Tod von Castro Fidels letzte Reise

Fast 1.000 Kilometer wird die Urne des Revolutionsführers Castro von Havanna nach Santiago de Cuba gebracht. Zehntausende jubeln der Kolonne auf ihrem Weg durch 13 Provinzen zu. Auf Kuba endet eine Ära.

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Menschen machen Fotos von der vorbeifahrende Urne Fidel Castros. Quelle: AP

Santa Clara Griselda laufen die Tränen über das Gesicht. Mit ihren Klassenkameradinnen steht die Schülerin vor dem Rathaus von Santa Clara und wartet auf Fidel Castros Urne. „Er hat so viel für unser Land getan“, schluchzt die 14-Jährige. „Es ist so traurig, dass er nicht mehr bei uns ist.“ Eine Freundin schließt das aufgelöste Mädchen in den Arm.

Ein Hubschrauber kreist über den Häusern, dann biegt die Wagenkolonne auf den Platz ein. Die Soldaten in der ersten Reihe stehen stramm und salutieren. Die Schüler rufen: „Ich bin Fidel, ich bin Fidel.“ Alte Männer in olivgrünen Uniformen, die Brust reich behängt mit Orden, grüßen die Urne des Comandate en Jefe.

Die Wagenkolonne fährt durch Städte und kleine Ortschaften, vorbei an Zuckerrohrfeldern und großen Weideflächen. Am Straßenrand oder auf den Hügeln haben die Menschen mit weißen Steinen die Parolen der Revolution gelegt: „Immer bis zum Sieg“ und „Vaterland oder Tod“.

Zu Beginn von Fidels letzter Reise in Havanna warten die Menschen bereits vor dem Sonnenaufgang auf die Urne. Frauen zeigen Transparente mit Fotos aus der bewegten Geschichte des Revolutionsführers. Als die Wagenkolonne auf die Uferpromenade Malecón einbiegt, brandet Applaus auf.

„Ich kann mir ein Leben ohne Fidel nicht vorstellen“, sagt Caridad Martínez. Die 83-Jährige gehörte zu Castros Bewegung des 26. Juli und unterstütze die Revolution. „Ich bin stolz, ihn kennengelernt zu haben.“

Ein olivgrüner Militärjeep zieht den Anhänger mit der Urne. Sie ist bedeckt von einer kubanischen Flagge, umrahmt von weißen Blumen. „Fidel Castro Ruz“ steht in Metall-Lettern auf der Urne. Zwei Motorräder führen die Kolonne an, eskortiert wird die Urne von einem Militärlastwagen und mehreren Geländewagen mit Soldaten.

In La Esperanza in der Provinz Villa Clara haben die Dorfbewohner die Jacht „Granma“ aus Pappmaché nachgebaut. Mit dem Boot setzten die Guerilleros um Castro einst von Mexiko nach Kuba über, um den Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Noch heute ist die Zeitung der Kommunistischen Partei nach dem Schiff benannt.

Kinder in rot-weißer Schuluniform stehen am Straßenrand und schwenken Fähnchen. Stundenlang warten die Menschen auf die Ankunft der Kolonne - das Leben in dem Dorf steht still. „In einer halben Stunden kommen sie“, raunen sich die Menschen zu. „Ich habe gehört, jetzt sind sie in Santo Domingo“, erzählt jemand.

Kurz bevor die die Urne in das Dorf einfährt, werden die Dorfbewohner erst einmal auf Betriebstemperatur gebracht. Ein Lautsprecherwagen fährt durch die Hauptstraße, eine Funktionärin peitscht den Menschen ein. „Hier steht dein Volk - Chefkommandeur befehle!“, schreit die Frau. „Ich bin Fidel, ich bin Fidel“, rufen Kinder, Jugendliche und Rentner.

Regierungskritikern ist dieser Personenkult zuwider. „In diesen Tagen erinnern wir uns an jene, die es nicht bis hierhin geschafft haben“, schreibt die prominente Dissidentin Yoani Sánchez in ihrem Blog „14ymedio“. „An jene, die während der Castro-Zeit starben, die im Meer ertrunken sind, die Opfer der Zensur des Máximo Líder wurden.“ Prompt wird am Donnerstag ihr Ehemann, der Journalist Reinaldo Escobar, festgenommen.


Für die einen ist Castro ein Held, für die anderen ein Diktator

Castro ist äußerst umstritten. Für die einen ist er ein Held, der Kuba befreit und viel sozialen Fortschritt gebracht hat. Für die anderen ein brutaler Gewaltherrscher, der Andersdenkende unterdrückte und den Kubanern ihre demokratischen Grundrechte verweigerte.Fast 1000 Kilometer wird die Urne des Revolutionsführers Castro von Havanna nach Santiago de Cuba gebracht. Zehntausende jubeln der Kolonne auf ihrem Weg durch 13 Provinzen zu. Auf Kuba endet eine Ära.

Im In- und Ausland setzen nun viele auf seinen pragmatischeren Bruder Raúl Castro, der zumindest wirtschaftlich das Land langsam öffnet. Ein Demokrat ist aber auch er nicht. Vielmehr hat sich Kuba unter seiner Herrschaft zu einer Militärdiktatur entwickelt. Offiziere sitzen im ganzen Land an den Schaltstellen der Macht.

„Für meine Generation ist Fidel eher eine historische Figur als eine echte Person“, sagt Keren Pérez, die auf dem Dach ihres Hauses auf die Ankunft der Kolonne wartet. Die 20-Jährige war gerade zehn Jahre alt, als sich Fidel aus der aktiven Politik zurückzog. „Als ich klein war, hat er noch seine berühmten Reden in Havanna gehalten. Daran erinnere ich mich aber nur noch ganz schwach. Aber wir haben viel über ihn in der Schule gelernt.“

Selbst weitab von den Dörfern säumen Menschen die Straße. Vor Ciego de Avila warten Zuckerrohrschneider mit breitkrempigen Strohhüten und sonnengegerbter Haut auf die Urne. An anderer Stelle stehen Schüler, Krankenschwestern und Bauarbeiter. Auf Lastwagen und in Bussen haben die Kommunistische Partei und die Staatsbetriebe die Menschen an die Wegstrecke gekarrt, damit Castros Urne auch im abgelegensten Winkel der Karibikinsel gefeiert wird. Stundenlang müssen die Menschen am Rand der Landstraße unter der sengenden Sonne ausharren, bis die Wagenkolonne vorbeikommt.

Am Sonntag soll Castro in Santiago de Cuba beigesetzt werden. Die Urne nimmt den umgekehrten Weg des Triumphzugs von Castros Rebellenarmee nach dem Sieg über die Truppen von Diktator Batista. im Januar 1959 fuhren die Barbudos (Bärtigen) von Santiago de Cuba nach Havanna. In größeren Ortschaften stoppten die siegreichen Guerilleros und Castro hielt eine seiner berüchtigten - oft stundenlangen - Reden.

Vor allem in der Provinz wird Castro verehrt. Vor dem Triumph der Revolution gab es dort keine Schulen, keine Ärzte. Heute werden wenigstens die Grundbedürfnisse auch auf dem Land gedeckt - aber eben auch nicht viel mehr. „Ich wäre für ihn gestorben“, sagt der 53-jährige Victor Alonso Jiménez. „Er hat uns ein würdiges Leben gegeben. Er hat uns alles gegeben.“

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