Trump will Obamacare loswerden Russisches Roulette mit dem Gesundheitssystem

Donald Trump will das Gesundheitssystem der USA radikal ändern. Obamacare soll gekippt werden – um jeden Preis. Den müssten jedoch Millionen Versicherte zahlen. „Das Weiße Haus hat keine Strategie“, warnen Experten.

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Washington Der US-Senat steht vor einer der wichtigsten Entscheidungen über das Gesundheitssystem der rund 320 Millionen Amerikaner. Doch nicht einmal die Abgeordneten selbst wissen, was sie da entscheiden. Soll Obamacare durch eine neue Gesundheitsreform ersetzt oder einfach nur ersatzlos gestrichen werden? US-Präsident Donald Trump erklärt die Debatte am Dienstag zum Schicksalsvotum für die Republikaner auf. Doch die Zukunft der medizinischen Versorgung der Amerikaner scheint dabei keine Rolle mehr zu spielen. Der Abriss des Obama-Erbes steht für Trump über allem anderen. Trumps inhaltliche Ansätze gleichen einem Wirrwarr, die gesundheitspolitische Strategie des Weißen Hauses liegt völlig im Dunkeln.

Nach Ansicht von Demokraten steht hinter Trumps irritierenden Signalen der Versuch, die Gesundheitsversorgung zu destabilisieren. Auf diese Weise versuche der Präsident, widerspenstige Republikaner im Kongress dazu zu bewegen, eine Abschaffung von Obamacare zu unterstützen, meinen sie. Das Weiße Haus will sich zu den diversen Optionen bislang nicht äußern. Ziel bleibe es, ein Gesetz zu verabschieden, hieß es lediglich. Auch zu Alternativen für den Fall des Scheiterns einer aktuellen Vorlage im US-Senat wollten Mitarbeiter nicht Stellung nehmen.

Falls Obamacare gestrichen wird, droht 32 Millionen Amerikanern bis 2026 der Verlust ihrer Krankenversicherung. Allein im kommenden Jahr würden bereits 17 Millionen Amerikaner ihren Schutz verlieren, sollte kein Ersatz bereitstehen, teilte die überparteiliche Haushaltsbehörde des Kongresses (CBO) in der vergangenen Woche mit.

Für Robert Laszewski, einem Berater in der Gesundheitsindustrie und Kritiker von Obamacare, ist die Regierung schlicht ratlos. „Das Weiße Haus hat keine Strategie“, sagt er. Eine andere Theorie lautet: Trump muss Schadensbegrenzung betreiben, um die subventionierten Versicherungsmärkte zu stützen, falls der Gesetzesvorstoß der Republikaner scheitert.

Ironischerweise stehen die Versicherungsmärkte anders als von Trump und weiteren Republikanern wiederholt dargestellt nicht vor dem Kollaps. Etwa zehn Millionen Amerikaner verfügen über Einzelpolicen unter diesem Teil von Obamacare. Der Analyst Deep Banerjee von Standard & Poor's beschreibt die Versicherungsbörse als „in Verbesserung begriffen, aber fragil“.

Die Kredit-Ratingagentur rechnet damit, dass der durchschnittliche Versicherer im Laufe dieses Jahres die Gewinnschwelle überschreiten wird. Und Obamas Fürsorgeprogramm Medicaid für Geringverdiener und Menschen mit Behinderung, das weitere elf Millionen Menschen absichert, ist von den Problemen an den Börsen nicht betroffen.

Der demokratische Senator Ron Wyden aus Oregon, der in der Vergangenheit mit Republikanern in der Gesundheitspolitik zusammenarbeitete, befürchtet, dass das Weiße Haus Übles im Sinn hat. „Sie tun alles, was sie können, um das Feuer der Unsicherheit weiter anzuheizen, und das ist es, was dem Gesetz wirklich schadet“, sagt er.

Man könne zwar sagen, dass man das Gesetz ändern wolle. Aber man dürfe nicht sagen, dass man alles in seiner Macht Stehende unternehmen wolle, ein geltendes Gesetz zu untergraben, beklagt Wyden. „Hier geht es darum, Menschen zu schaden, um einen politischen Vorteil zu erreichen, und ich habe noch nie einen Präsidenten erlebt, der das auf derart dreiste Weise tut.“


„Feindliche Übernahme“ des Gesundheitssystems

Nach Darstellung der Trump-Regierung sind es dagegen höhere Beiträge und eine unübersichtliche Angebotsflut unter Obamacare, die den Menschen schaden. Einige große Versicherer haben sich von der Börse zurückgezogen oder ihr Angebot verkleinert, so dass viele Verbraucher nun nur noch über begrenzte Optionen verfügen. Dennoch werfen die Demokraten der Regierung Sabotage vor, da diese Anfang des Jahres die Werbung für Anmeldungen zu Obamacare einstellte.

Außerdem beendete Washington seine Verträge mit Beratungsstellen in 18 Städten und verkürzte die Anmeldefrist für die Gesundheitsversorgung um etwa die Hälfte. Zugleich veröffentlichte das Gesundheitsministerium Internetvideos, in denen Kleinunternehmer Obamacare für erhöhte Versicherungskosten verantwortlich machen. Bei den Videos handele es sich um „wichtige und lehrreiche Testimonials“, sagte Ministeriumssprecherin Alleigh Marré. Diese zeigten, dass das Gesetz Millionen Amerikanern die Chance auf eine bezahlbare Krankenversicherung genommen habe.

Der Volkswirt Joe Antos von der wirtschaftsnahen Denkfabrik American Enterprise Institute vergleicht die Situation mit einer feindlichen Übernahme. „Aber bei einer feindlichen Übernahme gibt es normalerweise ein relativ klares Geschäftsziel“, sagt er. In diesem Fall scheine es jedoch so, als würden sich die Ziele verschieben. Berater Laszewski drückt es noch anders aus: „Zuerst haben die Demokraten Trump gebeten, das Gesetz in Ordnung zu bringen. Dann war die Rede von Abschaffung und Ersetzung, dann nur von Abschaffung, und jetzt heißt es wieder Abschaffung und Ersetzung.“

Die drängendste Frage lautet nun, ob die Trump-Regierung die monatlichen Subventionen an die Versicherer weiterzahlen wird, die Freibeträge und Zuzahlungen für Verbraucher mit geringem Einkommen ermöglichen. Republikanische Abgeordnete haben vor Gericht Klage gegen die Subventionen im Umfang von jährlich sieben Milliarden Dollar (sechs Milliarden Euro) eingereicht.

Trump kündigte kürzlich vor republikanischen Senatoren an, er werde die Zahlungen möglicherweise auch ohne richterliches Urteil einstellen. „Wir zahlen jeden Monat Hunderte Millionen Dollar an Subventionen, zu denen wir nicht einmal gerichtlich verpflichtet sind“, sagte der Präsident. „Und wenn diese Zahlungen aufhören, wird auch Obamacare sofort aufhören. Es dauert keine zwei Jahre, keine drei Jahre, kein Jahr – es hört sofort auf.“

Die Versicherer verlangen von der Regierung schon seit Trumps Amtsantritt die Zusage, dass das Geld weiter fließen wird. Auch die staatlichen Aufsichtsbehörden sowie Fraktionsführer beider Parteien im Kongress setzen sich dafür ein. Doch das Weiße Haus behält sich vor, über die Zahlungen von Monat zu Monat neu zu entscheiden.

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