Trotz Attacken aus Ankara EU setzt Beitrittsgespräche mit Türkei fort

Klare Worte, aber keine Drohungen: Die EU-Staaten setzen im Verhältnis zur Türkei auf Dialog – trotz heftiger Vorwürfe aus Ankara. Doch die Sorge vor einem Platzen des Flüchtlingsdeals überwiegt.

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Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara werden trotz „besorgniserregender Entwicklungen“ fortgesetzt. Quelle: dpa

Brüssel Die EU-Staaten wollen an den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorerst festhalten, obwohl sie die Entwicklung dort als äußerst besorgniserregend bezeichnen. Man sei bereit, den politischen Dialog „auf allen Ebenen und innerhalb des bestehenden Rahmens“ fortzuführen, heißt es in einer ersten gemeinsamen Stellungnahme zu den Ereignissen der vergangenen Tage, die am Dienstag von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel veröffentlich wurde. Die Situation werde allerdings weiter sehr aufmerksam verfolgt und bewertet werden.

Als Beispiele für „äußerst besorgniserregende Entwicklungen“ nennen die EU-Staaten die Festnahme von „Cumhuriyet“-Journalisten und Politikern der Oppositionspartei HDP. Diese schwächten das Rechtsstaatsprinzip und beeinträchtigten die parlamentarische Demokratie in der Türkei, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Auch die neuerliche Diskussion über eine Wiedereinführung der Todesstrafe und anhaltende Einschränkungen der Meinungsfreiheit werden als extrem beunruhigend bezeichnet.

„Die EU und ihre Mitgliedstaaten (...) rufen die Türkei auf, ihre parlamentarische Demokratie zu bewahren und die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit, die Grundfreiheiten und das Recht eines jeden auf ein faires Verfahren zu respektieren“, wird unter Verweis auf die „Verpflichtungen als Kandidatenland“ appelliert.

Gleichzeitig betonen Deutschland und die anderen 27 EU-Länder das Recht der Türkei, gegen die auch in der Europäischen Union als Terrororganisation eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK vorzugehen. Dabei müsse aber das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Die Erklärung der EU-Staaten kann auch als Signal an die EU-Kommission gesehen werden, die an diesem Mittwoch ihren Jahresbericht zu den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei veröffentlichen wird. Die Brüsseler Behörde könnte nämlich theoretisch wegen ernster und anhaltender Verstöße gegen die Grundsätze der EU einen vorläufigen Abbruch der Gespräche empfehlen.

Als Grund für den zurückhaltenden Kurs der EU gegenüber der Türkei gilt vor allem die Bedeutung der Landes für die europäische Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Die enge Zusammenarbeit mit dem Nato-Land ist ein Grund dafür, dass derzeit vergleichsweise wenige Menschen nach West- und Mitteleuropa kommen. Ein im März geschlossener Flüchtlingspakt sieht unter anderem vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken darf. Diese Vereinbarung könnte die Türkei bei einem einseitigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen aufkündigen.

Die Türkei hat der Bundesregierung derweil erneut vorgeworfen, regierungsfeindlichen Extremisten Unterschlupf zu gewähren. „Deutschland ist das Land, das Terrorgruppen im Kampf gegen die Türkei am meisten unterstützt“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Ankara. Konkret nannte er die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK und die linksradikale DHKP-C. Deutschland halte sich selbst für eine Demokratie erster Klasse und die Türkei nur für zweitklassig, sagte der Chefdiplomat. „Wir wollen, dass sie uns als gleichberechtigte Partner behandeln.“

Die Menschenrechtslage in der Türkei sorgt seit dem gescheiterten Putsch im Sommer für große Spannungen zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara. Zuletzt bot Außenstaatssekretär Michael Roth Regierungskritikern aus dem Nato-Staat Asyl in Deutschland an. Die Türkei hat auch damit gedroht, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen.

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