Der Kostendruck bleibe hoch, steigende Nachfrage könne das kaum abmildern. Bis April sei Hochsaison in der Produktion der Sommerware. Erst danach könne er die weitere Entwicklung abschätzen. „Aber wir haben die Preise bis Neujahr nur einmal um zehn Prozent erhöht“, sagt er, das sei viel zu wenig. Ob der Markt noch höhere Preise verkraftet? Kusnezow zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“
Händler wie Galina Barikina bezweifeln es. Sie verkauft in der Shoppingmall Rio Waren aus der Region. Barikina hat sich auf Kleidung für einfache Leute verlegt, zum Beispiel für Soldaten und jene, die ihnen nacheifern.
Bei ihr findet man alles, was das derzeit wieder höher schlagende Herz des Patrioten begehrt: blau-weiß gestreifte Marine-Leibchen, Tarnfleck-Shirts in Grau, Blau und Olivgrün, sogar Babystrampler in Militärfarben gibt’s bei der Mittfünfzigerin zu kaufen. Die meisten Teile kosten umgerechnet wenig mehr als 1,40 Euro.
Der Stil gilt diesseits der Provinz allerdings als arg verbesserungswürdig. Barikina ficht das nicht an. „Neuerdings kaufen sogar junge Frauen bei uns“, erzählt sie. Die gestreiften Armeeshirts seien Mode geworden. Sie hat ihrem fünfjährigen Enkel auch so ein Hemdchen gekauft.
Einkaufskosten für Hersteller steigen
Aber trotz des zunehmenden Patriotismus registriert Barikina kaum steigende Verkäufe. Denn ihre Chefin musste die Waren seit Oktober um eine zweistellige Rate verteuern. Seit Putin im August mit einem Teilembargo gegen westliche Produkte auf die Sanktionen reagierte, steigen quer durch alle Produktgruppen die Einkaufskosten für die Hersteller. „Ich kann mich gar nicht an die neuen Zahlen gewöhnen, so schnell tauschen wir neuerdings die Schildchen aus“, sagt Barikina. Angesichts steigender Preise und der Krisenstimmung prophezeit sie: „Die Leute werden weniger Kleidung und Bettzeug kaufen.“ Auch privat hat sie auf Krisenmodus umgeschaltet und baut auf ihrer Datscha am Stadtrand mehr Kartoffeln, Karotten und Kohl an.
Die Hauptstraße in Iwanowo, die immer noch Lenins Namen trägt, sieht nicht nach Krise aus, die Restaurants sind gut besucht. Aber das sei bei Krisen in Russland immer so, sagt Ökonom Leonid Iwanow, Präsident der Handels- und Industriekammer in der Region Iwanowo. Mit der Rezession von 2009 infolge der Finanzkrise in den USA sei die aktuelle Lage dennoch nicht zu vergleichen. Denn damals sei Russland nicht vom Finanzmarkt abgeschnitten gewesen, so Iwanow, heute schon: „Diese Krise trifft uns doppelt.“ Westliche Sanktionen würgten die Kreditwirtschaft in einem Moment ab, in dem die Nachfrage ohnehin schon eingebrochen sei.
Abhängigkeit vom westlichen Finanzsystem
Der Bürgermeister und der Gouverneur von Iwanowo – Letzterer ist selbst ein Textilunternehmer – hätten jüngst sogar drei Industrieparks mit vergünstigten Steuern und vereinfachtem Bodenerwerb ausgewiesen. Bloß wozu? „In dieser Situation brauchen wir auf Investoren nicht zu warten“, klagt Iwanow.
Bei Kreditzinsen von aktuell 24 bis 26 Prozent kämen lokale Unternehmer nicht einmal an genug Kapital, um ihre Vorprodukte zu finanzieren. Erst recht fehlten die Mittel, um zusätzliche Kapazitäten für den Export aufzubauen.
In den Jahren zuvor hatte es die russische Regierung trotz hoher Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport nie vermocht, die Abhängigkeit der Unternehmen vom westlichen Finanzsystem zu senken. Jetzt klemmt der Westen mit Sanktionen die Staatsbanken von der Refinanzierung ab, worauf diese die kleineren Banken nicht mehr mit Mitteln versorgen können. Gegen die Kreditklemme hat die Regierung keine Strategie. Stattdessen plant Moskau einen zweistelligen Euro-Milliardenbetrag für Bankenrettungen ein.
Ökonom Iwanow sieht die Chancen der hiesigen Textilbranche kritisch, trotz des niedrigen Rubels: „Wer nicht schon vor der Krise in Auslandsmärkten Fuß gefasst hat, wird jetzt nicht über Nacht diese Kontakte aufbauen können.“