Terror in der britischen Hauptstadt London gibt sich kämpferisch

Zwölf Jahre lang war London von größeren Anschlägen verschont geblieben. Doch die Signale, dass die Terrorgefahr steigt, häuften sich. Nun schlug ein Attentäter im Herzen der Hauptstadt zu. Eine Analyse.

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Sicherheitsmaßnahmen im Stadtteil Whitehall: Der Terror ist zurück in der britischen Haupstadt. Quelle: Reuters

London Das ist der Tag, auf den wir uns vorbereitet haben“, sagte Mark Rowley, der oberste Terrorbeauftragte der Londoner Polizei am späten Mittwochabend, „von dem wir aber hofften, dass er nie eintreten würde.“

Er ist eingetreten, als wenige Stunden zuvor ein dunkel gekleideter, untersetzter Mann erst Passanten auf der Westminster Bridge im Regierungsviertel überfuhr, dann einen Polizisten am Parlamentsgebäude niederstach und schließlich erschossen wurde. Kurz danach teilte die Polizei mit: Man betrachte die Vorfälle als Terrorangriff.

Es war der erste größere Anschlag dieser Art in der britischen Hauptstadt seit zwölf Jahren. Am 7. Juli 2005 hatten vier islamische Terroristen Bomben gezündet – drei in der U-Bahn und eine in einem Doppeldecker-Bus. 56 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 700 wurden verletzt. Seither ist London von solchen Attacken verschont geblieben. Stattdessen waren andere Städte wie Nizza, Paris, Brüssel und Berlin Ziel von Terroranschlägen.

In der Zwischenzeit aber warnten britische Sicherheitsexperten immer wieder, die Ruhe würde nicht ewig andauern. Und an diesem grauen und nassen Frühlingstag Mitte dieser Woche bewahrheiteten sich ihre Warnungen.

Es gab bei dem Anschlag am Mittwoch Polizeiangaben zufolge 40 Verletzte, die Zahl der Toten ist bis Donnerstagmorgen auf fünf gestiegen. Unter den Toten ist ein 48-jähriger Polizist, auf den der Angreifer mit zwei Messern losgegangen sein soll. Der Täter selbst wurde erschossen. Er sei der Polizei bekannt gewesen, hieß es, und er sei vom internationalen Terrorismus inspiriert worden. Weitere Details wurden zunächst nicht genannt.

Die Londoner Polizei hat bereits im vergangenen Jahr auf die zunehmende Bedrohung reagiert und die Zahl der Beamten, die Schusswaffen benutzen konnten, um etwa ein Drittel auf insgesamt 2.800 erhöht. Die Sicherheitskräfte, die sonst unbewaffnet in der Stadt im Einsatz sind, sollten so besser auf terroristische Angriffe mit Schusswaffen reagieren können.

Auch aus den Terroranschlägen von 2015 in Paris zog die britische Polizei Konsequenzen. Man habe die Kapazitäten ausgebaut, um mit gleichzeitigen Attacken von Selbstmordattentätern und bewaffneten Terroristen umgehen zu können, hieß es. Sicherheitsbudgets wurden aufgestockt, die Zahl der Mitarbeiter erhöht, Grenzkontrollen wurden strenger, ebenso wie Gesetze.

In einer seiner seltenen Rede betonte Alex Younger, der Chef des Auslandsgeheimdienstes MI6, Ende vergangenen Jahres die massiven Gefahren: Die Bedrohung sei so groß wie noch nie. Und seit Juni 2013 hätten die Geheim- und Sicherheitsdienste ein Dutzend möglicher Terroranschläge vereitelt, so Younger.


Erfahrungen mit 30 Jahren IRA-Terror

Den grundsätzlichen Wendepunkt im Umgang mit dem Terror markierten die Bombenanschläge am 7. Juli 2005. Dies war der erste größere Angriff islamischer Extremisten in London. Zuvor hatten Anschläge der nordirischen Untergrundorganisation IRA das Land immer wieder erschüttert – über einen Zeitraum von etwa drei Jahrzehnten.

Im Juni 1974 etwa ließ die IRA eine Bombe vor dem Londoner Parlamentsgebäude explodieren. Elf Menschen wurden dabei verletzt. Fast fünf Jahre später starb bei einem IRA-Anschlag der Nordirland-Berater der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher auf dem Parlamentsparkplatz in der britischen Hauptstadt. 

Nach dem Karfreitagsabkommen vom April 1998 folgten einige Jahre des Friedens – bis der Anschlag vom Juli 2005 das Land in Schock versetzte. Großbritannien erhöhte daraufhin seine Ausgaben im Kampf gegen Terror und für mehr Sicherheit deutlich.

In den Jahren danach blieb das Land nicht komplett vom Terror verschont. So wurde im Mai 2013 ein Soldat auf offener Straße von zwei Briten, die zum Islam konvertiert waren, umgebracht. Im Sommer vergangenen Jahres, kurz vor dem Brexit-Referendum, tötete ein Rechtsextremist mit einem Messer die Politikerin Jo Cox.

Andere Attacken konnte die Polizei vereiteln. Vor fünf Jahren werden neun Männer zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie einen Anschlag auf die Londoner Börse geplant hatten. Ein Jahr später gab es ein ähnliches Urteil in Birmingham. Die Angeklagten dort sollen ein Attentat geplant haben, das noch deutlich verheerender als die Vorfälle vom Juli 2005 ausfallen sollte.

Bis Mittwoch hatten es Polizei und Gemeindienste geschafft, Schlimmeres zu verhindern. Großbritanniens Premierministerin Theresa May schlug nach dem Anschlag auf das Herz Londons in ihrer Rede an die Menschen am Abend einen kämpferischen Ton an: „Morgen wird das Parlament zusammengekommen – wie immer. Und Londoner und andere Menschen aus der ganzen Welt, die diese Stadt besuchen, werden aufstehen und den Tag angehen – wie immer“, sagte May. „Sie werden ihr Leben leben und wir werden weitermachen, und angesichts des Terrors nie klein beigeben.“

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