Terror aus ökonomischer Perspektive Niemand wird nur aus Armut zum Terroristen

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"Langfristig rächt sich das"

Gibt es aus Ihrer Sicht Unterschiede zwischen westlichen und arabischen Gesellschaften, die zum Teil kurz vor dem Zusammenbruch stehen, was die Ursachen von Terrorismus angeht?
In westlichen Gesellschaften gibt es mehr politische, soziale und ökonomische Teilhabemöglichkeiten. Schließe ich mich einer Terrorgruppe an, gebe ich das alles auf. Der relative Preis des Terrorismus ist hier deutlich höher als in Gesellschaften, die zerfallen. Deswegen sind Terroranschläge im Westen auch vergleichsweise selten – gemessen an dem, was in der arabischen Welt geschieht.

Trotzdem wirkt es mittlerweile, als wäre die Bedrohung in Europa allgegenwertig. Eine Überreaktion unserer Öffentlichkeit?
Für Menschen ist es unglaublich schwierig, Ereignisse einzuordnen, die zum einen sehr selten, zum andern aber mit sehr hohen Kosten verbunden sind, wenn sie eintreten. Jedem von uns hat Terrorismus grausame Bilder in den Kopf eingebrannt, so etwas will niemand persönlich erleben. Das führt zu einer Überbewertung des tatsächlichen Risikos, mit fatalen Folgen.

Zum Beispiel?
Nach 9/11 sind die Menschen weniger mit dem Flugzeug geflogen, das nach wie vor eines der sichersten Verkehrsmittel ist. Stattdessen wählten sie das Auto. Schätzungen gehen davon aus, dass es pro Monat in den USA deswegen mehrere Hundert Verkehrstote zusätzlich gab.

Frankreich und der Terror

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann hatte nach den Ereignissen in Bayern verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gefordert.
Die Bürger haben nach Anschlägen eine gesteigerte Sicherheitsnachfrage, die Politik versucht darauf zu reagieren und ergreift gut sichtbare, vermeintlich schnell wirksame Maßnahmen: Mehr Polizisten patrouillieren in der Öffentlichkeit, mehr Kameras werden aufgestellt. All das erzeugt kurzfristig ein gesteigertes Sicherheitsgefühl.

Ändert aber langfristig nichts an den Ursachen des Terrorismus?

Zum einen das. Zum andern haben diese Maßnahmen einen konsumtiven Charakter. Das Sicherheitsgefühl wird gesteigert, solange Geld dafür ausgegeben wird. Werden die Polizisten abgezogen, ist das Sicherheitsgefühl weg. Letztendlich nimmt die Politik Veränderungen in der Struktur der Staatsausgaben vor - hin zu kurzfristigen, nicht nachhaltigen Maßnahmen. Insbesondere in Ländern, in denen der Staatshaushalt nicht gut aussieht, geht das zulasten von Ausgaben mit präventivem Charakter – in Paris hätte man etwa für das Geld, das in mehr Polizeipräsenz investiert wurde, städtebauliche Maßnahmen in den Banlieues durchführen können. Langfristig rächt sich das.

Die Akteure im Syrien-Konflikt

Also ist Sozialpolitik auch Antiterrorpolitik?
Gerade die sozialen Schichten, die ohnehin eher empfänglich für IS-Propaganda sind, sind die großen Verlierer, wenn der Staat beginnt, Sozialleistungen zu kürzen. Hinzu kommt, dass eine Terrorkampagne, wie wir sie jetzt erleben, die Wirtschaft nachhaltig schädigen kann. Ein Einzelattentat wie 9/11 hatte trotz seines Ausmaßes nur eine sehr kurzfristige Wirkung auf die Wirtschaft. Die ständigen Anschläge des IS drohen, nachhaltig Unsicherheit zu erzeugen, und kosten Lebenszufriedenheit. Das wiederum führt dazu, dass weniger konsumiert und weniger investiert wird. Das Wachstum lässt nach, Arbeitsplätze fallen weg, es wird abermals schwieriger, Abgehängte zu integrieren. 

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