Nach den Syrien-Gesprächen in Lausanne und London vom Wochenende kommen an diesem Montag die Außenminister der EU-Staaten zu Beratungen in Luxemburg zusammen. Thema des Treffens ist unter anderem die Frage, wie die Europäische Union die internationalen Bemühungen für eine humanitäre Waffenruhe besser unterstützen kann. Umstritten ist dabei, ob gegen Russland neue Sanktionen verhängt werden sollten. Kreml-Chef Wladimir Putin lässt dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad weiter massive militärische Unterstützung zukommen. Diese gilt als ein Grund für die katastrophale humanitäre Situation in der syrischen Stadt Aleppo. Im Gespräch ist, weitere Syrer mit EU-Sanktionen zu belegen. Dies wird allerdings eher als eine symbolische Maßnahme gesehen, da gegen die wichtigsten inländischen Unterstützer und Akteure des Assad-Regimes bereits seit langem EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren gelten. US-Außenminister John Kerry hält ein noch umfangreicheres militärisches Eingreifen des Westens in Syrien für unwahrscheinlich. Das machte Kerry bei einer Pressekonferenz mit seinem britischen Kollegen Boris Johnson am Sonntag in London deutlich. Präsident Barack Obama habe zwar keine Option vom Tisch genommen, doch es gebe „keinen großen Appetit in Europa, in den Krieg zu ziehen“, sagte Kerry.
Johnson sprach sich für Sanktionen gegen Russland aus. „Ich glaube, die wirkungsvollste Waffe, die wir zur Zeit haben, ist unsere Fähigkeit, Präsident Putin und die Russen die Konsequenz ihres Handelns spüren zu lassen“, sagte Johnson. Genau diese Strategie betrachtet SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hingegen als untauglich. „In Syrien und Aleppo brauchen wir jetzt schnelle Lösungen“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Montag). „Sanktionen wirken, wenn überhaupt, nur mittel- und langfristig.“ Einen wirksamen Abschreckungseffekt, Gerechtigkeit für die Opfer und Aussicht auf Frieden gebe es nur, wenn Kriegsverbrecher damit rechnen müssten, vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu landen.
Kerry, der sich am Samstag mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow und Vertretern regionaler Mächte in Lausanne getroffen hatte, erhob schwere Vorwürfe gegen Moskau. Er verglich Russlands Vorgehen in Aleppo, das schwere Kriegsschäden davongetragen hat und nach wie vor Schauplatz verheerender Bombardements ist, mit der Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Erst am Sonntag wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wieder 31 Menschen bei Luft- und Raketenangriffen auf den von Rebellen gehaltenen Teil der Stadt getötet.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Russland forderte am Sonntag erneut eine klare Trennung der moderaten Opposition von Terrorgruppen wie Fatah-al-Scham, der früheren Al-Nusra-Front. Nur eine solche Distanzierung könne eine Feuerpause sowie Hilfslieferungen ermöglichen, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Die Gespräche im schweizerischen Lausanne waren am Samstag nach nur rund fünf Stunden ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen. Trotzdem soll es weitere Beratungen geben.
Die Bemühungen würden Anfang der Woche fortgesetzt, hieß es nach einem Telefongespräch zwischen Kerry und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag im Auswärtigen Amt in Berlin. Im syrischen Bürgerkrieg sind seit 2011 mehr als 400 000 Menschen getötet worden, fünf Millionen Syrer flohen ins Ausland. Anläufe zum Frieden scheiterten immer wieder.