Tauchsieder
Bransons Unternehmen Virgin Galactic hat bereits 600 Ausflüge an den Rand des Alls zum Preis von 250.000 Dollar verkauft, heißt es. Quelle: via REUTERS

Ein Hoch auf Branson, Bezos, Musk!

Die touristische Eroberung des Weltraums – nur ein Kick für Hochprivilegierte, ein Kräftemessen der Milliardäre? Von wegen. Das Trio feiert die Zukunft einer Ökonomie aus dem Geist der Verschwendung. Das ist wegweisend.

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Am 20. Juli, dem Jahrestag der Mondlandung, bricht nun also auch Jeff Bezos zur Kaffeefahrt in den Weltraum auf, acht Tage nach Richard Branson und ein paar Monate vor Elon Musk, der bereits ein Ticket bei Branson gebucht hat, um seinerseits alsbald einen astronautischen Augenblick auf die Erde werfen zu können. Und das soll erst der Anfang der touristischen Erschließung des erdnahen Weltraums sein. Bransons Unternehmen Virgin Galactic hat bereits 600 Ausflüge an den Rand des Alls zum Preis von 250.000 Dollar verkauft, heißt es.

Bezos“ Blue Origin versteigerte im Juni eine von zwei ersten Mitfahrgelegenheiten in der New Shephard für 28 Millionen Dollar - an einen unbekannten Bieter, der eines vollen Terminkalenders wegen um eine Verlegung seiner Stippvisite bat; nun schnallen sich neben den Bezos-Brothers Jeff und Mark die 82-jährige Wally Funk und der 18-jährige Millionärssohn Oliver Daemen an, die älteste und der jüngste aller Weltraumfahrer- und fahrerinnen, um sich ein klein wenig weiter als Branson ins All katapultieren zu lassen.

Und dann sind da noch die drei Tickets für den etwas anspruchsvolleren Zehn-Tages-Trip zur internationalen Raumstation im Jahr 2022, die Elon Musks Firma SpaceX zu je 55 Millionen Dollar verkauft hat. Drei Angebote – eine Botschaft: Jeder und jedem steht das All offen. Erst den Reichen, später allen. Einfach Ticket buchen. Anstellen. Spaß haben. Wie auf der Achterbahn im Phantasialand.

Aus journalistischer Perspektive könnte man es beim Nachrichtlichen belassen, über die Fortschritte der privaten Raumfahrt berichten, in immer kürzerer Folge Raketenstarts protokollieren: Die Geburt eines All-inclusive-Tourismus der anderen Art. Oder genrespezifische Akzente setzen. Der Boulevard könnte etwa über drei große, reiche Jungs schreiben, ihre Kindheitsträume und Star-Trek-Fantasien. Das Feuilleton könnte dunkelraunend an das Schicksal des Ikarus erinnern, die schmale Grenze zwischen Übermut und Tollkühnheit vermessen oder auch eine Verfallsgeschichte der Luftfahrt erzählen, vom heroischen Entdeckertum der Lilienthals, Gagarins und Armstrongs zum konfektionierten Abenteuerchen der „Bezos“ und „Bransons“ mit Ausblick aus dem Panoramafenster.

Und Wirtschaftsredaktionen könnten die Geschichte des Transatlantikflugs nacherzählen, von der ersten Querung (1919) über den exklusiven Premierenflug der Lufthansa „Super Constellation“ (1955) bis hin zu den 300-Euro-Angeboten für jedermann – mithin eine Geschichte der sukzessiven Verbilligung, Vermarktlichung und Demokratisierung von Technologie: Fliegt die halbe Menschheit womöglich im Jahr 2121 zum Mars so wie die halbe Menschheit heute nach New York fliegt?

Einiges davon würde man vielleicht gerne lesen. Stattdessen bekam man dieser Tage einen unappetitlichen Mix aus Missgunst und Misandrie vorgesetzt, eine abgestandene Cuvée aus Kultur- und Kommerzkritik serviert. Reichtum plus Geschwindigkeitsspaß und Maskulinität mal fossile Raketentreibstoffe – schon pocht der Puls der Empörungsbereiten! Und wie schön leicht einem ein Text von der Hand geht, wenn man sich übers Schnöde und Schnöselige erheben kann, über die „Kommerzialisierung der Raumfahrt“ und die „Entzauberung des Weltraums“, den „Milliardärswahnsinn“ und den „Kick für Hochprivilegierte“.

Einige scheinen gar nicht zu wissen, was sie obszöner finden sollen: den Ticketpreis oder den Testosteronhaushalt weißer Männer, die Weil-ich-es-kann-Mentalität der Superreichen oder den Schaden fürs Weltklima, die Infantilität der Wohlstandsverwahrlosten oder die Sinnfreiheit ihrer Weltraumausflüge: Nesteln da nicht drei pubertierende Jungs ihre Geschlechtsteile hervor, um zu wetteifern, wer den größten…, wer am weitesten…?

Nun, in solch urteilenden Texten lernt man bekanntlich mehr über die Urteilenden als über die Verurteilten. Versuchen wir’s daher nicht emotional und küchenpsychologisch, sondern soziologisch kalt und ökonomisch nüchtern. Und fangen an mit dem Ticketpreis. 250.000 Dollar also für einen paar Minuten Schwerelosigkeit und Astronautenblick – was wäre darüber zu sagen? Erstens: Das ist viel. Zweitens: Das ist nicht viel angesichts der Tatsache, dass ein Privattrip ins All noch vor zehn Jahren unbezahlbar, ja unmöglich schien. Drittens: Das ist relativ wenig, wenn man bedenkt, dass bereits eine 38-Quadratmeter-Wohnung in Köln heutzutage in etwa das Gleiche kostet und viele Menschen bereit sind, auch für Nagelfelder und quietschbunte Ballonhunde Summen zu erübrigen, die vier- bis zwanzigmal so hoch liegen.

Viertens: Das ist erst recht wenig für mehr als 100.000 Reiche, die in den USA, China und Deutschland ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar verwalten: Für diese Reichen sind 250.000 Dollar dasselbe wie 250 Dollar für einen, der 50.000 Dollar sein eigen weiß. Und das heißt fünftens, dass es einen Markt geben könnte für Weltraum-Trips – so wie es auch einen Markt für Ferraris und Yachten und Klecksereien von Jean-Michel Basquiat gibt. Kurzum: Bransons Firma Virgin Galactic kann zu einem Premium-Anbieter im Tourismusgeschäft des 21. Jahrhunderts avancieren. Was wäre dagegen einzuwenden?

Die Sinnlosigkeit? Immerhin könnte man „von dem Geld… viele Coronaimpfungen kaufen“, heißt es. Sicher, das könnte man. Aber das könnte auch jeder Journalist, entsprechend seiner Gehaltsstufe, beispielsweise wenn er den Sinn seiner Existenz nicht jeden Abend an der Garderobe eines Streamingdienstes abgeben würde, um sich mit einer Folge „Mandalorian“ ins Star-Wars-Universum zu befördern. Im Übrigen, ganz kleines Einmaleins der Ökonomie: Es mangelt nicht einerseits an Geld für Impfstoffe, weil genau dieses Geld andererseits für Weltraumausflüge rausgehauen würde (Das dürfte auch den Freunden der Modern Monetary Theory einleuchten). Und natürlich sind auch sinnlose Ausgaben, volkswirtschaftlich gesehen, ein Bereicherungsfaktor.

Wo ist das Problem?

Das Wunder des Kapitalismus, zumindest in den Verwöhnzonen der westlichen Welt, besteht schließlich seit mehr als 100 Jahren darin, dass sein Schwungrad nicht nur von Seiten des Angebots, der Produktion und des Profitstrebens ausbeuterischer Kapitaleigner angetrieben wird, sondern auch vonseiten des Konsums, der Nachfrage und des Freizeitverhaltens derer, die als Superreiche oder „abhängig Beschäftigte“ mehr oder weniger gutes Geld verdienen, um es anschließend zu verjubeln.

Eitelkeit? Ego? Verschwendung? Es soll Blechschlosser geben, die 15000 Euro für eine Hochzeit ausgeben, die sich sich eigentlich nicht leisten können, und Mittelmanagerinnen, die schon 30000 Euro für Coaches erübrigt haben, um sich im Glanz der Selbstannahme zu sonnen, ihr berufliches Ich surfe immer vor der Welle. Und? Einer wie Branson hebt halt lieber ganz buchstäblich ab – wo bitteschön liegt das Problem? Da entziehen sich also drei Großprofiteure des Kapitalismus endlich mal dem reinen Gewinnstreben und Nützlichkeitsdenken, bringen den homo oeconomicus in sich um Schweigen, vergeuden sich ans Romantische, Irrationale, Träumerische - und schon soll es wieder nicht recht sein?

Im Übrigen: Wer wollte ausgerechnet Elon Musk vorwerfen, er wüsste nichts Besseres mit seinem Leben anzufangen? Es sind schließlich nicht die retrospektiven Lebensentwürfe, naturkonservierenden Verhaltensweisen und konsumaversen Kulturkritiken der eigenen Tradition, die der Wachstumsstory grüner Anliegen seit zwei, drei Jahren ihren Drive verleihen, sondern lösungsorientierte Tüftler, Ingenieursgründer und Zukunftsfreunde à la Musk, die mit ihrer großspurigen Lust an der Verausgabung von (Geld- und Zeit-)Ressourcen zeigen, dass man Klimasorgen am besten tätig-entschlossen bewirtschaftet, um sie zu minimieren.



Tatsächlich ist es eine der schönsten Ironien der jüngeren Geschichte überhaupt: Die Grünen verdanken nicht nur den Kassandradiensten von Greta Thunbergs FFF-Bewegung und einer sich zunehmend aufdrängenden Macht des Faktischen (Extremwettereignisse), sondern auch einem Mindset der Verschwendung die Aussicht auf eine ökonomisch effiziente Bearbeitung des Klimawandels und des Artensterbens – und damit die Popularisierung ihrer Generalanliegen.

VW-Chef Herbert Diess ist in Deutschland ein Protagonist dieses neuen Wirtschaftsverständnisses aus dem Geist des Überschusses und der Verausgabung, des betriebswirtschaftlichen Eros und Exzesses; er war sich nicht zu schade, bei Musk in die Lehre zu gehen und hat verstanden, was Disruption bedeutet: Wenn ich auf meinem bisher erfolgreichen Geschäftsmodell beharre, gefährde ich dessen Zukunft; es geht jetzt darum, mein Geschäft während des laufenden Betriebs zu zerstören. Dazu bedarf es „einer ganz eigenen Kompetenz“, schreibt der Wirtschaftsphilosoph Wolf-Dieter Enkelmann – eine Kompetenz, „die durch die ökonomische Rationalität der Effizienzsteigerung und Profitmaximierung nicht gedeckt ist“. Und die statt dessen auf einen wie Georges Bataille zurückgreifen muss, auf einen Artisten des inspirierenden Widerspruchsdenkens - auf einen Surrealisten ganz am Rand der ökonomischen Theorie.

Bataille hat im Jahr 1933 über den „Begriff der Verausgabung“ geschrieben und in dem kurzen Text „das Prinzip des Verlustes“ als Primärenergie jeder wirtschaftenden Kultur gewürdigt: Luxus, Trauerzeremonien, Prachtbauten, Spiele, Kriege und Kulte, so Bataille, seien keinen Nützlichkeitserwägungen unterworfen, hätten ihre Basis im Verlust, „ihren Zweck in sich selbst“: Kulte verlangten „eine blutige Vergeudung von Menschen und Tieren“. Bei Wettkämpfen würden „in Form von Wetten werden irrsinnige Summen eingesetzt„. Im „Potlatsch“ indigener Kulturen stünden kostspielige Gaben und Geschenke am Anfang aller Ökonomie, und weil sie eine Verpflichtung zur Gegengabe einschlössen, so Bataille im Anschluss an Marcel Mauss, habe der Tauschprozess „seine Grundlage in einem Verschwendungsprozess, aus dem sich dann ein Erwerbsprozess entwickelt“.

Es ist hier nicht der Platz, die sprühenden Gedanken Batailles näher auszuführen – etwa dass die Reichen in der Bourgeoisie sich, anders als ihre aristokratischen Vorgänger, „durch die prinzipielle Weigerung“ auszeichnen, ihrer „Verpflichtung zur funktionellen Verausgabung“ ihrer Reichtümer noch nachzukommen - und statt dessen beschlossen hätten, sie „nur für sich selbst zu verschwenden“ (alle Kursivsetzungen von Bataille).

So etwas gehört in einer freien Gesellschaft natürlich diskutiert und kritisiert – so wie Bezos kritisiert gehört, weil er seine Mitarbeiter kurz hält, oder Musk, wenn er mal wieder bei Twitter durchdreht, oder Branson, wenn er in seinem Steuerparadies zum Smartphone greift, um den britischen Staat anzubetteln. Allein für die irrationale Verausgabung von Ressourcen, ihr Testosteron und ihre überschüssige Energie gehören die drei eher nicht kritisiert. Ihre Weltraumabenteurerei basiert womöglich auf einem Geschäftsmodell. Sie dient womöglich der Wissenschaft (jedenfalls im Falle von Musk).

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Und sie ist Ausdruck einer womöglich produktiven Vergeudung, die unser Wirtschaften in den nächsten Jahrzehnten prägen wird: Nicht nur Musk und Diess machen darauf die Probe aufs Exempel, sondern etwa auch Joe Biden und Ursula von der Leyen mit ihren milliardenschweren „Green New Deals“. Wessen Verschwendungen die Menschheit am Ende mehr bereichert haben werden? Das steht heute noch in den Sternen.

Mehr zum Thema: Jeff Bezos führt zusammen mit Elon Musk die Liste der reichsten Menschen der Welt an, Bill Gates landet auf Platz vier. Die drei Techunternehmer denken und handeln überraschend ähnlich. Fünf Erfolgsregeln, die auch anderen helfen, ihre Ziele zu erreichen.

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