Terrorbekämpfung 20 Jahre nach 9/11: Wie wir den Islamismus eindämmen können

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Wir werden Truppen vor Ort brauchen

Das Haupthindernis für „Nationenbildung“ sind in aller Regel nicht die Menschen eines Landes, sondern unzureichende institutionelle Kapazitäten und schlechte Regierungsführung, zu der auch langjährige Korruption zählt. Vor allem besteht die Herausforderung darin, den Aufbau zu schaffen, während Elemente im Inneren mit externer Unterstützung versuchen, ihn zu zerstören.

Doch mit Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung allein lässt sich eine tief verwurzelte Bedrohung nicht beseitigen. Stattdessen könnten wir einen Mittelweg anstreben. In der Sahelzone könnten wir beispielsweise eine Strategie verfolgen, die darauf abzielt, den Ländern einerseits im Bereich Sicherheit unter die Arme zu greifen und andererseits auch die Entwicklungsanstrengungen der Regierungen zu unterstützen, da Armut und Unterentwicklung den Extremisten zweifelsohne in die Hände spielen. In gewisser Weise haben wir das nach 2014 in Afghanistan getan, als das Motto der Nato-Mission in „Ausbildung, Beratung und Unterstützung“ umgewandelt wurde.

Aber auch das erfordert mehr als nur konventionelle Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung. Wir werden Truppen vor Ort brauchen. Vorzugsweise sollen diese Truppen natürlich aus dem lokalen Umfeld stammen, aber das wird nicht in allen Fällen möglich sein.

In westlichen Gesellschaften hat man jedoch verständlicherweise eine tiefe Abneigung gegen Verluste bei den Streitkräften entwickelt. Für die Streitkräfte des Westens selbst ist das kein Problem – ihnen gehören mutige, außergewöhnliche Menschen an. Vielmehr hat sich die erwähnte Abneigung zu einem beinahe unüberwindbaren politischen Hindernis entwickelt, wenn es um die Entsendung westlicher Truppen geht, wobei Spezialeinheiten eine Ausnahme bilden. Das sich daraus ergebende Problem liegt auf der Hand: Wenn der Feind weiß, dass unser politischer Wille zum Kampf in Relation zur Höhe der von ihm verursachten Verluste schwindet, ist die Anreizstruktur eindeutig.

Für Europa und die Nato besteht noch eine zusätzliche Herausforderung. Mittlerweile ist klar – wenn es nicht schon vorher so war – dass Amerika beschlossen hat, sich in absehbarer Zukunft nur mehr in begrenztem Umfang militärisch zu engagieren. Nach der Nato-Intervention im Kosovo im Jahr 1999 initiierte ich gemeinsam mit Frankreich eine europäische Verteidigungspolitik. Ich tat es deshalb, weil mir bewusst geworden war, dass wir ohne die Vereinigten Staaten und das Engagement von Präsident Bill Clinton die Krise niemals hätten lösen können. Heute kann der Balkan, hoffentlich innerhalb Europas, auf eine friedliche Zukunft hoffen. Doch diese Krise lag vor Europas Haustür und nicht vor der Amerikas.

Nachdem Europa bereits die Folgen des Chaos in Libyen, des syrischen Bürgerkriegs und anderer Spannungen im Nahen Osten zu spüren bekommt, besteht die unmittelbare Herausforderung nun in der Destabilisierung der Sahelzone. In dieser Hinsicht ist Großbritannien – ob man will oder nicht – Teil Europas und muss auch mit Europa zusammenarbeiten, um Sicherheitslösungen zu konzipieren.

An einem Dienstagmorgen stürzten die Türme ein, nachdem Terroristen Passagierflugzeuge in die Gebäude gesteuert hatten. Fast 3000 Menschen kamen ums Leben. Rund 40 Prozent der Opfer sind bis heute nicht identifiziert. Quelle: AP

Aber wie sollen Europa und die Nato Handlungsfähigkeit entwickeln, wenn sich Amerika unwillig zeigt? Die Beantwortung derartiger Fragen kann dazu beitragen, den politischen Entscheidungsträgern im Westen im Hinblick auf strategisches Denken wieder auf die Sprünge zu helfen. Eine der beunruhigendsten Entwicklungen der letzten Zeit besteht in der Wahrnehmung, der Westen sei nicht in der Lage, eine Strategie zu formulieren, und kurzfristige politische Imperative hätten den Raum für langfristiges Denken eingeengt. Mehr als alles andere ist es vor allem dieses Gefühl, das unseren Verbündeten Angst einflößt und unsere Gegner glauben lässt, unsere Zeit sei vorbei.

Eine der deprimierendsten Äußerungen, die mir in den letzten Wochen regelmäßig zu Ohren kam, ist, dass es dumm sei zu glauben, man könne die westlichen Vorstellungen von liberaler Demokratie und Freiheit exportieren oder sie könnten jemals irgendwo anders Fuß fassen als auf dem dekadenten Boden westlicher Gesellschaften.

Vielleicht war es ein naiver Glaube meiner Generation von Spitzenpolitikern, dass man Länder „umgestalten“ könne. Oder vielleicht hätte diese „Umgestaltung“ längere Zeit gebraucht. Doch angesichts der vielen afghanischen Frauen, die aus Angst um ihr Leben die Flucht ergreifen, sollten wir nie vergessen, dass sich freie Menschen für unsere Werte entscheiden. Die Wiederherstellung des Vertrauens in diese Werte und ihre universelle Anwendung sind notwendig, wenn gewährleistet sein soll, dass wir für diese Werte eintreten und bereit sind, sie zu verteidigen.

Mehr zum Thema: Welche wirtschaftlichen Folgen hat Terrorismus? Dazu forscht der Ökonom und Sicherheitsexperte Tilman Brück. Er beschreibt die Sicherheitslage in Afghanistan und erklärt, wie man die Ökonomie des Terrors mithilfe der Wirtschaftswissenschaft analysiert.

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