Bagdad, Kabul, Algier: Das sind Hauptstädte, wo offizielle Vertreter der Supermacht USA wissen, dass sie viele gefährliche Feinde haben. Als die amerikanische Regierung Ende vergangener Woche die Schließung vieler Botschaften und Konsulate in muslimischen Ländern bekannt gab, waren die Vertretungen im Irak, in Afghanistan und Algerien eingeschlossen, und das wunderte keinen. Im Irak hat der im Wesentlichen mit Bombenattentaten ausgetragene Bürgerkrieg mit dem Abzug der US-Truppen vor ein paar Monaten nicht aufgehört und der Hass auf die Amerikaner auch nicht. In Afghanistan ist Amerika immer noch Kriegspartei in einem endlosen Blutvergießen, und in Algerien hat sich im Widerstand gegen die herrschenden Militärs ein islamistischer terroristischer Untergrund gebildet.
Doch ausgerechnet Bagdad, Kabul und Algier sind die drei Städte, für die Washington am heutigen Montag Entwarnung gegeben hat. Weil die Datenkraken vom NSA neues Material aus dem Internet gesichtet haben, das die Entwarnung rechtfertigt? Eher unwahrscheinlich. Viel eher ist anzunehmen, dass ein General am Schreibtisch in Washington gemeint hat, man dürfe die Liste der offiziell gefährdeten Städte nicht zu lang werden lassen. Und mehr Sicherheit als in den Stacheldraht-Festungen ihrer Botschaften in Kabul und Bagdad haben amerikanische Diplomaten auch nicht beim Heimaturlaub. Und Algier ist einfach sehr weit von der arabischen Halbinsel entfernt, die den US-Sicherheitsleuten derzeit die meisten Sorgen macht.
So große Sorgen, dass die US-Vertretungen in Riad, Dschidda, Dharan, Maskat und Port Louis jetzt auf der Liste der 19 hochgefährdeten Objekte stehen, für die noch eine Woche lang höchste Gefahrenstufe gelten soll: die militärisch extrem gesicherte Hauptstadt von Saudi-Arabien, die beiden saudischen Wirtschaftsmetropolen mit ihren US-Konsulaten, die idyllische Hauptstadt des ziemlich idyllischen Sultanats Oman, und die Hauptstadt des touristischen Inselparadieses Mauritius. Für Sanaa, die Hauptstadt des Krisenstaates Jemen, scheint die Gefahr so offensichtlich so sein, dass deutsche, britische und französische Diplomaten dem Rat und Vorbild der Amerikaner folgen und ebenfalls ihre Botschaften erst einmal schließen.
Wenn das alles einen Sinn macht, haben die US-Geheimdienstler Anhaltspunkte dafür, dass islamistische Terroristen aus dem Jemen zu Untaten ausgeschwirrt sind: in die eigene Hauptstadt, über die unkontrollierbare Grenze ins Nachbarland Saudi-Arabien, von dort per Flugzeug in andere Staaten. Mit dem Kern von Al Kaeda in Afghanistan und Pakisten hat das wahrscheinlich nichts zu tun: Die mordbegeisterte Ideologie Osama bin Ladens hat seit Jahren muslimische Anhänger in vielen Ländern gefunden, die im Einklang mit seiner Ideologie, aber organisatorisch unabhängig von seinen Nachfolgern handeln: Das können Einzeltäter sein, sehr kleine Gruppen oder regionale Mini-Armeen wie die Teile des Jemen kontrollierende „Al Qaeda auf der Arabischen Halbinsel“. Die sind jetzt offenbar mit verräterischer Internetkommunikation ins Visier der USA geraten (Oder war es schlicht und vormodern ein verräterischer Überläufer? Nicht nur in Amerika und in Moskau gibt es Whistleblower.).
Ausnahmezustand auf eine Woche befristet
So lässt sich die Warnliste aus Washington erklären. Weil er gewöhnlich billigere Ferienziele ansteuert, kannte der Nahostspezialist der WirtschaftsWoche den Ortsnamen „Port Louis“ bis heute noch nicht einmal beim Namen. Inzwischen weiß er, dass in der Hauptstadt von Mauritius regelmäßig Flugzeuge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und aus Saudi-Arabien landen: Das macht Mauritius zum potenziellen Schauplatz des Terrors: ein für die Weltregion wohlhabender Kleinstaat mit 1,8 Millionen Einwohnern, darunter 200.000 politisch unauffälligen Muslimen. Das entspricht etwa den Zahlen für die Hansestadt Hamburg, aber man soll sich nicht lustig machen über die Terrorfurcht der Amerikaner. Auch Paranoiker haben Feinde, hat der große Henry Kissinger einmal gesagt, und in Hamburg planten vor gut zwölf Jahren Mohammed Atta und seine Freunde die Anschläge vom 11. September.
Und die jetzigen Geheimdiensterkenntnisse erlauben den Schluss, dass die Aktivitäten von Al Kaeda in den vergangenen Wochen ein Ausmaß angenommen haben wie noch nie seit dem schrecklichen September 2001. Sagen zumindest amerikanische Politiker wie der Senator Saxby Chambliss, dem viele Landsleute in solchen Sachen schon darum nicht trauen, weil er 2002 seinen Senatssitz mit einer Schmutzkampagne und dem Argument gewonnen hatte, sein Gegenkandidat sei zu lasch gegenüber der islamistisch-terroristischen Gefahr aufgetreten.
Wenn Chambliss Recht hat, stellt sich vor allem die Frage, warum die amerikanische Regierung den Ausnahmezustand an den Botschaften auf eine Woche befristet. Kann denn am Montag kommender Woche in Saudi-Arabien, in Dubai und Abu Dhabi, in Kairo, Katar und den anderen Standorten alles wieder sicher sein für die amerikanischen Diplomaten? Natürlich nicht, aber die Amerika kann im Jahr drei der Arabellion seine diplomatische Präsenz natürlich nicht einstellen, und so werden sich die Türen der sowieso überall zu Hochsicherheitstrakten ausgebauten Botschaften kommende Woche wieder öffnen.
Und wenn bis dahin nichts passiert ist, werden Amerikakritiker – wahrscheinlich zu Unrecht – die These verbreiten, das Ganze sei doch nur ein Rechtfertigungsmanöver für die beängstigende Datenschnüffelei der NSA gewesen. Und die Angst vor dem Terror wird trotzdem bleiben.