Terrorismus während der EM Frankreichs neue Realität

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Von Panik keine Spur


Für die französische Regierung werden mit dem Anschlag schlimme Befürchtungen wahr: Ein Terrorakt, Gewaltorgien von Hooligans und anhaltende Proteste gegen die Arbeitsreform, alles kommt auf einen Schlag. Staatspräsident François Hollande und Premier Manuel Valls zögerten am Dienstag nicht, den Mord im Vorort von Paris als Terrorakt einzustufen. Sie spielen nichts herunter, bemühen sich aber sichtlich darum, Vertrauen in die Sicherheitskräfte zu wecken und verweisen darauf, dass es sich eben um eine weltweite Bedrohung handelt: Das Massaker in der Diskothek von Orlando habe gezeigt, dass überall Terrorakte möglich sind. „Trotzdem feiern wir ein Fest mit der Fußball-Europameisterschaft“, machte Valls die Ambivalenz der Lage deutlich.

Die Pariser, die gezeichnet sind von den beiden Anschlägen des vergangenen Jahres, zeigen eine bewundernswerte Kaltblütigkeit. Von Panik keine Spur, die Franzosen bleiben gelassen. Sie kennen die Gefahr, sie wissen, dass die Ausrichtung der EM in Frankreich ein Risiko ist, aber sie sind damit einverstanden. Sie nehmen sogar hin, dass die Müllleute streiken – vielleicht auch deshalb, weil in einem dieser merkwürdigen Arrangements die Tonnen eben doch ab und zu geleert werden. Französische Lebensart verlangt es, sich über die Behinderung durch Streiks zu ärgern, sie aber als Ausdruck bürgerlicher Rechte zu tolerieren.

Anders ist es mit den Ausschreitungen am Rande der Spiele, die große Verärgerung auslösen. Vor allem die extrem gut organisierten russischen Schläger machen der Polizei zu schaffen. Auf die Russen war man nicht gut genug vorbereitet. Französische Sicherheitskräfte beschweren sich darüber, dass Wladimir Putins Polizei nur eine lächerliche Liste mit 33 Namen von Verdächtigen geschickt habe.

Deutlich besser läuft die Zusammenarbeit mit den Deutschen. Am Mittwoch kommt Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach Paris. Er wird mit seinem französischen Kollegen Cazeneuve vor einem Ausschuss der Nationalversammlung reden, an der regulären Kabinettssitzung teilnehmen und anschließend deutsche Polizisten treffen, die als „Spotter“ bei der EM eingesetzt sind, um deutsche Hooligans zu beobachten.

Als lebten sie in einem anderen Land, scheren sich die radikalen Gewerkschaften nicht um die Ausnahmesituation. Sie haben den Dienstag zum Tag einer neuen, massiven Mobilisierung gegen die Arbeitsreform der sozialistischen Regierung erklärt. „Wir werden zeigen, dass wir noch Reserven haben, um mehr Leute auf die Straße zu bringen“, hatte der Chef der Gewerkschaft CGT Philippe Martinez im Vorfeld gedroht. Am Dienstvormittag allerdings sah es nicht danach aus: Der öffentliche Nahverkehr, eigentlich eine Hochburg der CGT, funktionierte weitgehend reibungslos.

Sollte die für den Nachmittag angesetzte Demonstration nicht mehr Menschen auf die Straßen bringen als in den vergangenen Wochen, könnte der Dienstag zum Auftakt eines langsamen Abklingens der Proteste werden. Die Regierung und die Sicherheitskräfte wären dann zumindest an dieser Front entlastet.

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