Trump und die Rechtspopulisten „Ein Risiko für die Existenz des Euro-Raums“

Ökonomen sind überzeugt: Kurzfristig wird der Trump-Sieg keinen messbaren Effekt für die Weltwirtschaft haben. Große Sorgen bereitet den Experten jedoch das mögliche Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in Europa.

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Französin Marine Le Pen und Niederländer Geert Wilders. Quelle: dpa

Berlin Nach dem Wahlsieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl warnen führende Ökonomen in Deutschland vor den Folgen einer möglichen Zunahme populistischer Tendenzen für Europa. „Ich befürchte, dass der Wahlsieg von Donald Trump den Nationalismus und die Renationalisierung der Wirtschaftspolitik in Europa noch verstärken wird“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt. „Viele Regierungen könnten versucht sein, Europa als Sündenbock für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen, statt dringende Reformen voranzutreiben.“

Die beste Antwort auf den zunehmenden Extremismus sei daher für die Politik, „dringend die soziale Ungleichheit zu adressieren“. „Meine Sorge gilt nicht nur Ländern wie Italien und Frankreich. Die Bundesregierung versucht mit unhaltbaren Versprechen von Rentenerhöhungen und Steuersenkungen die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ruhig zu stellen“, sagte der DIW-Chef weiter. „Dieser Versuch wird scheitern, weil die Versprechen langfristig nicht haltbar sind und weil die fehlende Chancengleichheit in Deutschland nicht durch mehr Staatsausgaben zu lösen ist.“

Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, forderte als Antwort auf das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte politische Korrekturen. Es sei nun auch für Europa „höchste Zeit zu erkennen, dass die Ära der von den wirtschaftspolitischen Eliten verfolgten neoliberalen Reformen vorbei ist“, sagte Horn dem Handelsblatt. Sie hätten dazu geführt, dass breite Teile der Mittelschicht in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt worden seien. „Das ist der Boden, auf dem Rechtspopulismus gedeiht“, warnte der IMK-Chef. „Reformen gegen die Bevölkerung sind keine gute Wirtschaftspolitik, sondern führen am Ende zu wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen, die niemand wollen kann.“

Besorgt äußerten sich auch die Volkswirte der Commerzbank. „Die ohnehin starken Kräfte gegen das politische und wirtschaftliche Establishment werden den traditionellen Parteien nach dem Wahlsieg Trumps noch mehr zusetzen“, schreiben die Ökonomen in einer Analyse. Sie erwarten, dass die etablierten Parteien, um an der Regierung zu bleiben, immer häufiger Koalitionen eingingen, „die ihr Profil verwischen und sie weiter schwächen“. „In diesem Klima ist es schwierig, unpopuläre Reformen zu beschließen, die für die wirtschaftliche Gesundung der Euro--Länder und damit für den Fortbestand der Währungsunion notwendig sind.“ Die Experten schlussfolgern daraus, dass die Establishment-Gegner „ein Risiko für die Existenz des Euro-Raums“ darstellten.

Die Sorgen kommen nicht von ungefähr. Der Wahlsieg Trumps sorgt vor allem bei Rechtspopulisten in Europa für gute Stimmung. In Frankreich, Österreich, Deutschland und anderen EU-Staaten werteten Vertreter der entsprechenden Parteien den Erfolg des Milliardärs und Immobilienmoguls als Beleg dafür, dass das politische Establishment am Ende sei. Die Alternative für Deutschland (AfD) sprach von einem Votum gegen „Altparteien und Lückenpresse“. Auch Ungarns Präsident Viktor Orban, der in der Flüchtlingskrise einen harten Kurs verfolgt hat, äußerte sich erfreut.


IW-Chef warnt vor „nationalistischen Grundtönen“

„Heute die Vereinigten Staaten, morgen Frankreich“, erklärte die Vorsitzende des rechtsextremen Front National in Frankreich, Marine Le Pen, via Twitter mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr. Derzeitigen Umfragen zufolge hat Le Pen zumindest gute Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Frankreich leidet nach wie vor unter einer relativ hohen Arbeitslosigkeit und ist im Fadenkreuz islamistischer Extremisten.

Bereits nach dem überraschenden Brexit-Votum im Juni hatten Rechtspopulisten sich in ihrer Haltung bestätigt gesehen, dass die etablierte Politik - vor allem auch in Brüssel - von den Ängsten und Sorgen der Menschen weit entfernt sei. Die Briten hatten am 23. Juni ähnlich überraschend wie der Wahlsieg Trumps für einen Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt.

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, meint denn auch, dass der Jubel der populistischen Kräfte in Europa über den Trump-Sieg genau dort bedeutsam sei, wo ähnliche strukturelle Verwerfungen wie in den USA zu konstatieren seien. „Im Vereinigten Königreich erklärt sich der Brexit ebenso durch gewaltige regionale Divergenzen wie in den USA und eine fortgeschrittene De-Industrialisierung“, sagte Hüther dem Handelsblatt. „War die Trump-Wahl auch ein Votum gegen Wallstreet und Silicon Valley, so war der Brexit-Entscheid eines gegen London.“ Ähnliche regionale Verwerfungen ließen sich in Frankreich identifizieren, allerdings, schränkte der IW-Chef ein, nicht in Deutschland, wo das Gegenteil zutreffe.

„Für Europa würde es bei einflussreichen nationalistischen Kräften natürlich schwerer, Reformen anzuschieben“, sagte Hüther weiter. „Die Länder werden dann aber erst recht ihre eigenen Probleme auch alleine lösen müssen“, betonte der Ökonom. „Warum sollte bei nationalistischen Grundtönen von anderen Hilfe oder Solidarität zu erwarten sein?“ Die 2010 begonnene Schuldenkrise hätte aus Sicht Hüthers einen anderen Verlauf genommen, weil man die Sanktionswirkung der Kapitalmärkte nicht durch Krisenmanagement ausgehebelt hätte.

Ebenso könne aber der von außen erhöhte Druck - USA reduziert Nato-Verpflichtungen, Trump und Putin im Schulterschluss , anhaltende Konflikte im Nahen Osten - dazu führen, dass man die Flucht nach vorne antrete. „In der Bratislava-Roadmap ist die Verteidigungsgemeinschaft als Projekt enthalten“, gab Hüther zu bedenke. „Warum also nicht dort, wo es auch ökonomisch viel Sinn macht, die Flucht nach vorne antreten.“


Gründe für den Aufschwung der Establishment-Gegner

Den Commerzbank-Analysten greift es indes zu kurz nur vor den sogenannten Rechtspopulisten wie Trump, Le Pen oder die AfD zu warnen. Denn populistische Positionen fänden sich auch bei den traditionellen Parteien, wie die Forderungen nach langfristig nicht zu finanzierenden Rentenerhöhungen zeigten. „Zum anderen finden sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums Parteien und Bewegungen, die das politische Establishment ablehnen“, konstatieren die Volkwirte. So seien die griechische Syriza oder die spanische Podemos dezidiert links. Sie teilten aber mit Parteien wie der französischen Front National aber die ablehnende Haltung gegenüber der Marktwirtschaft und dem Freihandel. Es sei deshalb besser, von Establishment-Gegnern zu sprechen.

Im Euro-Raum speist sich deren zunehmender Rückhalt aus mehreren Quellen, wie die Analysten weiter schreiben. Dazu zählt etwa „die verstörende Erfahrung der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009, die das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft bis weit in das bürgerliche Lager erschüttert habe.

Als zweiten Punkt nennen die Experten die Globalisierung. Selbst im Exportland Deutschland hätten nicht alle Menschen davon profitiert. „So hat die Integrationen vieler Millionen Chinesen in die Weltwirtschaft die Wettbewerbsposition von Arbeitnehmern mit eher niedriger Qualifikation verschlechtert“, heißt es in der Untersuchung. Zwischen 1993 und 2007 seien die Bruttoarbeitseinkommen des unteren Zehntels der Beschäftigten preisbereinigt um 40 Prozent gefallen.

Als dritter Punkt wird in der Analyse die weit verbreitete Meinung angeführt, dass die EU eh generell nicht funktioniere und den Herausforderungen in ihrer derzeitigen Ausrichtung nicht gewappnet sei. So hätten die EU-Länder weder die Staatsschulden- noch die Flüchtlingskrise „nachhaltig gelöst“, konstatieren die Ökonomen. „Immer mehr Menschen nehmen die EU als dysfunktional wahr und lehnen sie deshalb pauschal ab.“ Das habe eine wichtige Rolle beim Brexit-Votum der Briten gespielt.

Als „Paradebeispiel“ für eine unpopuläre, aber dringend notwendige Reform sehen die Commerzbank-Analysten den vom italienischen Ministerpräsidenten Mario Renzi geplanten Umbau des Senats. Die Senatsreform sei eine Voraussetzung für das Beschließen wirtschaftlicher Reformen. „Aber die Italiener sind enttäuscht von ihrer politischen Kaste und könnten die Volksabstimmung über die Senatsreform zu einem Plebiszit gegen die Regierung umfunktionieren“, fürchten die Experten. Sollte es zu Neuwahlen kommen, sei eine Stichwahl nicht ausgeschlossen, die womöglich die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) unter Führung von Beppe Grillo als klaren Sieger hervorbrächte. „Das Programm der M5S“, warnen die Commerzbanker, „hat durchaus das Potenzial, eine handfeste Krise auszulösen.“


Rechtspopulisten europaweit auf dem Vormarsch

Mit Blick auf die Niederlande stellen die Experten fest, dass der dortigen Bevölkerung vor allem die Nichteinhaltung der Regeln der EU durch andere Mitgliedsländer ein Dorn im Auge sei, zumal die Niederlande als Geberland den viertgrößten Nettobeitrag an die EU zahle und selbst zu den stabilitätsorientierten Ländern des Euro-Raums zählten. Die Unzufriedenheit der niederländischen Bürger habe sich bereits Anfang April gezeigt, als bei einer Volksbefragung das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden sei.

Noch weitreichender könnte sein, wenn, wie Umfragen nahelegen, die Euro-Gegner der Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders nach der Wahl am 17. März 2017 mit einem Fünftel der Mandate die stärkste Fraktion im Parlament stellen. „Damit dürfte der Einfluss der PVV auf die Politik der Niederlande zunehmen, selbst wenn die Partei wohl in der Opposition bleiben dürfte“, resümieren die Commerzbank-Analysten.

In Frankreich sieht sich die rechtspopulistische Front National (FN) nach Trumps Wahlsieg im Aufwind. Parteichefin Marine Le Pen hatte vor der Wahl gesagt, sie würde Trump wählen, wenn sie US-Amerikanerin wäre. Sie hat nach Schätzungen ein Potenzial von rund 30 Prozent der Stimmen bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl am 23. April kommenden Jahres. Viele politische Kommentatoren vermuten deshalb, dass es Le Pen in die Stichwahl am 7. Mai schafft. Die Wahlen zur Nationalversammlung finden am 11. und 18. Juni statt.

Was Le Pen in die Hände spielt, ist, dass aus Sicht vieler Franzosen die Zuwanderung und die Globalisierung die Bevölkerung ärmer machten. Zudem befinde sich die Wirtschaft noch immer in der Krise, konstatieren die Commerzbank-Experten. So ist das Wachstum unterdurchschnittlich, und die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen vier Jahren kaum gefallen und lag im September noch immer bei 10,2 Prozent. Nach Auffassung vieler Franzosen ist die derzeitige Regierung nicht in der Lage, die Probleme des Landes zu lösen. Umfragen zufolge ist Präsident Hollande der unbeliebteste Staatschef der jüngeren Geschichte; nur 15 Prozent der Franzosen sind mit dessen Arbeit zufrieden.

In Österreich ist ein weiterer Rechtsruck nicht ausgeschlossen. Nach Jahrzehnten der Großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP und großem Verdruss mit den traditionellen Parteien ist es der rechtspopulistischen FPÖ bereits gelungen, sich in Umfragen als derzeit stärkste Kraft zu etablieren. Als Folge davon hat ihr Kandidat Norbert Hofer nun gute Aussichten, in der zweiten Stichwahl Anfang Dezember doch noch zum Bundespräsidenten gewählt zu werden.


„Auf längere Sicht ziehen dunkle Wolken am Horizont auf“

Dass die Österreich einem anti-europäischen Präsidenten zuneigen, erklären die Analysten der Commerzbank mit der Unzufriedenheit vieler Bürger über die wirtschaftlichen Lage und dem Unvermögen der seit Jahren regierenden Großen Koalition, daran etwas zu ändern. „Das Wirtschaftswachstum fällt zusehends hinter das des Euro-Raums zurück und die Arbeitslosenquote hat den höchsten Stand seit der Finanzkrise erreicht – Tendenz steigend“, konstatieren die Experten.

Hinzu komme, dass die Steuern und Sozialabgaben zu den höchsten in der EU gehörten, während die Einkommen stagnierte. Die Folge: Viele Österreicher fühlten sich abgehängt. Überlagert werde dieses Gefühl zudem von hoher Zuwanderung von Flüchtlingen, die viele skeptisch sähen. „Das erklärt den Erfolg der rechtspopulistischen FPÖ, die einen Kontrapunkt setzt mit ihrem Motto: Österreich zuerst“, so die Commerzbanker.

Die möglichen Auswirkungen des Trump-Siegs auf Deutschland sind bisher überschaubar. Die AfD geht davon aus, dass sie in einem Jahr als Oppositionspartei im Bundestag vertreten sein wird. Aktuell kommt sie in Umfragen bundesweit auf um die elf Prozent der Stimmen. Gleichwohl muss das nicht das Ende der Fahnenstange sein.

„Die gebrochenen Tabus, das Ausmaß des politischen Konflikts, die Aggression, die wir bei Trump gesehen haben, das kann den Spielraum dessen erweitern, was auch in unserer politischen Kultur denkbar ist“, sagte Daniela Schwarzer von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kürzlich der Nachrichtenagentur Reuters. Die Stabilität des politischen Systems in Deutschland habe bislang vor allem auf den beiden großen moderaten Parteien basiert, fügte die Politologin mit Blick auf Union und SPD hinzu. „Aber wenn der jetzige Trend weitergeht, werden auch Große Koalitionen nicht mehr genügend Unterstützung haben, um zu regieren.“

Möglicherweise befeuert Trump eine solche Entwicklung sogar noch – je nachdem, welche politische Richtung er einschlägt. „Kurzfristig wird es keinen messbaren Trump-Effekt geben“, ist der Ökonom Horn überzeugt. „Auf längere Sicht ziehen jedoch dunkle Wolken am Horizont auf.“ Setze Trump seine im Wahlkampf angekündigte Wirtschaftspolitik auch nur im Ansatz um, seien „schwere wirtschaftliche und soziale Schäden für die USA und den Rest der Welt zu erwarten“.

In den USA werde Trump aus Sicht Horns dann genau jene verraten, die ihn gewählt haben. „Es werden Arbeitsplätze verloren gehen, der Krankenversicherungsschutz wird schwinden und die Umverteilung von unten nach oben wird sich sogar beschleunigen.“ Für den Rest der Welt würden die protektionistischen Maßnahmen dann „wohlstandsmindernd“ wirken.

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