Tauchsieder
Ein Kind steht vor einem großen Bildschirm mit einer Slideshow von Fotos des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Quelle: dpa Picture-Alliance

Auf nach China? Raus aus China?

Nie mehr abhängig – seit Russland die Ukraine vernichten will und Europa den Gashahn abdreht, eskaliert die Kritik an China. Das hat Gründe. Ist aber politisch irreführend, ökonomisch riskant – und moralisch selbstgefällig. Eine Kolumne.

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Xi Jinping ist als Präsident das Staatsoberhaupt Chinas. Er befehligt als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission Chinas die Streitkräfte des Landes. Und er ist als Generalsekretär der Chef der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), das vor allem: Das Zentralkomitee der KPCh (350 Mitglieder) lenkt das Land, das Politbüro (25 Mitglieder) skizziert den Kurs, der Ständige Ausschuss (fünf bis neun Mitglieder) weist die Richtung – die inzwischen allein der Generalsekretär, der Große Vorsitzende Xi Jinping vorgibt.

Deshalb ist der 20. Parteitag der KPCh, der heute beginnt, ein Weltereignis: Weil Xi Jinping an der Spitze einer maximal undurchsichtigen, straffen, korrupten, auf Linientreue getrimmten kommunistischen Kaderpartei in Peking auch die Politik in Washington, Brüssel und Berlin, das Leben der Menschen in Mailand, München und Mönchengladbach mitbestimmt.

Alles andere als die Führung der KPCh ist nachrangig in Chinas Machtarithmetik. Übrigens auch zeitlich. Die 2296 Marionettendelegierten werden Xi in den nächsten Tagen als Chef der Partei und des Militärs bestätigen, und das „Volkskongress“ genannte Scheinparlament wird ihm 2023 eine dritte Amtszeit als Präsident antragen, so ist es bereits seit viereinhalb Jahren beschlossen.

Xi, der das Land seit 2013 führt, hat das vom autoritativen Reformer Deng Xiaoping in den Achtzigerjahren etablierte Konzept der kollektiven Führung und permanenten Gremien-Beratschlagung sukzessive außer Kraft gesetzt und sich zum autoritären Alleinherrscher aufgeschwungen.

Seine Machtfülle ist nurmehr mit der von Mao vergleichbar. Und weil er meint, China habe „nach 100 Jahren der nationalen Demütigung“ endlich die Geschichte und die „Gerechtigkeit auf seiner Seite“, ruft er jetzt die KPCh zu den Waffen, um auf dem „Schlachtfeld“ den Kampf gegen den Westen um „die Menschenherzen und Massen“ für sich zu entscheiden.

Treibt Xi diesen Kampf auf die Spitze? Was für eine Frage. China sucht keinen Premiumplatz in einer neuen Weltordnung nach dem „Washington Consensus“. China beansprucht ihn, findet ihn – und wird ihn sich nehmen.

Entsprechend groß sind die Risiken. Und sie wachsen mit Xi als „Supreme Leader“, der sich (wie Russlands Despot Wladimir Putin) zugleich als Volkserzieher und Geschichtsdeuter, Staatsphilosoph und Nationenbaumeister versteht. Der seine extensiven Schriften und Sentenzen in den Rang verpflichtender Schullektüren und Volksbibeln erhebt.

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Xi spinnt sich ein in selbstlegitimatorische Weltbilder, die dem politischen Zentralgedanken des aufgeklärten Abendlands (Die Würde des Menschen stattet ihn mit „naturrechtlich“ angeborenen Freiheitsrechtes gegen den Staat aus) Hohn sprechen.

Xi schickt sich an, die globale Nachkriegsordnung der Vereinten Nationen einseitig aufzukündigen, indem er die konstitutive Gleichrangigkeit von Völkerrecht und Menschenrechten dementiert: Seine theoretischen Überlegungen sind längst auch tätige politische Praxis.

Xi schmiedet die historische Herabsetzung, koloniale Entwürdigung und kriegerische Vernichtung Chinas im 19. und 20. Jahrhundert in nationalstolze Hegemonialansprüche der Gegenwart um.

Xi weist alle Kritik an „Chinas Weg“ als (abermals) ungebetene Einmischung in innere Angelegenheiten, alle Verletzungen der Menschenrechte als illegitime Übergriffigkeit geschichtlich kompromittierter Westmächte zurück.

von Max Haerder, Stephan Knieps, Angela Maier, Jürgen Salz, Dieter Schnaas, Christian Schlesiger, Martin Seiwert, Jörn Petring, Silke Wettach

Xi inszeniert sich als intellektuelle Zentralfigur einer alternativen, globalen Ordnung souveräner Länder(chefs), als Leitstern einer „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“.

Die Risiken dieser Umsturzversuche in Zeitlupe betreffen natürlich auch China selbst, das mit „stabilen Verhältnissen“ auch sein bisheriges Wirtschafts-, Wachstums- und Wohlstandsmodell aufs Spiel setzt. Sie betreffen die KPCh, die sich ihrer Macht nur sicher sein kann, solange die Mehrheit der Bevölkerung annimmt, von ihr gut, also reichtumsmehrend regiert zu werden.

Sie betreffen aber auch Taiwan, dessen gewaltsame Vereinnahmung China inzwischen regelmäßig, fast schon routiniert ankündigt. Und die Anrainer der Südchinesischen und Japanischen Meere, die das zunehmende Dominanzstreben, die Expansionslust und den Aufrüstungswillen des großen Nachbarn fürchten.

Und sie betreffen natürlich auch alle ausländischen Unternehmen im Land. Konzerne und Mittelständler müssen in den nächsten Jahren mit einer forcierten Politisierung ihres China-Engagements und „übergeordneten nationalen Interessen“, mit spitzentechnologischen Sanktionsregimen (vor allem der USA) und im Falle eines Krieges Chinas gegen Taiwan mit dem Zusammenbruch ihres Geschäfts, mit Konfiskationen und Verstaatlichungen rechnen.

Sage später niemand, er habe es nicht kommen sehen können. Der „chinesische Schwan“ ist schneeweiß. Die Rehabilitation Chinas ist nicht nur das polithistorische Zentralprojekt der KPCh, sondern auch nationalphilosophische Staatsdoktrin: China versteht sich vor allem als ethnisch geeinte Zentripetalkraft – als „Reich der Mitte“, das in den nächsten zwei Jahrzehnten, traditionell ausgestattet mit dem „Mandat des Himmels“, seinen ihm gebührenden Platz in der Weltgeschichte einnimmt. Als regionale Führungsmacht, die ihre asiatischen Nachbarn mit Entwicklungs- und Prosperitätsversprechen in ihren Bann zu ziehen versteht. Als „natürlichen Hegemon“, der kraft Autorität und Macht, Strenge und Güte letztlich alle Welt von den Segnungen tributpflichtiger Beziehungen wird überzeugen können.

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