Terrassengespräch „Fakten sind Verhandlungssache geworden“

CNN-Kommentatorin Symone Sanders und Miriam Meckel, Herausgeberin der Wirtschaftswoche, haben über politische Kommunikation sowie Fake News diskutiert. Und warum Donald Trump heute erneut gewählt würde.

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„Was Trump nicht gefällt, sind fake news.“

Symone Sanders hat in den USA eine politische Blitzkarriere hingelegt. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 war sie als Pressesprecherin für den demokratischen Kandidaten Bernie Sanders tätig. Heute arbeitet sie als politische Beraterin und kommentiert fast täglich das politische Geschehen auf CNN. Sanders ist ein Rollenmodell für junge Frauen in der Politik. Sie wirbt mitreißend für Reformen in der Politik und die Rolle der Qualitätsmedien. Beim Düsseldorfer Terrassengespräch der Handelsblatt Media Group diskutierte sie mit Miriam Meckel, Herausgeberin der Wirtschaftswoche, über politische Kommunikation, Fake News und die Zukunft der USA.

Léa Steinacker: Symone, wie kam es, dass eine junge schwarze Frau aus Omaha, Nebraska, für Bernie Sanders die Kampagnenkommunikation übernommen hat?
Sanders: Die Themen waren ausschlaggebend. Ich habe schon vorher in den Bereichen Verbraucherschutz und Handel gearbeitet. Das hat mich interessiert – und das sind auch die Themen von Senator Bernie Sanders. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich gerne in der Politik arbeiten möchte und wurde dann auch zu einigen Vorstellungsgesprächen eingeladen. Ich bekam zwar gutes Feedback, aber trotzdem wollte mich niemand einstellen. Sie wollten jemanden, der im Thema war und bereits viel Berufserfahrung hatte. Ich habe einfach weitergemacht, und es hat sich gelohnt. Nach meinem 27. Vorstellungsgespräch rief mich der Kampagnen-Manager von Bernie Sanders an.

Steinacker: Was wollte er von Dir?
Sanders: Er wollte, dass ich für Bernie arbeite. Er und ich haben uns lange zusammengesetzt. Nach dem Gespräch wusste ich, dass ich seine Pressesprecherin werden wollte. Bernie machte sich über die gleichen Themen Gedanken, die ich mit meinen Freunden diskutiert habe: Wirtschaft und Gleichberechtigung. Am Ende war es dann ganz einfach. Bernie mochte mich, ich mochte ihn. Also fragte er mich, ob ich für ihn arbeiten wolle. Der Rest ist Geschichte.

Steinacker: Deine Entscheidung war vor allem durch die Inhalte getrieben?
Sanders: Absolut! Es sind die Themen der Millennials in Amerika. Ich war 25 Jahre alt, als ich anfing für Bernie zu arbeiten. Ich entschied mich aus den gleichen Gründen für Bernie wie viele Millennials aus ganz Amerika auch: Er sprach über unsere Themen. Als Hillary Clinton den Vorentscheid der Demokraten gewonnen hatte, sind alle automatisch davon ausgegangen, dass alle Millennials jetzt für Hillary stimmen würden, aber das passierte nicht. Hätte jemand nach dem Grund gefragt, wäre die Antwort ganz einfach gewesen: Sie haben nicht geglaubt, dass Hillary sich für ihre Generation einsetzen wird. Hinterher sagten viele, die Jugendlichen hätten ihre Aussagen nicht richtig verstanden. Aber genau das ist der Fehler: Wenn wir mehr demokratische Gouverneure, Senatoren und Präsidenten haben wollen, müssen wir in der Lage sein, die Millennials zu verstehen und abzuholen. Das konnte Bernie.
Meckel: Das war für uns in Deutschland überraschend. Ein Mittsiebziger reißt die jungen Leute mit. Ich erinnere mich an eine Umfrage im April, bei der mehr als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen für Sanders stimmen wollten. Dabei ging es vor allem auch um das Thema Wirtschaft. Fast die Hälfte der jungen Leute sagten damals, das Land bewege sich in die falsche Richtung.

Steinacker: Hatte Senator Sanders auch einen Vorteil, weil er wusste, wie man durch soziale Medien junge Leute erreichen kann?
Sanders: Ich habe zwar für Bernie gearbeitet, aber ich habe nicht seinen Internetauftritt betreut. Trotzdem glaube ich, dass beide, sowohl Hillary als auch Bernie, die sozialen Medien für ihre Kampagnen sehr gut genutzt haben. Dabei hatte Bernie es anfangs viel schwerer. Die Medien haben ihn einfach ignoriert. Selbst als wir Tausende von Menschen in Portland bei einer Wahlkampfveranstaltung versammelt hatten, wurde nicht berichtet. Das hat sich erst geändert, als wir das nationale Komitee der Demokraten verklagten. Da wurden die Medien aufmerksam. Die Fernsehberichterstattung begann: Fox, MSNBC und CNN. Genau deshalb waren die sozialen Medien so wichtig für uns. Dort konnte Bernie seine Botschaften platzieren.

Steinacker: Miriam, welche Rolle haben die sozialen Medien im deutschen Wahlkampf gespielt?
Meckel: In Deutschland verändert sich die Kommunikation auch deutlich, trotzdem hinken wir da den USA hinterher. Twitter spielt bei uns kaum eine Rolle. Die deutschen Parteien nutzen die Plattform zwar, aber längst nicht so wie in den USA, wo der Präsident mit den 140 Zeichen Politik macht. Und vielleicht ist das ja nicht mal ein Nachteil. In Deutschland läuft der Wahlkampf noch sehr traditionell über das Fernsehen, die Zeitungen und Online-Medien ab. Die Partei, die am professionellsten die sozialen Medien und ihre Kampagnenmöglichkeiten eingesetzt hat, ist leider die AfD.

Steinacker: Würde sich die deutsche Mediennutzung verändern, wenn Politiker die Online-Plattformen stärker nutzen würden?
Meckel: Das hängt sicher zusammen. Wir wissen, dass junge Menschen sozialen Medien und ihren Inhalten immer stärker vertrauen. Die deutschen Parteien erproben aber gerade erst neue Kommunikationswege, um die potenziellen Wählerinnen und Wähler auch dort zu erreichen. Wenn sich diese Kommunikationslücke schließt, lassen sich jüngere Zielgruppen besser ansprechen.

Steinacker: Auch viele Randgruppen tummeln sich auf den sozialen Plattformen. Ist die Aufmerksamkeit in den Netzwerken nicht größer als der tatsächliche Rückhalt in der Bevölkerung?
Sanders: Auf jeden Fall. Facebook zeigt dir nur Dinge, die du magst und schlägt dir Leute vor, die ähnlich denken wie du. Dadurch bilden sich Gruppen, die ohne die sozialen Medien nicht so zusammengefunden hätten. Bei der Plattform „Breitbart“ war das der Fall. Mittlerweile hat diese rechtspopulistische Website eine Presseakkreditierung für das Weiße Haus. Der Leiter von Breitbart, Steve Bannon, war Chefstratege unter Donald Trump. Vor zehn Jahren wäre das absolut unmöglich gewesen, aber heute ist das die Normalität. Das ist die Gefahr von Online-Medien. Sie machen Randmeinungen zum Mainstream.
Meckel: ... und sie machen es immer schwieriger, in einem Wahlkampf gemeinsame Themen zu setzen, die eine Gesellschaft als ganzes interessieren müssten. Das wiederum hat Folgen für den Zusammenhalt. Eine Gesellschaft wird zum Sammelsurium von kleinen Interessensgruppen.


„Oh ja, ich vermisse Fakten schmerzlich“

Steinacker: Stehen wir als Journalistinnen und Journalisten in der Verantwortung, über extreme Meinungen und politische Randgruppen wie die AfD zu berichten?
Meckel: Die AfD wird als demokratische Partei eingestuft, sie kann an der Bundestagswahl teilnehmen und ins Parlament gewählt werden. Und das ist ja nun auch geschehen. Die Partei zu ignorieren beschert den Menschen Aufwind, die sowieso seit langem eine Verschwörung des politisch-publizistischen Komplexes vermuten. Das können wir also nicht machen. Auf der anderen Seite müssen wir auch nicht jede Provokation aufgreifen und ihnen dadurch zu viel Aufmerksamkeit widmen. Die AfD ist noch immer eine kleine Partei, da müssen wir die richtige Balance finden.
Sanders: Außerdem gibt es da noch einen Unterschied in der Berichterstattung. Informiere oder normalisiere ich? Wir haben die Pflicht, Entwicklungen nicht zu normalisieren. Das betone ich selbst oft, indem ich sage: „Es ist einfach nicht normal.“ Es ist einfach nicht normal, dass der Ex-Chefstratege des US-Präsidenten der Leiter einer rechtsextremen Plattform ist. Das müssen wir immer wieder berichten.
Meckel: Und wir müssen als Medien die Aussagen solcher Gruppen auf Fakten prüfen, Fehler und Unwahrheiten entlarven. Das ist unsere Pflicht.
Sanders: Oh ja, ich vermisse Fakten schmerzlich, in Amerika haben wir ja keine mehr. Früher haben wir diskutiert und wussten, dass wir alle von der gleichen Faktenlage ausgehen. Wenn wir uns heute unterhalten, haben wir nicht mal mehr die gleichen Grundlagen. Fakten sind bei uns Verhandlungssache geworden. Deswegen streiten wir jetzt über die Frage, ob der Klimawandel überhaupt real ist und nicht darüber, was wir gegen diese Entwicklung tun können.

Publikumsfrage: Frau Sanders, wie können wir Fake News in Zukunft verhindern?
Sanders: Die Medien in Deutschland und in Amerika müssen verstehen, wie wichtig es ist, so gut wie möglich zu berichten. Aber damit dürfen wir sie nicht alleine lassen. Auch wir müssen als Bürgerinnen und Bürger der USA und Deutschlands zu den Medien stehen. Sie sind es, die uns Informationen über Zusammenhänge bieten, die wir ohne sie niemals erfahren hätten. Es ist leicht, „Lügenpresse“ zu schreien, wenn die Medien eine Geschichte machen, die man nicht mag. Aber das ist ihr Job.

Steinacker: Wir müssen dabei auch auf die Technologie schauen: Algorithmen werden mächtig. Ein Beispiel ist das aktuelle Buch von Hillary Clinton. Amazon bietet das Buch an und musste offenbar mehr als 900 negative Rezensionen löschen, denn: Sie stammten nachweislich nicht von echten Lesern, sondern von Bots.
Sanders: Das ist der Grund, warum jedes Medium, jede Organisation und jeder Online-Marktplatz Moderation braucht. Die Menschen schauen dann, was kommentiert wird und können reagieren. Dadurch behält die Website ihre Authentizität und wird ihrer Verantwortung in Zeiten von Fake News gerecht. Wobei: Diesen Begriff sollten wir gar nicht mehr benutzen. Fake News ist ein Synonym geworden für „Dinge, die ich nicht mag“. Wenn CNN eine Nachricht bringt, bezeichnet Präsident Trump sie als Fake News, weil er sie nicht mag. Aber das sind keine Fake News, das sind Nachrichten, die er nicht hören will – ein großer Unterschied.
Meckel: Es gab kürzlich noch ein bedrückendes Beispiel für die Verzerrung im Netz: Facebook setzt nun wieder auf manuelle Kontrolle der Werbezielgruppensegmentierung. Das hatten vorher Algorithmen gemacht und eine Kategorie der „Judenhasser“ als Auswahlmöglichkeit für die zielgruppengerechte Werbung angeboten. Nochmal zum Verständnis: Niemand hatte sich das so ausgedacht. Der Algorithmus hat schlicht die Daten analysiert und festgestellt: Es gibt so viele Antisemiten, dass man daraus eine eigene Kategorie machen kann. Das passiert, wenn Software menschliches Verhalten analysiert und daraus Entscheidungen trifft. So hatten wir uns die Zivilisation ja nicht vorgestellt.
Sanders: Diese Analyse des Nutzerverhaltens wird die Zukunft sein. Momentan werden die Menschen in den USA anhand der Daten aus ihren Wählerprofilen nach demographischen Kategorien geordnet. Die Parteien haben darauf Zugriff und lernen so alles über ihre potenziellen Wähler. Aber über mich steht in dieser Datei bloß, dass ich 27 Jahre alt bin, einen Hochschulabschluss habe und eine afroamerikanische Frau bin, die in Washington, D.C. lebt. In der Akte steht nicht, dass ich Kekse und Beyoncé mag. Deshalb wäre ich nie in der gleichen Gruppe wie mein Kollege Frank, obwohl der auch Kekse und Beyoncé gut findet. Es gibt also Gemeinsamkeiten, die nicht anhand demografischer Kategorien bestimmt werden können, sondern durch Verhaltensanalysen. Diese Analysen werden das Wählerprofil in Zukunft mit Informationen füttern.

Steinacker: Angesichts dieser Beispiele kann man fragen: Wollen wir in Deutschland eigentlich alles so machen, wie die USA es uns vormachen?
Meckel: Die USA sind uns in der digitalen Entwicklung immer ein Stück voraus – und wir sind immer ein bisschen enttäuscht darüber. Denkt noch mal nach! Das kann auch mal ein Vorteil sein. Wir haben Zeit, uns über diese Entwicklung Gedanken zu machen und dort Korrekturmechanismen einzuziehen, wo sie offenkundig notwendig sind.

Publikumsfrage: Frau Sanders, in den USA muss man für einen Wahlkampf Hunderte Millionen Dollar aufbringen. Ist das noch demokratisch?
Sanders: Dagegen müssen wir etwas tun. Viele glauben inzwischen, dass die Politiker korrupt sind. Aber es geht eher um das System. Wir brauchen dringend eine Wahlkampfinanzierungsreform. Ich komme aus Omaha, Nebraska. Wenn man dort, wo ich geboren bin, im zweiten Distrikt Stadtrat werden will, braucht man 120.000 Dollar für die Registrierung. Das ist doch verrückt. Es ist nicht mal eine große Stadt. Viele Leute in Omaha würden niemals darüber nachdenken, Stadtrat zu werden, weil sie das Geld nicht aufbringen können.

Steinacker: Wenn Amerika heute noch mal wählen dürfte, würde Donald Trump gewinnen?
Sanders: Ja, und ich kann euch auch sagen, warum. Wir haben die Wähler befragt, die nach Obama für Trump gestimmt haben. Das sind ungefähr acht Prozent der gesamten Wählerschaft. Das mag wenig klingen, aber acht Prozent von 56 Millionen Wählern sind eine Menge Menschen. Wir wollten wissen, warum sie Donald Trump auch sechs Monate nach Amtsantritt noch immer unterstützen. Ihre Antwort war, dass man ihm schon ein Jahr Zeit geben müsse. Er sei neu, und der Kongress arbeite nicht mit ihm zusammen. In sechs Monaten werden wir sie erneut befragen. Mal sehen, ob sie ihre Meinung ändern, wenn das erste Jahr abgelaufen ist.

Publikumsfrage: Welche Rolle hat Rassismus in der US-Wahl gespielt? Ich frage mich, ob die Wahl von Donald Trump eine Gegenreaktion auf Barack Obama und die Bewegung für mehr Rechte der Schwarzen war.
Sanders: Es gibt Leute, die dachten, nachdem Obama als schwarzer Präsident gewählt wurde, befänden wir uns in einer postrassistischen Gesellschaft. Das ist leider falsch. In den USA gehen schwarze Kinder in Schulen, die nach Generälen benannt wurde, die im Bürgerkrieg für die Erhaltung der Sklaverei gekämpft haben. Mehr als fünfzig Prozent der Inhaftierten in den USA sind schwarze Männer. Warum ist das so? Es gibt eine Vormachtstellung der Weißen. Also ja, es war absolut eine Gegenreaktion. Bevor wir nicht ehrliche Diskussionen über Rassismus in Amerika haben, werden wir nicht in der Lage sein, das zu überwinden. Wir werden Rassismus weiter unter den Teppich kehren und Schwarze mit weniger Respekt behandeln.

Steinacker: Und wer wird für die Demokraten in vier Jahren kandidieren?
Sanders: Es gibt noch keinen Favoriten. Blickt man auf den Anfang der Wahlen 2008 zurück, hätte auch niemand gedacht, dass die Demokraten Barack Obama wählen. Sicher werden einige bekannte Leute ihren Namen in den Ring werfen. So Kamala Harris, Senatorin von Kalifornien, Kristen Gillibrand, Senatorin von New York, Cory Booker von New Jersey und vielleicht auch wieder Bernie Sanders. Aber vielleicht gibt es ein paar, die man noch gar nicht kennt, die aber denken: Wenn Donald Trump Präsident werden kann, kann ich das auch. Und ich hoffe, die werden ebenfalls kandidieren.

Meckel: Ich frage mich, welche Ambitionen Ivanka Trump hat. Sie vertritt ihren Vater bei internationalen Auftritten, zum Beispiel bei W20 mit der Bundeskanzlerin in Berlin oder auch beim G20-Gipfel in Hamburg. Will sie selbst Präsidentin werden?
Sanders: Ich glaube das nicht. Dann müsste sie beweisen, dass sie in der Lage ist, wirklich etwas zu verändern. Kürzlich hat sie ein Interview gegeben, in dem sie gesagt hat: Es ist absurd zu denken, ich könnte meinen Vater beeinflussen. Da habe ich mich gefragt: Was macht sie dann als offizielle Beraterin des Präsidenten?

Das Gespräch führte Léa Steinacker, Chief Innovation Officer, Wirtschaftswoche.
Dokumentation: Hannah Steinharter

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