Transatlantische Wirtschaftsbeziehungen Biden und Harris sind eine Chance für den Freihandel

„Mit dem neuen US-Präsidenten kann ein Neuanfang der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen gelingen“, meint Maschinenbau-Präsident Karl Haeusgen. Quelle: imago images

Mit dem neuen US-Präsidenten kann ein Neuanfang der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen gelingen. Beide Seiten sollten sie beherzt ergreifen – es muss ja nicht gleich ein neues TTIP sein. Ein Gastbeitrag.

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Von den vielen Fehlentscheidungen Donald Trumps in der internationalen Handelspolitik war die erste wohl auch gleich die schwerwiegendste: Gleich zu Beginn stieg Trump aus der Transpazifischen Partnerschaft TPP aus. Er verwarf die Chance, das damals größte Freihandelsabkommen der Welt zu schließen und die asiatisch-pazifische Staatenwelt um China herum handelsstrategisch an die USA zu binden. Nun hat China diesen Schritt getan, mit dem RCEP die größte Freihandelszone der Welt geschaffen und zumindest die asiatische Seite des TPP an sich gebunden.

Mit Joe Biden bietet sich nun die Chance für einen Neunanfang – auch in den transatlantischen Beziehungen. Ein Blick in das Wahlprogramm des neuen US-Präsidenten zeigt jedoch, dass der Weg zurück zu einer chancenorientierten Diskussion und Verhandlung eines Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU keine sichere Wette ist.

Auch Biden spielt mit den Begriffen des Protektionismus: „Buy American“, „Make it in America“, „Bring back supply chains to America“ – all das verspricht keine leichten Zeiten für den Freihandel. Die Demokraten waren im Zweiparteiensystem der USA bisher eher die Freihandelsgegner, bevor Donald Trump die amerikanische Politik auf den Kopf gestellt hat. Und doch gibt es Grund für Optimismus: Mit Joe Biden und Kamala Harris kehren wieder Ehrlichkeit und Verlässlichkeit ins Weiße Haus zurück. Und es ist auch das „Wie“ des Umgangs miteinander, dass den möglichen Erfolg einer Verhandlung oder gar einer Partnerschaft bestimmt.

Eindeutig bekennt sich Biden zu multilateralen Vereinbarungen, wie dem Pariser Klimaabkommen, der WTO oder der WHO, er benennt NATO und EU als Partner, mit denen seine Administration konstruktiv zusammenarbeiten will. Das ist gut fürs Klima – in vielfältigem Sinne.

Chancen für die Wirtschaft – auch in der EU und Deutschland – bietet der „Biden Plan to build a modern, sustainable infrastructure and an equitable clean energy future“. Zwei Billionen US-Dollar wollen Biden und Harris in ihrer ersten Legislaturperiode investieren. In Klimaschutz und Digitalisierung genauso wie in Auto- und Eisenbahnen, in Strom- und Energienetze. Selbst wenn man an „Buy American“ glaubt, wird das ohne den europäischen Maschinenbau nicht möglich sein.

Um dauerhaft international wettbewerbsfähig bleiben zu können, braucht die amerikanische Wirtschaft die Unterstützung der ausländischen Investitionsgüterindustrie, vor allem des deutschen Maschinenbaus. Denn viele Spezialmaschinen werden im amerikanischen Binnenmarkt nicht hergestellt. Nehmen wir Werkzeugmaschinen als Beispiel, die den Kern aller industriellen Produktionsprozesse darstellen. Es gibt kaum noch amerikanische Hersteller. Spätestens wenn es um Sondermaschinen geht, brauchen die US-Unternehmen die Hidden Champions aus Deutschland, Italien oder Spanien. Auch in der Fabrikautomation haben die Amerikaner eine Achillesferse. Wer bei Tesla im Werk vorbeischaut, sieht Automatisierung „made in Germany“.

Joe Biden und sein Team haben sich Großes vorgenommen. Allein mit dem Anspruch „Made in all of America“ wird der demokratische Präsident seine ehrgeizigen Pläne nicht verwirklichen können. Auch er wird das notwendige technische Know-how zumindest teilweise importieren müssen.

Den von Trump erhobenen Vorwurf, die Europäer betrachteten die USA ausschließlich als Absatzmarkt, kann der Maschinenbau mit guten Argumenten entkräften. Zwar ist es richtig, dass der deutsche Maschinenbau nirgendwohin so viel exportiert wie in die USA, gleichzeitig investiert er dort aber auch mehr als irgendwo sonst. Selbst in die andere Richtung funktioniert der Handel. Der US-Maschinenbau ist der drittwichtigste Lieferant für Deutschland und Europa. Zur sozialen Komponente der transatlantischen Beziehungen gehört auch: deutsche Maschinenbauer bieten auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt rund 115.000 hoch qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze an. Das sind deutlich mehr Menschen als in der amerikanischen Stahlindustrie.

Das Beispiel Maschinenbau zeigt, wie sinnvoll und wertschöpfend internationale Arbeitsteilung sein kann. Und es gibt noch viel Luft nach oben. Allein eine vollständige Beseitigung der Zollhürden würde im europäischen Maschinenbau zu Kosteneinsparungen von 900 Millionen Euro pro Jahr führen. Bei den technischen Handelshemmnissen sieht es auch nicht besser aus. Sie machen eine für den US-Markt produzierte Maschine teurer als eine vergleichbare Maschine für die EU – und das gilt übrigens auch in der anderen Richtung. Die EU ist ebenfalls kein „Musterknabe des Freihandels“.

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Ohne Zweifel wird ein Freihandelsabkommen USA/EU beiden Wirtschaftsräumen enormen Nutzen stiften. Es muss ja nicht gleich TTIP sein. Eine Fokussierung auf die Kernthemen reduziert die Komplexität und erhöht die Chancen für einen Verhandlungserfolg. Dass es auch anders geht, hat der Asien-Pazifik-Raum bewiesen. Der gewaltige Erfolg, den die Chinesen mit dem RCEP-Freihandelsabkommen für sich verbuchen können, sollte jedenfalls Amerikanern und Europäern gleichermaßen Ansporn sein, die Trump-Jahre hinter sich zu lassen und das quantitativ wie qualitativ führende Freihandelsabkommen der Welt auf den Weg zu bringen!

Mehr zum Thema: Die Politikberatung in den USA stellt sich neu auf: Der Council of Economic Advisers, das Pendant zu den deutschen Wirtschaftsweisen, gewinnt an Einfluss: Das sind Bidens ökonomische Einflüsterer

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