Tauchsieder
Quelle: REUTERS

Was kommt nach dem Liberalismus?

Der Soziologe Philipp Staab stellt uns Google und Apple in einer Studie als Merkantilisten vor, die keine Werte schaffen, sondern leistungslose Renten erwirtschaften. Damit kommt er der Wahrheit erschreckend nah.

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Jeremy Rifkin ist bekanntlich immer auf der Halbhöhe der Zeit. Sein Geschäftsmodell besteht in der vortragsweisen Distribution angstbesetzter Gegenwartsdiskurse, in der leitartikelnden Reformulierung sich augenblicklich vollziehender Gesellschaftstrends – und in der seriellen Produktion von Büchern, in denen er ein brandaktuelles Megasorgenthema zwangsoptimistisch bearbeitet, um aus ihm eine sonnenhelle Utopie zu extrahieren. Vor ein paar Wochen rief der amerikanische Ökonom den „globalen Green New Deal“ aus, logisch, das Thema hat in den vergangenen Monaten die ganze Welt erobert, weshalb man schon befürchten musste, dass auch Rifkin von ihm Notiz genommen hat. Und natürlich, auch diesmal weist uns der Wachtturm-Ökonom bereits im Untertitel den Weg aus dem Fegefeuer zum Heil: „Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann.“

Rifkin rettet die Welt? Das kann nur anmaßend finden, wer nicht weiß, dass der Hochgeschwindigkeitshändler steiler Thesen die Welt vor zweieinhalb Jahren schon einmal gerettet hat – damals vor dem Kapitalismus. Rifkin prophezeite: Die Wirtschaft der Zukunft wird nicht mehr von unternehmerischen Einzelhelden oder vom Finanzkapital der Geldeliten an den Börsen angetrieben, sondern vom global zirkulierenden Sozialkapital einer vernetzten Weltgemeinde, die sich dezentral, zirkulär und nachhaltig selbst organisiere. Rifkin schwebt eine Welt der schlanken Technologien und sauberen Energien vor, in der Produktivitätsfortschritte ohne ökologische Schäden erzielt werden und intelligente Roboter in miteinander kommunizierenden Vor-Ort-Fabriken just in time alle Güter des täglichen Bedarfs herstellen – eine Welt, in der grünsolidarische Genossenschaftsunternehmer ihre Wohnungen tauschen und Stromfarmen auf ihren Hausdächern betreiben, um sich in selbst ausgedruckten Elektroautos ins Fünf-Tage-Wochenende fahren zu lassen – kurz: eine Welt, „in der fast alle Güter und Dienstleistungen nahezu kostenlos sind, in der es keinen Profit mehr gibt, in der Eigentum bedeutungslos und der Markt überflüssig geworden ist“.

Der Soziologe Harald Welzer spottet zu Recht, dass in „Rifkins Welt“ wohl auch Bier und Kartoffeln, Ölbohrinseln und Seltene Erden aus dem 3-D-Drucker entspringen. Das Internet ist nun mal kein digitaler Kirchentag, auf dem sich lauter Wohlgesinnte ihrer Wohlgesinntheit versichern, sondern ein wirtschaftspolitischer Machtbezirk, in dem es um die Aneignung, Nutzung und algorithmische Ausbeutung von Kundendaten geht.

Für den Berliner Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han sind Rifkins Projektionen daher nichts als rosarote Hirngespinste. Er sieht nicht nur die „Totalkommerzialisierung des Lebens“ weiter auf dem Vormarsch, sondern durch die „Sharing Economy“ auch förmlich auf die Spitze getrieben. Der Community-Gedanke sei für die Agenten des Techno-Kapitalismus nur das verführerisch funkelnde Vehikel, um kontaktsensible, stets auf positive Rückkopplung bedachte Facebook-Ichlinge für ihre Geschäftszwecke ein- (und aus-)zunehmen. Mit einer solidarischen Gesellschaft habe das rein gar nichts zu tun, so Han, im Gegenteil: Der Kapitalismus vollende sich in dem Moment, in dem er als Spiegelbild des Altruismus bewundert wird – und den Kommunismus als Ware verkauft.

Das ist hübsch gesagt. Und seine Kapitalismuskritik kommt der Wirklichkeit gewiss näher als Rifkins naiver Solidar-Positivismus. Unternehmen wie Alphabet, Amazon und Apple belegen, dass die Produktion „nichtrivalisierender“ Güter, für deren Bereitstellung an jeden weiteren Konsumenten die Grenzkosten gen Null tendieren (digitalisierte Musik, Filme und Informationen) die Konzentration von Kapital und Macht, mithin die Entstehung von Monopolen begünstigt. Das Phänomen ist seit Jahren als Doppeleffekt, als Mischung von Skalen- und Netzwerkeffekten auf der Angebots- und Nachfrageseite theoretisch markiert. Auf der Angebotsseite wirken Skaleneffekte auf der Basis niedriger Grenzkosten, das heißt: (Nur) weil die Distributon einer einmal entwickelten Software beinahe kostenlos und unbegrenzt verfügbar ist, kann eine Plattform wie Airbnb mit einer guten Idee und zwei Dutzend Mitarbeitern im Handumdrehen die Welt erobern. Der Erfolg einer Plattform wiederum hängt vor allem von ihrem Wachstum ab – auf Kosten der Konkurrenz, denn (nur) mit der Zahl der Nutzer steigt auch der Wert der Plattform für die Nutzer: ein sich selbst verstärkender Prozess („Netzwerkeffekt“), der die Starken stärkt und die Schwachen schwächt – so lange, bis der Stärkste überlebt: The Winner takes it all.

So weit, so bekannt. Doch was ist der analytische Kern dieser Beobachtungen? Worin liegt die kategoriale Differenz zwischen dem Industrie- und Digitalkapitalismus? Was unterscheidet Monopolbildungen im frühen 20. Jahrhundert von denen im frühen 21. Jahrhundert? Die meisten Bücher zum Thema versuchen erst gar nicht, diesen Fragen auf die Spur zu kommen. Kulturwissenschaftler stellen routiniert den lächerlichen (Er-)Lösungsfanatismus der Silicon-Valley-Visionäre bloß, sorgen sich um die Echokammern der Sozialen Medien, die algorithmische Auto-Quantifizierung und Selbst-Zurichtung ehemals zur Freiheit bestimmter Menschen („Data Love“); besorgte Ökonominnen warnen vor politischen Folgephänomenen („Überwachungskapitalismus“); Philosophen suchen die Möglichkeiten und Risiken von Künstlicher Intelligenz auszuloten („Maschinenethik“). Das alles ist wichtig. Doch die meisten dieser Bücher sättigen nicht, weil sie summarisch erfassen, empirisch belegen und phänomenologisch beschreiben, was zunächst einmal seinem Wesen nach erfasst werden müsste.

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