Trotz EU-Warnung Vorzeitiger Ruhestand für Richter – Polen politisiert die Gerichte

Trotz Warnungen der EU-Kommission will Polens Regierung oberste Richter früher in den Ruhestand schicken. Das Ziel laut Kritikern: ein Kaderwechsel.

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Trotz Warnungen der EU-Kommission haben Polens Regierende einige der höchsten Richter früher in den Ruhestand geschickt. Quelle: dpa

Warschau Fällt im Streit um die polnische Justizreform die womöglich letzte unabhängige Bastion? Nach Kaderwechseln durch die nationalkonservative Regierung gelten zahlreiche Justizbehörden in dem Land als befangen. Nun, so warnen Kritiker, knöpft sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auch den Obersten Gerichtshof vor.

Dort könnten nach dem 3. Juli zahlreiche Juristen ausgetauscht werden. „Viele Richter des Obersten Gerichts könnten gezwungen werden, früher in Pension zu gehen“, sorgt sich unter anderem das Antikorruptionsgremium des Europarates Greco in seinem jüngsten Bericht.

Denn ein bereits im April in Kraft getretenes PiS-Gesetz sieht vor, dass oberste Richter nach dem 3. Juli bereits mit 65 statt bisher 70 Jahren in den Ruhestand gehen müssen. Die Regelung trifft derzeit auf rund ein Drittel der Richterschaft zu.

Wer im Amt bleiben will, muss dies bei Staatspräsident Andrzej Duda beantragen – samt einem ärztlichem Attest, das die Gesundheit bescheinigt. Für die Entscheidung hat Duda mehrere Monate Zeit, so dass befürchtete Pensionierungen auch nach Juli erfolgen können.

Die Greco-Experten kritisieren: Dank der neuen Regeln könne das Staatsoberhaupt die Richter de facto aussuchen. „Wir sind besorgt, dass Polen in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz nicht länger Anti-Korruptionsstandards erfüllt“, warnen sie.

Bedenken äußerte auch die EU-Kommission, die wegen des umfassenden Umbaus von Polens Justiz Verstöße gegen EU-Grundwerte sieht. Sie leitete ein Sanktionsverfahren gegen das Land ein.

Die möglichen Pensionierungen der Richter hatte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans scharf kritisiert: „Die erzwungene Pensionierung dieser obersten Richter würde einen nicht wiedergutzumachenden Bruch der Rechtsstaatlichkeit darstellen.“

Außenminister Czaputowicz verteidigt die Reform

Polens Regierung will von Kritik nichts wissen. „Das Datum 3. Juli wird dämonisiert“, meinte Außenminister Jacek Czaputowicz. Polen habe das Gesetz bereits nachgebessert und sei dabei Forderungen Brüssels entgegenkommen.

Über die Amtsverlängerungen der Richter entscheide nicht Duda allein, er müsse den für die Richterwahl zuständigen Landesjustizrat zurate ziehen, verteidigte Czaputowicz die Reform.

Das hebt die Sorgen Brüssels in Sachen Rechtsstaatlichkeit aber nicht auf. Seit einer PiS-Reform werden auch die Mitglieder des Landesjustizrates mit verstärktem Parlamentseinfluss gewählt.

Die Behörde gilt als befangen, ebenso wie das Warschauer Verfassungsgericht und allgemeine polnische Gerichte, an denen Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro dank neuer Vollmachten zahlreiche Gerichtspräsidenten auswechselte.

Am obersten Gerichtshof würden sie 27 von derzeit 74 Juristen betreffen. 16 von ihnen beantragten eine Amtsverlängerung, wie das Gericht angibt. Allerdings hätten sich die meisten nicht auf das PiS-Gesetz, sondern die Verfassung berufen.

Ihre Amtszeit sei rechtlich garantiert, die Kürzung eine Rechtswidrigkeit, meinen die Richter. „Das stellt einen offensichtlichen Verstoß der Regierenden gegen eine der grundlegenden Garantien einer unabhängigen Justiz dar“, heißt es in einer Erklärung der Juristen.

Ob Duda den Anträgen stattgibt, die die PiS-Voraussetzungen nicht erfüllen und ihm zudem Verfassungsbruch vorwerfen, scheint eher fraglich.

Es geht einzig um einen Kaderwechsel

Äußerungen seines Kabinettschefs lassen zudem erahnen, welches Schicksal den Juristen nach dem 3. Juli blühen kann. „Dann endet in Polen die Straffreiheit“, kündigte Krzysztof Szczerski in polnischen Medien an. Die Reformen würden Polens Justiz von korrupten Richtern befreien, begründet die PiS ihre Gesetze.

Ein Vorwand, meint die Vorsitzende des Obersten Gerichtshof Malgorzata Gersdorf. „Bei diesen ganzen Änderungen im Justizwesen geht es nicht ums Gemeinwohl, sondern einzig um Kaderwechsel“, sagt die 65-jährige Juristin. Auch ihre Zukunft ist ungewiss.

Polnischen Rechtsexperten zufolge wäre es inzwischen selbst für eine von Kritikern geforderte Klage gegen das Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH zu spät. So ein Verfahren würde sich über Monate ziehen, sagen sie und meinen: Genügend Zeit für die Regierenden, um nicht genehme Richter in den Ruhestand zu schicken.

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