Tauchsieder
Quelle: dpa

Alles raushauen jetzt!?

Die EZB sorgt für die Rahmenbedingungen. Die Ökonomen besorgen das Framing. Die Politik besorgt den Rest: Schluss mit schwarzer Null und Sparerei! Aber ist das sinnvoll? Vom Nutzen und Nachteil des verewigten Nullzinses.

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Die Sprache des Sports ist oft herrlich direkt und lädt ein zum rhetorischen Doppelpass. Irgendein Trainer oder Spieler an diesem ersten Fußball-Bundesliga-Wochenende der Saison wird ziemlich sicher sagen, am Ende habe die Mannschaft „noch mal alles rausgehauen“, um zu retten, was zu retten war, was so viel bedeutet wie: Wir haben uns verausgabt, um das Mindeste zu erreichen. Beim Treffen des Koalitionsausschusses von CDU, CSU und SPD im Bundeskanzleramt wird es am Sonntag genau darum gehen. Die Spitzen des Regierungsbündnisses wollen Eckpunkte der „Grundrente“ beschließen und Elemente des „Klimapakets“ identifizieren – aber eigentlich geht es nach der Sommerpause (und kurz vor den Wahlen in Brandenburg und Sachsen) nur noch darum, den Deutschen einen politischen Paradigmenwechsel anzuzeigen: Schluss jetzt mit Schwarzer Null und engem Gürtel, mit Haushaltsdisziplin und Kleininvestitionen, jetzt wird geklotzt, nicht gekleckert – jetzt hauen auch wir das Geld der Notenbanken raus, solange es noch billig ist!

Für die Rahmenbedingungen der leicht absehbaren Ausgaben-Bonanza in den 2020er Jahren sorgt einmal mehr die Europäische Zentralbank (EZB). Sie hat in der Person von Mario Draghi bekanntlich die Rolle übernommen, die Winston Wolf in Quentin Tarantinos Pulp Fiction ausfüllt: die Rolle des Fixers und Cleaners, der alle Beweise und Spuren am Ort einer Missetat vernichtet. Vor zehn Jahren hat Draghi das Blutbad des finanzmarktliberalen Staatsschuldenkapitalismus beseitigt – einer Wirtschaftsform, in dem Kreditmakler als haftungsfreie Lizenznehmer einer Politik aufgetreten waren, um deren längst illusorisch gewordene Wachstums- und Wohlstandsversprechen aufrechtzuerhalten.

Weil die Politik es aber auch im Jahre elf nach der Finanzkrise nicht geschafft hat, die ökonomischen Ungleichgewichte im Euro-Raum auszubalancieren, hat der Niedrigzins längst den Charakter eines geldpolitischen Dauerinstruments angenommen: Der real existierende Zinskeynsianismus verbilligt den Euro und begünstigt die (deutsche) Exportwirtschaft, er erleichtert (etwa Italien) die weitere Verschuldung und erspart der Politik Reformen – übrigens nicht nur in Europa.

Aber es hilft alles nichts. Der Handelsstreit zwischen den USA und China, die Brexit-Furcht und das Italien-Drama belasten die Wirtschaft, die Unternehmen weltweit halten sich mit Investitionen zurück, das trifft vor allem die deutsche Export-, Ausrüstungsgüter- und Maschinenbau-Industrie empfindlich – also macht plötzlich, nach zehn Jahren eines geldpolitisch induzierten (Schein-)Booms, das böse R-Wort die Runde: Rezession. Und tatsächlich, die Wirtschaft in Deutschland schrumpft (minus 0,1 Prozent), die Industrieproduktion bricht ein (minus 5,1 Prozent), der Export lahmt (minus acht Prozent), die Konzerne geben Gewinnwarnungen raus, ihre Personalabteilungen schmelzen Überstunden ab – die Stimmung schlägt um (ifo-Geschäftsklimaindex).

Für den Cleaner Mario Draghi muss es ein Fest sein. Er will seiner Nachfolgerin Christine Lagarde ein bestelltes Feld (eine mächtige Institution) hinterlassen, bereitet für die nächste EZB-Sitzung am 12. September seinen letzten großen Auftritt vor, und kündigt über Ratsmitglied Olli Rehn bereits heute eine Neuauflage billionenschwerer Anleihekäufe an (obwohl deutsche Staatsanleihen über zehn Jahre bereits bei minus 0,7 Prozent „rentieren“) sowie eine Verminderung des negativen Einlagensatzes für Banken (die ihr Geld nicht parken, sondern verleihen sollen).

Seither wissen die Regierungen in Europa: Der Niedrigzins bestimmt die Richtlinien der Wirtschaftspolitik (auch) in den nächsten zehn Jahren. Und das ist keine gute Nachricht. Denn anders als 2008, als die Notenbanker „the only game in town“ waren, so der Ökonom und Fondsmanager Mohamed A. El-Erian, als Draghi und Fed-Chef Bern Bernanke mit „quantitativer Lockerung“ und „Forward guidance“ selbstbewusst marktkonforme Demokratien stabilisierten, weil die Regierungen dazu nicht in der Lage waren, sind die Notenbanker heute mehr oder weniger willige Helfer von politischen Figuren wie Donald Trump, Boris Johnson und Matteo Salvini. Anders gesagt: Fallende Zinsen und schmerzfreie Defizite befestigen 2019 die Macht von Rechtspopulisten. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass Märkte keine linken Regierungen dulden, die sich monetäre oder fiskalische Freiheiten nehmen – wohl aber rechte Regierungen hofieren, die dasselbe tun.

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