Die Rebellen im Osten der umkämpften syrischen Metropole Aleppo stehen nach Angaben von Beobachtern kurz vor der Niederlage. „Wir sehen das Ende der Kämpfe um Aleppo“, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Montag mehreren Journalisten. Angesichts der Offensive des syrischen Regimes blieben den Rebellen nur noch gut drei Prozent ihrer bisherigen Gebiete im Ostteil der Stadt. Die Rebellen hätten sich aus ihren letzten Hochburgen in der umkämpften Großstadt zurückgezogen. Zuvor hatte bereits die syrische Armee erklärt, eine Niederlage der Rebellen stehe unmittelbar bevor.
„Die Lage ist sehr kritisch“, sagte Ibrahim al-Hadsch, ein Mitglied der Rettungskräfte der Rebellen, der sogenannten Weißhelme. „Das Militär hat viele Gebiete erobert und wir sind jetzt eingezwängt.“ Er sei dauernd in Bewegung, um für sich und seine Familie einen sicheren Ort zu finden. Doch es werde überall weiter gekämpft.
„Der Kollaps ist erschreckend“, sagte Bassam Hadsch Mustafa, ein ranghohes Mitglied der Rebellenfraktion Nur al-Din al-Sinki, über die Verteidigungslinien der Aufständischen. Seine Kämpfer täten „ihr Bestes, um das zu verteidigen, was übrig ist.“
Warum Aleppo im syrischen Bürgerkrieg so wichtig ist
Aleppo hat sich zum Symbol für den verheerenden Konflikt entwickelt. Die Stadt war nahezu seit Beginn der Kämpfe zwischen Regime und Rebellengruppen geteilt und ist das am schwersten umkämpfte Schlachtfeld in dem Krieg. Wer hier siegt, hat auch einen immensen psychologischen Vorteil.
Aleppo ist die letzte Großstadt, in der Aufständische noch Gebiete kontrollieren. Damaskus und Homs sind fest in der Hand der Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Den Rebellen blieben ohne die ehemals größte Stadt des Landes nur noch einige eher ländliche Gebiete wie die Provinz Idlib.
Nicht zu unterschätzen ist der militärische Spielraum, den die syrische Armee bei einer Eroberung gewinnen würde. Die Schlacht um die ehemalige Handelsmetropole bindet viele Kräfte. Diese könnten sich dann auf andere Rebellengebiete des Landes konzentrieren und das Ende des Bürgerkrieges erzwingen.
An der Entwicklung in der nordsyrischen Stadt lässt sich der Einfluss Russlands seit seinem Kriegseintritt vor mehr als einem Jahr sowie der des Irans ablesen. Ohne diese beiden Verbündeten wäre das geschwächte Regime nicht in der Lage gewesen, die Rebellen so in die Defensive zu drängen.
An Aleppo zeigt sich die Schwäche und die verfehlte Politik des Westens, allen voran der USA und seiner Verbündeten. Sie ließen ein Machtvakuum im Bürgerkrieg entstehen, in das Moskau zugunsten der syrischen Regierung vorstieß - und gucken nun ohnmächtig der zivilen Katastrophe zu.
Die Eroberung Aleppos würde dem Regime eine starke Verhandlungsbasis für künftige Friedensgespräche geben - falls Assad diese angesichts seines Siegeszuges überhaupt für nötig halten sollte.
Nach Angaben des Militärs fiel am Montag Al-Fardus - eines der größten Viertel Aleppos - in die Hände der syrischen Armee. Zuvor hatten Aktivisten und das staatliche Fernsehen berichtet, Regierungskräfte hätten nach Tagen heftiger Kämpfe auch das am südlichen Stadtrand gelegene Viertel Scheik Said eingenommen.
Bewohner der verbliebenen Stadtviertel flehten in sozialen Netzwerken im Internet um Hilfe. „Dies ist unser letztes SOS“, schrieb ein Bewohner. Menschen seien den Berichten zufolge unter Trümmern gefangen, ohne dass ihnen geholfen werden könne.
Seit Beginn der Militäroffensive Ende November sind Zehntausende Zivilisten aus Ost-Aleppo geflohen, viele von ihnen in den von der Regierung kontrollierten Westteil der Stadt. Diejenigen, die noch dort sind, hätten sich zu Tausenden in zwei oder drei Vierteln verschanzt, sagte ein Rebellenkämpfer aus Aleppo der Nachrichtenagentur AP. Weil im verlorenen Scheik Said auch die einzige Mühle und das einzige Getreidelager waren, hätten sie jetzt nicht einmal mehr Mehl oder Brot.
Laut einem vom Militär veröffentlichten Stadtplan war am Montag nur noch ein schmaler Streifen im Zentrum Aleppos, der an den Westteil angrenzt, in der Hand der Rebellen. In fast allen der sechs eingezeichneten Viertel wurde nach Angaben von Aktivisten, Rebellen und Militär noch gekämpft.
Die frühere Wirtschaftsmetropole im Nordwesten Syriens war seit 2012 zwischen Regierungstruppen und Rebellen geteilt. Die Armee von Präsident Baschar al-Assad hatte mit Hilfe verbündeter Milizen und russischer Luftangriffe eine Offensive gestartet, um die Rebellen endgültig aus dem Ostteil zu vertreiben. Sollte dies geschehen, wäre es für Assad der größte Sieg seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011.
Nach Angaben der Vereinten Nationen haben seit Beginn der Offensive mehr als 10.000 Menschen ihre Häuser im Osten der Stadt verlassen und befinden sich seitdem auf der Flucht. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete am Montag, dass allein seit Sonntag rund 13.000 Zivilisten in die von der Regierung kontrollierten Gebiete geflohen seien. Mehr als 700 Kämpfer sollen zudem ihre Waffen niedergelegt haben.
Allerdings gab es auch einen Rückschlag für seine Armee: Die Terrormiliz Islamischer Staat errang über das Wochenende offenbar wieder die volle Kontrolle über die antike Oasenstadt Palmyra. Von dort waren die radikalislamischen Extremisten im März nach elf Monaten der Herrschaft von Assads Truppen mit Hilfe Russlands vertrieben worden.