Syrien Türkei droht mit zweitem Einmarsch

Der Streit um die Vorherrschaft in Nordsyrien eskaliert erneut. In der Nacht auf Mittwoch bombardierte das türkische Militär kurdische Stellungen. Staatschef Erdogan droht unter anderem den USA.

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Zwischen der türkischen Armee und den in Syrien kämpfenden Kurden kommt es wieder zu Auseinandersetzungen. Quelle: dpa

Istanbul Das türkische Militär hat nach eigenen Angaben in der Nacht auf Mittwoch Ziele der kurdischen Miliz YPG im Norden Syriens zerstört. Die Armee habe auf einen Angriff von kurdischen Kämpfern auf von der Türkei unterstützte Truppen reagiert, teilte sie mit. Die kurdischen sogenannten Volksverteidigungseinheiten (YPG) hätten in der Nacht zum Mittwoch von Syrien aus türkisches Gebiet mit Flugabwehrwaffen angegriffen. Die türkische Artillerie habe die Attacke erwidert und die „erkannten Ziele“ zerstört, hieß es.

Der Knall der Artilleriegeschosse sei bis in die gut 50 Kilometer entfernte türkische Grenzstadt Kilis hörbar gewesen, berichtet der türkische Fernsehsender Habertürk. Über Opfer bei dem Feuergefecht wurde zunächst nichts bekannt.

Nach dem ersten Einmarsch türkischer Truppen in Syrien im August 2016 könnte die Türkei nun erneut in die syrische Kriegsspirale hineingezogen werden. Bereits vor einer Woche wurde bekannt, dass Ankara weitere Militäreinheiten in Richtung Syrien schickt. Damals waren Fotos veröffentlicht worden, die Militär-Lastwagen und gepanzerte Fahrzeuge auf der Landstraße zwischen Kilis auf der türkischen und Aleppo auf der syrischen Seite zeigen.

Das Ziel der türkischen Führung: Ankara will verhindern, dass sich kurdische Rebellengruppen entlang der türkisch-syrischen Grenzregion ausbreiten. Bislang halten YPG-treue Truppen den äußersten Nordwesten Syriens („Kanton Afrin“) besetzt, außerdem einen bis zu 80 Kilometer breiten Abschnitt im Nordosten Syriens („Kanton Rojava“), ebenfalls entlang der türkischen Grenze. Dazwischen kämpften im vergangenen Herbst türkische Truppen, um eine Verbindung der beiden kurdisch besetzten „Kantone“ zu verhindern. Doch die türkische „Operation Schutzschild Euphrat“ verlief aus Sicht der Türkei am Ende militärisch zwar erfolgreich, kostete aber 69 Soldaten das Leben.

Im vergangenen Monat hatte die sich türkische Führung verärgert darüber gezeigt, dass die USA die YPG im Kampf gegen den Islamischen Staat in seiner letzten syrischen Hochburg Rakka mit Waffen versorgt. Die YPG ist im Kampf gegen die Extremistenmiliz in Syrien einer der wichtigsten Verbündeten der USA. Dies stößt in der Türkei auf Argwohn. Die Regierung in Ankara betrachtet die Miliz als verlängerten Arm der verbotenen Arbeiterpartei PKK, die seit den 1980er Jahren Anschläge in der Türkei begeht.

Die PKK hat ein umstrittenes Image: Einerseits kämpft sie für mehr Autonomie der Kurden in der Türkei. Andererseits starben durch Angriffe der PKK in der Türkei rund 40.000 Menschen, darunter auch zahlreiche Kurden, die sich von der PKK abgrenzen wollten. Im „Kanton Afrin“ in Nordwestsyrien unterhält die PKK seit den 1990er Jahren eigene Lager, in denen auch der mittlerweile inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan früher Unterschlupf gesucht hatte.


Drohung gegen die USA

Die PKK wird auch von der EU und den USA als Terrorgruppe eingestuft, nicht jedoch die Parallelorganisation YPG. Die wiederum hat in der Vergangenheit auch in der Türkei Anschläge vor allem im Südosten des Landes begangen.

Aktuell kämpfen sich kurdische Einheiten vom Kanton Afrin aus in Richtung Osten und damit hin zum Kanton Rojava, um vielleicht doch eine Verbindung zwischen beiden Teilen herzustellen. Deswegen fand der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan zuletzt deutliche Worte. In einem Interview mit einem russischen Fernsehsender erklärte Erdogan am Dienstag, die Türkei sei bereit für eine „Operation Schutzschild Euphrat 2.0“. Eine Warnung im doppelten Sinne: Erdogan droht damit nicht nur den kurdisch dominierten Einheiten in Nordsyrien, sondern gleichzeitig auch der syrischen Schutzmacht Russland.

Auch auf den diplomatischen Kanälen macht die Türkei Druck. Der Sprecher Erdogans, Ibrahim Kalin, schlug vor Kurzem Besatzungszonen für Syrien vor, ähnlich wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter anderem sollen türkische und russische Truppen demnach den Nordwesten Syriens um die Stadt Idlib kontrollieren, der derzeit von türkisch unterstützten Rebellen der sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA) gehalten wird. Kurdische Truppen spielen an diesem Reißbrett nach türkischer Lesart keine Rolle.

Doch der türkische Staatschef bleibt ein Freund einfacher Worte. In einem weiteren Interview erklärte Erdogan: „Die [syrische PKK-Organisation] PYD und die YPG wollen irgendetwas erreichen. Sie sollten wissen: Wer auch immer sie dabei unterstützt, die Türkei wird niemals einen kurdischen Staat in Nordsyrien erlauben.“ Das ist eine weitere Drohung, diesmal an die Schutzmacht der YPG: die USA.

Eine weitere Auseinandersetzung in dem kriegsgeplagten Land steht damit unmittelbar bevor. Rund 2000 Soldaten der von der Türkei und dem Westen unterstützten FSA seien bereits in Bereitschaft versetzt worden. Sie werden auch in diesem Geschacher um Einfluss und Macht in Syrien an die vorderste Front geschickt werden.

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