regierung, vielleicht auch die russische“ zum Nachdenken bringe, sagte der stellvertretende deutsche UN-Botschafter Miguel Berger. Aber der Frust ist greifbar.

Längst haben sich die Vereinten Nationen mit der Sicherheitsrats-Blockade ins Abseits manövriert. Schon vor Wochen hatten die USA angekündigt, den Konflikt auf anderen Wegen angehen zu wollen, zum Beispiel durch Gespräche mit der Opposition. Auch Deutschland ist längst dabei, seine Kontakte zur syrischen Widerstandsbewegung zu verbreitern. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte jedoch am Freitag noch einmal eindringlich, dass die UN die Kontrolle zurückgewinnen und die Beobachtermission in Syrien bleiben müsse. „Der Syrien-Konflikt ist ein Test für alles, wofür die UN stehen. Ich will auf keinen Fall, dass wir bei diesem Test durchfallen.“

Immerhin hat sich Russland am Freitag über die Lage in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo besorgt gezeigt und ein sofortiges Ende des Blutvergießens gefordert. Das Außenministerium in Moskau erklärte am Freitag, Waffenlieferungen aus dem Ausland liefen den internationalen Bemühungen um eine friedliche Lösung der Krise zuwider. Das gelte auch für andere Formen der Unterstützung für die Rebellen, die gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad kämpften.
Russland ist eine der letzten Schutzmächte Syriens und unterhält dort einen Marine-Stützpunkt am Mittelmeer. In der Vergangenheit hatte Russland erklärt, es werde Soldaten nach Syrien schicken, falls dies für den Schutz von Landsleuten oder den Abzug von Material nötig sein sollte.

Derweil verstärkt der Westen seine Hilfe für die Aufständischen, die ihre Kontrolle über einige Landesteile zu festigen scheinen. Großbritannien kündigte mehr Hilfen für die Aufständischen an, nachdem die diplomatischen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts mit der Aufgabe von UN-Vermittler Kofi Annan einen Rückschlag erlitten hatten. "Wir werden in den kommenden Wochen unsere praktische, aber nicht-militärische Unterstützung der Opposition steigern", sagte Außenminister William Hague der BBC.

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