
Nüchtern betrachtet ist die Sachlage eigentlich glasklar. Ein Diktator setzt Giftgas gegen seine Bevölkerung ein, tötet Kinder, Frauen, Zivilisten. Wie gerne möchten wir mit US-Präsident Barack Obama sofort laut ausrufen, ja, da können wir nicht einfach wegschauen und so tun, als ginge uns das alles überhaupt nichts an. Recht hat der US-Präsident, wenn er sagt, der Giftgasangriff gegen die syrische Bevölkerung am 21. August sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Doch einfach draufhauen und Bomben auf Syrien hageln lassen – ohne, dass ein Amerikaner einen Fuß auf syrischen Boden setzt, wie Obama es in seiner Rede an die Nation formuliert – so einfach ist ein Militärschlag gegen ein terroristisches Regime nicht. Auch warten wir immer noch auf fundierte Beweise, ob der Giftgasangriff tatsächlich auf das Konto des syrischen Staatschefs ging.
Regionale Player im Syrien-Konflikt
Ein Einsatz syrischer Massenvernichtungswaffen ist ein Alptraum für Israel, das dem Konflikt bisher eher als Beobachter beiwohnte. Jetzt warnt Jerusalem laut davor, dass Assads Chemie- und Flugabwehrwaffen in die Hände der Hisbollah oder Al-Kaidas fallen könnten. Positiv wäre für Israel, dass sein Erzfeind Iran mit Assad seinen wichtigsten Stützpfeiler in der Region verlieren würde. Mit Assad könnte Israel allerdings auch einen Nachbarn verlieren, der für weitgehende Ruhe an der gemeinsamen Grenze gesorgt hat.
Die sunnitischen Herrscher vom Golf unterstützen in Syrien - wie schon zuvor in Libyen - die islamisch-konservativen Kräfte. Und versuchen, einen Verbündeten ihres Erzfeindes Iran zu schwächen. Daheim können sie sich so als Unterstützer der Revolution präsentieren, ohne Protesten Vorschub zu leisten. Damaskus will in Saudi-Arabien und Katar die Urheber des „Komplotts“ gegen sich identifiziert haben.
Das Nato-Mitglied ist seit langem einer der schärfsten Kritiker des syrischen Regimes. Weiter verschärft wurde das Verhältnis Ende Juni durch den Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges vor der syrischen Küste. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sagte dem syrischen Volk daraufhin Unterstützung bis zur Befreiung von „Diktator“ Assad zu, bei weiteren Zwischenfällen werde sein Land mit Gewalt zurückschlagen. Ein Teil des Nachschubs der syrischen Rebellen wird durch die Türkei geschleust, die allerdings offiziell keine Waffen liefert.
Das westliche Nachbarland Syriens ist zerrissen - eine gefährliche Lage. Die Sunniten im Libanon stehen mehrheitlich auf der Seite der syrischen Opposition, die zum Großteil ebenfalls aus Sunniten besteht. Über die Grenze werden auch Waffen geliefert. Die schiitische Hisbollah-Miliz hingegen, die in Beirut in der Regierung sitzt, ist mit dem Assad-Regime verbündet. Die Waffen, mit denen sie ihre Herrschaft sichert, kommen aus Damaskus. Seit einigen Wochen gibt es im Libanon Auseinandersetzungen zwischen pro- und anti-syrischen Gruppierungen, dabei gab es auch Tote.
Aus iranischer Sicht darf das syrische Regime keinesfalls fallen. Im Frühjahr erklärte Präsident Mahmud Ahmadinedschad, er kenne keine Grenzen bei seiner Unterstützung für Präsident Assad. Angeblich schickte Teheran Militärberater und Kämpfer. Ohne Assads Regime würde es für den Iran schwerer, die eigene anti-israelische Ideologie zu verbreiten. Auch die pro-iranischen Milizen, besonders die Hisbollah in Libanon, würden geschwächt. Zuletzt bestätigte der Iran Gespräche mit Regimegegnern in Syrien und brachte sich als Vermittler ins Gespräch.
Das Terrornetzwerk Al-Kaida versucht einmal mehr, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Die Terroristen wollen sich als Speerspitze der Revolution präsentieren und das anschließende Tohuwabohu für ihre Zwecke nutzen.
Obama setzt auf Zeit und Diplomatie
Immerhin gibt das Assad-Regime mittlerweile zu, Chemiewaffen zu besitzen, und es will seinen kompletten Chemiewaffen-Bestand offenlegen. Assads Außenminister kündigte im russischen Fernsehen außerdem an, der internationalen Gemeinschaft Zugang zu allen Giftgasdepots verschaffen und die Produktion einstellen zu wollen.
Obama kündigte daraufhin in seiner Rede an die Nation an, zusammen mit Frankreich, Großbritannien, China und Russland an einer UN-Resolution arbeiten zu wollen, die den syrischen Staatschef Baschar al-Assad dazu zwingen solle, seine Chemiewaffen abzugeben. Dabei spielt Russland als Verbündeter Syriens die entscheidende Rolle. Die Initiative der Russen sieht vor, dass Assad seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stellt. Dazu müssten allerdings entweder UN-Truppen oder Amerikaner unter UN-Führung ins Land gelassen werden – ein im Moment kaum vorstellbarer Akt mitten im Bürgerkrieg in Syrien.