„Systemrelevantes Land“ EZB wegen Zypern-Warnung unter Erklärungsdruck

Ist Zypern zu wichtig für die Euro-Zone, um es pleitegehen zu lassen? Die Europäische Zentralbank sieht das so. Sie hält das Land für systemrelevant. Die CDU bezweifelt das und fordert stichhaltige Argumente.

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Plakat mit Euro-Münzen-Aufdruck. Quelle: ap

Berlin Der Haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Norbert Barthle, hat das Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), Jörg Asmussen, aufgefordert, seine konkreten Gründe darzulegen, wieso das kleine Euro-Land Zypern für die Euro-Zone systemrelevant sein soll.  Asmussen hatte im Handelsblatt gewarnt, wenn ein systemrelevantes Land fallengelassen werde, „riskieren wir den Fortschritt, den wir im vergangenen Jahr bei der Bewältigung der Euro-Krise erreicht haben“.

Barthle sagte dazu Handelsblatt Online: „Die Frage der Gefährdung der Euro-Zone insgesamt ist für Herrn Asmussen offenbar schon geklärt. Aber auch hierfür sind stichhaltige Argumente Voraussetzung für ein Hilfsprogramm.“ Asmussen habe daneben selbst „einige der offenen Fragen“ genannt, die zunächst geklärt sein müssen, bevor über ein Hilfsprogramm für Zypern entschieden werden könne. Konkret gehe es um das Programmvolumen, die Schuldentragfähigkeit des landes sowie das Thema Schwarzgeldbekämpfung. Dass hier noch nicht alle Fragen abschließend geklärt seien, „sehen auch wir so“, sagte der CDU-Politiker.

Dagegen warnte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater,  vor einer Verzögerung des Hilfspakets für das finanziell angeschlagene Land. Zypern sei zwar noch um einiges kleiner als Griechenland. „Aber es ist ein Euro-Mitgliedsland mit einem eigenen Bankensystem und daher hat die Lösung der Probleme dieses Bankensystems Symbolkraft für die gesamte Euro-Zone“, sagte Kater Handelsblatt Online. „Dabei geht es nicht darum, neue Drohkulissen aufzubauen, sondern in der bislang erfolgreichen Krisenstrategie fortzufahren.“

Diese bestehe darin, dass externe Unterstützung mit Hilfe des Euro-Rettungsschirms ESM gewährt werden könne, allerdings nur gegen Kontrollen und Abgabe von Souveränitätsrechten. „Dies wäre auch im Fall Zyperns eine Möglichkeit“, sagte Kater. „Zwar gibt es noch keine harte Frist, aber allzu lange lassen sich die Probleme nicht vor sich herschieben.“

Zypern hatte bereits im Juni eine Anfrage für Hilfe aus dem Euro-Rettungsfonds gestellt und benötigt nach eigenen Angaben rund 17 Milliarden Euro. Davon soll ein Großteil an angeschlagene Banken der Insel fließen. Der Antrag ist jedoch umstritten: Zypern wird vorgeworfen, nicht entschieden gegen Steuerbetrug und Schwarzgeld etwa aus Russland vorzugehen. Zyperns Finanzminister Vassos Shiarly wies im Handelsblatt solche Vorwürfe unter Verweis auf Prüfungen des Europarats als "gelinde gesagt unfair" zurück.


Experten: Globale Kettenreaktion bei Pleite unwahrscheinlich

Dessen ungeachtet spricht bei der Betrachtung der ökonomischen Fakten zunächst wenig für, aber viel gegen eine Rettungsaktion für den Inselstaat. Das Land mit nur einer Million Einwohner erwirtschaftet mickrige 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone. Eine Staatspleite würde kaum eine globale Kettenreaktion auslösen: Die Commerzbank errechnet unter Bezug auf die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Forderungen ausländischer Banken gegen Zypern beliefen sich auf gut 50 Milliarden Euro. Das sind nur 0,17 Prozent aller grenzüberschreitenden Forderungen von Banken weltweit.

Allerdings entfallen davon rund 15,3 Milliarden Euro auf griechische Banken. Ihnen müsste voraussichtlich noch einmal unter die Arme gegriffen werden, das Geld dafür steht aber schon bereit. Auch ein Ausfall der zyprischen Staatsschulden von 14 Milliarden Euro dürfte der Commerzbank zufolge verkraftbar sein. Nicht ohne Grund stellte Finanzminister Wolfgang Schäuble die Frage, ob Zypern für die Euro-Zone systemrelevant sei - denn das ist eine der formalen Voraussetzungen für Finanzhilfen des ESM.

"Ökonomisch würde eine Staats- oder Bankenpleite in Zypern andere Euro-Länder vermutlich nicht anstecken", meinen die Commerzbank-Experten. Über die Frage wird in der "Troika" aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) noch gestritten. EZB-Direktor Asmussen warnte zuletzt vor einer erneuten Infektion Griechenlands und der anderen Euro-Wackelkandidaten.

Aber selbst wenn die Troika zu der Einschätzung kommt, dass Zypern aus Sorge um die Euro-Zone insgesamt gerettet werden muss - könnte das Land die Kredite überhaupt zurückzahlen? Die 17,5 Milliarden Euro entsprechen fast dem Bruttoinlandsprodukt eines Jahres. Der Schuldenstand würde von jetzt 70 Prozent des BIP auf rund 170 Prozent hochschnellen, fast drei Mal so viel wie in der EU eigentlich erlaubt ist. Wie soll das Land mit seiner geringen Wirtschaftskraft Zins und Tilgung bedienen? Der IWF hat deshalb Zweifel an der Schuldentragfähigkeit Zyperns und verlangt einen Schuldenschnitt - was nur ein Synonym für die Staatspleite ist.


Als Briefkastenfirma sehr beliebt

Hinzu kommen politische Probleme: Zypern ist selbst schuld an seiner Misere. Der Finanzsektor wuchs von 1995 bis 2011 um 240 Prozent, sein Anteil an der Gesamtwirtschaft erhöhte sich damit von 4,9 auf 8,8 Prozent. Das Land hat voll auf die Banken gesetzt und sich verzockt. Mit einem Steuersatz von zehn Prozent auf Unternehmensgewinne hat sich die Insel außerdem den Vorwurf des Steuerdumpings zugezogen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) wirft der Regierung zudem vor, zu wenig gegen Geldwäsche zu tun. Die Insel ist bei Briefkastenfirmen sehr beliebt.

All das spricht nicht dafür, Zypern zu retten. Aber es gibt auch Gründe dafür, Milliarden nach Nikosia zu überweisen. Und diese werden nach Einschätzung von Experten entscheidend sein.  Als wesentlicher Punkt gilt das Interesse, Zypern weiter stark an die EU zu binden, weil das Land ein Brückenpfeiler Europas in den aufgewühlten Nahen Osten sei. Auch für das Zusammenspiel mit der Türkei sei die geteilte Insel, deren Norden die Türkei seit 1974 besetzt hält, zu wichtig, um es anderen Mächten als Spielball ihrer Interessen zu überlassen.

Hinzu kommt die enge Bindung Zyperns an Russland. "Der EU dürfte es nicht gefallen, wenn der russische Einfluss in Zypern noch größer wird", schreiben die Commerzbank-Experten. So haben die Russen bereits ein Auge auf die vor Zypern liegenden Gasvorkommen geworfen. Die Insel würde sich außerdem als Flottenstützpunkt eigen, falls Russland seinen Mittelmeer-Hafen in Syrien wegen der dortigen Unruhen verlieren sollte.

Aber auch ökonomisch sprechen Gründe dafür, das Land nicht ins finanzielle Chaos abgleiten zu lassen. So kann niemand mit Sicherheit ausschließen, dass eine Pleite eine Kettenreaktion auslösen würde. Jedenfalls kämen neue Unsicherheiten an den Märkten mit explodierenden Risiko-Aufschlägen für spanische oder italienische Staatsanleihen die Euro-Zone teurer zu stehen als der vergleichsweise geringe Betrag zur Stabilisierung Zyperns.

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