Tesla zieht nach Austin Musk entdeckte sein Herz für Texas, und die Texaner ihres für Musk

Tesla-Chef Elon Musk 2013 vor dem texanischen Senat in Austin. Quelle: imago images

Dass Elon Musk die texanische Hauptstadt als neuen Hauptsitz für Tesla ausgewählt hat, überrascht nicht. Austin ist einer der attraktivsten Standorte der USA. Doch was heißt das? Eine Visite im Herz des Lone Star States.

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Kurz hinter der Ausfahrt 446 staut sich der Verkehr plötzlich zurück. Im Sekundentakt fahren Lieferfahrzeuge, Lastkraftwagen und Mitarbeiterautos von der Schnellstraße 130 ab, um sich dem riesigen Rohbau zu nähern, der hier, zwischen Austin und dem internationalen Airport der Stadt aus dem Boden nach oben wächst. Es muss schnell gehen – denn hier baut nicht irgendwer. Autokonzern Tesla, eine der wertvollsten und innovativsten Marken der Welt, hat diesen Flecken Erde ausgewählt, um eine seiner zwei neuen Gigafabriken zu errichten – und sein neues Firmenhauptquartier. Erst im August 2020 haben die Bauarbeiten begonnen, doch bereits jetzt ragt das Fabrikgebäude mehrere Stockwerke hoch. Gearbeitet wird Tag und Nacht. Denn die Produktion, so hat es Firmengründer Elon Musk versprochen, soll noch in diesem Jahr aufgenommen werden.
Dass der Tesla-Chef die texanische Hauptstadt als neuen Hauptsitz seines Unternehmens ausgewählt hat, überrascht nicht. Austin ist einer der attraktivsten Standorte der USA. Die Stadt und ihre umliegenden Vororte sind die am schnellsten wachsende Metropolregion der Vereinigten Staaten – und eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen im ganzen Land. Die hervorragende Universität, die Nähe zur Regierung und die seit Jahren wachsende Tech-Szene machen die Hauptstadt hip und lebenswert – und ein bisschen anders. „Keep Austin Weird“ – „Lasst Austin schräg“ – war rund 20 Jahre lang der inoffizielle Schlachtruf seiner jungen, gut ausgebildeten Bewohner, die sich in den durchgentrifizierten Vierteln um das Zentrum herum angesiedelt haben. Seit vergangenem Jahr ist es auch der offizielle Slogan der Independent Business Alliance, gedruckt auf zahllosen T-Shirts und Aufklebern überall in der Stadt. Gleichzeitig sorgt eine höchst businessfreundliche Regierungspolitik in Texas dazu, dass die progressiveren Geister in Austin den Unternehmen das Leben nicht allzu schwer machen können. Der Bundesstaat reguliert wenig und zieht kaum Steuern ein. Das lockt zahlreiche Unternehmen nach Texas, die sich in Tech-Hubs wie der Bay Area oder in Seattle zunehmend gegängelt fühlen.

Auch Tesla-Chef Musk entdeckte in den vergangenen Jahren zunehmend sein Herz für den Lone Star State. Und die Texaner ihres für Musk. Um das Tesla-Werk zu bekommen, griff das zuständige County tief in die Tasche. Es erlässt dem Autobauer über die kommenden zehn Jahre mindestens rund 14 Millionen Dollar an Steuern, sofern das Unternehmen einige Auflagen erfüllt. Der Del Valle Independent School District, der für die Verwaltung des Werksgrundstücks zuständig ist, verzichtet zudem für den gleichen Zeitraum auf Grundsteuerzahlungen in Höhe von fast 50 Millionen Dollar. Als Gegenleistung verpflichtet sich der Autobauer unter anderem, mindestens 1,1 Milliarden Dollar in die Region zu investieren, die Hälfte der neuen Jobs mit Einwohnern von Travis County zu besetzen und einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde zu bezahlen. Im vergangenen Sommer nickte die County Commission eine entsprechende Vereinbarung bei einer Enthaltung ab. Auch der School District stimmte mit breiter Mehrheit zu. Am 12. August 2020 begannen die Bauarbeiten für die Gigafactory 5.

In Arbeit: die Tesla-Fabrik in Austin, Texas, Ende September 2021. Quelle: REUTERS

Trotz aller Businessfreundlichkeit im County war es keine einfache Aufgabe, dieses Paket zu schnüren. „Mindestens eine acht auf einer Skala von null bis zehn“, erinnert sich Diana Ramirez, die Leiterin der Wirtschaftsförderungsabteilung von Travis County. Sie sitzt an einem Besprechungstisch in ihrem Büro im 15. Stock des County-Gebäudes in Downtown Austin. Hinter ihr ragen die Glasfassaden von Wolkenkratzern in die Höhe. Wo die Sicht noch frei ist, kreisen Baukräne.

Angesichts dieses Ausblicks liegt der Verdacht nahe, Ramirez habe den einfachsten Job der Welt. Die Ansiedlung von Unternehmen zu befördern, die ohnehin nach Travis County streben, klingt zunächst einmal nicht allzu kompliziert. „Schön wär’s“, sagt Ramirez. Vor allem der Tesla-Deal habe viel harte Arbeit erfordert – und quälende Verhandlungen.

Es waren vor allem zwei Dinge, die die Verhandlungen erschwert haben: Der Zeitdruck und das Recht. Tesla drängte von Anfang an auf eine schnelle Entscheidung. „Von der ersten Voranfrage bis zum finalen Votum in der County Commission vergingen nur sechs Monate“, erinnert sich Ramirez. Das bedeutete, viele lange Abende im Büro und durchgearbeitete Wochenenden. Doch das andere Problem wog schwerer. Denn eigentlich vergibt Travis County derzeit überhaupt keine Incentive-Pakete, um Wirtschaftsansiedlungen zu fördern. Man wollte in Ruhe neue Benchmarks erarbeiten, die Unternehmen erfüllen müssen, um Steuernachlässe zu bekommen – etwa im Bereich Löhne, Umwelt- oder Arbeitsschutz. Doch darauf wollte Tesla nicht warten. Also musste eine Ausnahme her. Das County genehmigte sie im Mai 2020. Wenige Wochen später nickte es auch die Steuervorteile für den Konzern ab. Das zeigt: Für eine Großansiedlung ist man auch in der progressiven Region um Austin herum bereit zu großer Flexibilität.

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Jeremy Hendricks ist immer noch enttäuscht, wenn er über das Votum der Commission spricht. „Ich hätte mir gewünscht, dass sie mehr von Tesla fordern“, sagt er. Hendricks arbeitet für die Laborers‘ International Union of North America, (LiNUNA), eine Gewerkschaft, die unter anderem Bauarbeiter vertritt.

Der Gewerkschafter sitzt im Hinterzimmer von Cisco’s einem traditionellen TexMex-Restaurant in East Cesar Chavez, einem nach dem Arbeiterführer benannten Bezirk der Hauptstadt. Doch der Kampfgeist des Namensgebers scheint nicht bis ins wenige Meilen entfernte County-Gebäude in der Innenstadt gezogen zu sein.

Travis County habe sich vor allem mit Versprechen und unverbindlichen Zusagen abspeisen lassen, sagt Hendricks. Er hätte sich eine feste Ausbildungsquote vorstellen können, klare Arbeitsschutzauflagen, gute Bezahlung für die Belegschaft. Doch nichts davon finde sich in der Vereinbarung mit Tesla. „Die einzige verpflichtende Maßnahme ist ein Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde“, sagt er. „Doch davon kann man in Austin nicht leben.“ Die Durchschnittsmiete für eine Wohnung in Austin liegt bereits heute bei mehr als 1500 Dollar – mehr als die Hälfte des monatlichen Bruttoverdienstes, den Tesla als Einstiegsgehalt bezahlen wird.

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