Tauchsieder Afrikas große Gelegenheit

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Mehr Menschen kann auch heißen: Mehr Ideen, mehr Markt

Und Afrika? Aus ökonomischer Sicht spricht nichts dagegen, dass viele Länder des Kontinents in den nächsten Jahren auf einen gesunden Wachstumspfad einschwenken. Entscheidend seien nicht Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle, so Schneiderheinze und Benček: Ökonomisch gesprochen, könne jeder Mensch einer Volkswirtschaft nur schaden, wenn ihre Produktivität von fixen Faktoren abhinge – wenn ihr Produkt durch mehr Köpfe geteilt werden müsse.

Mit den richtigen ökonomischen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen ließe sich daher durchaus eine wachsende Zahl von Menschen problemlos in ein Wirtschaftssystem integrieren. Denn mehr Menschen, das könne auch bedeuten: mehr Ideen, mehr Markt, mehr Entwicklung, mehr wirtschaftliche Dynamik.

Was es daher vor allem brauche in Afrika, seien massive Investitionen in die Infrastruktur, globale Investitionsströme, ein beschleunigter Wissenstransfer. Seien Korruptionsbekämpfung, Rechtssicherheit, ein garantierter Schutz des Eigentums. Seien Aufklärung, Bildung, Maßnahmen zur Emanzipation und zur Gleichstellung der Frauen – etwa eine schleunige Verteuerung der Kinderkosten durch die Integration von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, so wie etwa Bangladesch es beispielhaft vorgemacht habe. Und zwar schnell. Denn um seine demographic opportunity zu nutzen, blieben Afrika, so Schneiderheinze und Benček, vielleicht 30, 40 Jahre: „In diesem Zeitfenster muss die Entwicklung abheben.“

Die extremen Bevölkerungsprognosen für Sahel-Afrika im Jahre 2100 werden nicht eintreffen, sagt Demograf Reiner Klingholz. Entweder wird es zu Katastrophen kommen – oder Afrika findet dank Bildung den Entwicklungspfad.
von Ferdinand Knauß

Und wenn nicht? Die bittere Wahrheit ist, dass die Konstellationen in vielen Ländern Afrikas denkbar schlecht sind – und die Chancen groß, dass der Kontinent seine Gelegenheit verpasst – eben weil die Wende vor allem in den Händen Afrikas, seiner vielen korrupten Regierungen und antidemokratischen Potentaten, liegt. Denn die Herausforderungen sind einerseits herkulisch: 43 Prozent der Menschen in Sub-Sahara-Afrika sind jünger als 15 Jahre alt. 20 Millionen Jugendliche drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Zwei Millionen neue Lehrer muss Afrika jedes Jahr ausbilden.

Und die ökonomische Ausgangslage ist andererseits, miserabel. Afrika verfügt zwar über recht gut ausgebildete Menschen und eine räumliche Nähe zu Europa, so IW-Ökonom Hubertus Bardt, und schaue man sich den Kontinent kleinräumiger an, so gebe es keinen Grund, seine Zukunft nur in düsteren Farben zu malen.

Allerdings sprechen eine Reihe von Gründen gegen eine günstige Entwicklung: Afrika ist spät dran. Die meisten ökonomischen Nischen sind besetzt. Niedrige Lohnkosten spielen angesichts einer fortschreitenden Automatisierung eine wesentlich geringere Rolle als noch vor 20, 30 Jahren, als die asiatischen „Tigerstaaten“ sich in den Weltmarkt integrierten. Als einheitlicher, wachstumshungriger Absatzmarkt (wie China) kann Afrika nicht punkten. Und ihm stehen bei seiner Entwicklung schon gar keine unbegrenzten natürlichen Ressourcen zur Verfügung so wie einst den Europäern. Im Gegenteil: Viele Länder Afrikas und im Mittleren Osten kämpfen mit Dersertifikation und Wasserknappheit.

Das Ergebnis: In vergangenen Dezennium ist es Afrika nicht gelungen, „der steigenden Bevölkerungszahl mit einer steigenden wachsenden Wirtschaftsleistung zu begegnen“, heißt es in der IW-Studie, und: „Auffallend ist der kontinuierliche Rückgang der Wachstumsraten von rund 6,5 Prozent (2007) auf nur noch etwa 1,5 Prozent (2016).“ Angesichts eines durchschnittlichen Bevölkerungswachstums von rund 2,5 Prozent ist das Pro-Kopf-Einkommen in Afrika zuletzt sogar gesunken.

Im Moment scheint daher nur eines sicher: Das „Non plus ultra“ vieler Afrikaner wird auch in naher Zukunft die Einwanderung nach Europa sein.

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