
Mehr als 30 Staats- und Regierungschefs stehen in diesem Jahr auf der Gästeliste der Münchner Sicherheitskonferenz. Einer, den Konferenzchef Wolfgang Ischinger gerne dabei gehabt hätte, fehlt aber: Wladimir Putin. Der russische Präsident war vor neun Jahren mit einer gegen die Nato und die USA gerichteten Brandrede in die Annalen des weltweit wichtigsten sicherheitspolitischen Forums eingegangen.
Seitdem ist er der Konferenz ferngeblieben. Auch in diesem Jahr schickt er nur den zweiten Mann im Staat, Regierungschef Dmitri Medwedew. Darin könnte aber auch eine Chance liegen. Medwedew komme ausdrücklich als Vertreter Putins zu der an diesem Freitag beginnenden Konferenz, sagt Ischinger. Im Gegensatz zum Präsidenten ist der Regierungschef nicht für scharfe Reden bekannt. „Die Entscheidung, Medwedew zu schicken, könnte man als Friedensangebot Putins verstehen“, heißt es in Diplomatenkreisen.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Die Rede Medwedews am Samstag wird also einer der Höhepunkte der Sicherheitskonferenz sein. Es wird vor allem darum gehen, was er zu Syrien sagt. Den Ton dafür gibt die Konferenz der Syrien-Unterstützergruppe vor, die für Donnerstagabend angesetzt war. Zu den 20 Mitgliedern der Gruppe gehören alle Staaten mit einer Schlüsselrolle in dem Konflikt. Neben Russland sind das vor allem die USA, Saudi-Arabien, Iran und die Türkei.
Die Außenminister dieser fünf Länder werden ihre Diskussionen am Wochenende auf offener Bühne im Luxushotel Bayerischer Hof weiterführen. Die zwei entscheidenden Fragen sind: Wie kann die humanitäre Lage für die Menschen in belagerten Gebieten verbessert werden? Und welche Wege gibt es zu einem Waffenstillstand? An Fortschritten in diesen Punkten hängt die Fortsetzung der Genfer Friedensgespräche zwischen dem Regime von Baschar al-Assad und den Oppositionsgruppen ab, die Anfang Februar nach nur wenigen Tagen abgebrochen wurden.
Die schockierenden Nachrichten über die russischen Bombardements der Region Aleppo und Zehntausende Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei lassen nichts Gutes erahnen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier setzt dennoch darauf, dass die Gewalt zumindest gebremst wird. „Wie soll es möglich sein, am Verhandlungstisch nach Kompromissen zu suchen, während gleichzeitig bei Aleppo und anderswo mit immer größerer Brutalität Krieg geführt wird?“
Syrien wird also das alles beherrschende Thema in München sein. Aber was ist mit den zahlreichen anderen Krisen? Im vergangenen Jahr stand die Ukraine ganz oben auf der Agenda. In München wurden die Weichen für den Krisengipfel in Minsk gestellt, bei dem sich Russland und die Ukraine unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs auf ein Friedensabkommen verständigten.
Es jährt sich am Freitag pünktlich zum Auftakt der Sicherheitskonferenz zum ersten Mal. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird in München eine Bilanz ziehen, die ernüchternd ausfallen dürfte. In der Ostukraine konnten die erbitterten Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen immer noch nicht beendet werden.
Ischinger hofft, dass man in München auch an dieser Stelle weiterkommt. Syrien werde sich wie ein roter Faden durch die Konferenz ziehen, sagt er. „Ich möchte aber vermeiden, dass die anderen wichtigen Fragen - von der Ukraine über die Terrorismus-Bekämpfung bis zur Nuklearpolitik Nordkoreas - unter den Tisch fallen.“ Die Sicherheitskonferenz könne zwar keine Beschlüsse fassen. „Was sie aber sehr gut kann, ist Impulse setzen, weil sie nicht damit befrachtet ist, stundenlang Communiqués zu verfassen.“