
WirtschaftsWoche: Herr Bode, Sie laufen Sturm gegen TTIP, ein Abkommen, zu dem es noch gar keinen Gesetzesentwurf gibt. Warum?
Thilo Bode: Ein Gesetzentwurf kann von den Abgeordneten noch verändert werden – TTIP nicht. Die Diskussion muss also jetzt geführt werden. Viele Vorfestlegungen sind ja bekannt und stehen zu Recht in der Kritik. Es geht bei TTIP nicht nur um die Farbe von Autoblinkern oder den Abbau von Zöllen, sondern um tiefe Eingriffe in unser Leben. Die Öffentlichkeit muss darüber mitreden können. Sie kann es aber nicht, da die EU-Kommission und die USA die Verhandlungen geheim führen.
Zur Person
Thilo Bode, 68, kämpft für besseres Essen. 2002 gründete er die Verbraucherorganisation Foodwatch. Zuvor war er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und Greenpeace International. Im März erschien sein Buch "TTIP - die Freihandelslüge".
Nicht so schnell. Die EU-Kommission hat längst auf die Kritik reagiert und unzählige Dokumente – den Stand der Verhandlungen, die Ziele der EU und bereit beschlossene Abkommen mit anderen Ländern – online gestellt. Die Intransparenz ist ein Mythos.
Das finde ich nicht. Erst die öffentliche Kritik hat die Kommission überhaupt zu Änderungen gezwungen. Und noch immer ist das nicht ausreichend, um wirkliche Transparenz zu schaffen. Für mich ist entscheidend, ob wir einen Überblick über den Stand der TTIP-Verhandlungen haben. Die Antwort ist eindeutig: den haben noch einmal die Abgeordneten.
Die Freihandelsabkommen
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.
TTIP ist ein sich in der Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. Seit Juli 2013 verhandeln Vertreter beider Regierungen geheim – auch die nationalen Parlamente der EU erhalten keine detaillierten Informationen.
In dem Abkommen geht es um Marktzugänge durch den Abbau von Zöllen. Zudem sollen globale Regeln entwickelt werden – etwa zur Vereinheitlichung von Berufszugängen innerhalb der Handelszone. Auch Gesundheitsstandards und Umweltstandards sollen angeglichen werden.
Als Blaupause für das Abkommen gilt CETA.
Was wollen Sie konkret wissen?
Etwa wie weit die Gespräche fortgeschritten sind. Kommt es schon in diesem Jahr zum Abschluss, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt – oder erst 2017 unter einem neuen US-Präsidenten? Ich fordere die Europäische Kommission auf, einen klaren Zeitplan vorzulegen. Zudem wissen wir bis heute nicht, was die Ziele und Positionen der USA sind. Solche Fragen sind essentiell, um den Verlauf der Gespräche bewerten zu können.
Sie urteilen schon jetzt über TTIP – ohne Antworten auf Ihre Fragen zu haben. Warum warten Sie nicht ab, bis ein Gesetzentwurf vorliegt? Den können wir dann fundiert diskutieren: in der Öffentlichkeit, in den nationalen Parlamenten.
Das ist zu spät. Die Parlamente können den Entwurf nur annehmen oder ablehnen. Inhaltliche Änderungen sind dann nicht mehr möglich. Da gibt es also nicht mehr viel zu diskutieren. Bei jedem kleinen Einzelgesetz ist eine öffentliche Debatte guter demokratischer Standard – und ausgerechnet bei einem völkerrechtlichen Abkommen, der die Gesetzgebungsspielräume der EU und der Mitgliedstaaten einschränken würde, soll das nicht so sein? Der Einfluss der Abgeordneten ist also begrenzt. Das gilt für das Europaparlament ebenso wie für die nationalen Parlamente, also etwa den Bundestag,– sofern sie gefragt werden…
Da es sich um ein so genanntes gemischtes Abkommen handelt, muss der Bundestag gefragt werden.
Da behaupten Sie mehr, als Sie wissen können. Ob TTIP als „gemischtes Abkommen“ eingestuft wird, ist zwar wahrscheinlich, steht aber noch lange nicht fest. Die Europäische Kommission hat kein Interesse daran, dass die Parlamente in allen 28 Nationalstaaten über das Ergebnis abstimmen. Gerade erst hat sie ein Abkommen mit Singapur an den EUGH übergeben, um zu überprüfen, wer das Vertragswerk ratifizieren muss und wer nicht. Selbst wenn ein Ratifizierungsprozess in den nationalen Parlamenten erforderlich ist, was Jahre dauern kann, darf TTIP schon vorher angewendet werden. Die EU und die USA wären also gut beraten, die Verhandlungen so offen und ehrlich wie möglich zu gestalten. Es geht doch nicht um Atomsprengköpfe! Ehrlich: Ich verstehe die Geheimhaltung nicht.
Ich versuche es noch einmal: Verhandlungen sind eine Suche nach Kompromissen. Wer vorschnell seine Karten auf den Tisch legt, schwächt sich selbst. Das gilt insbesondere für die EU, die die Interessen der 28 Mitgliedstaaten vertreten muss – und Gefahr läuft, sich in innereuropäischen Diskussionen zu zerreiben.
Sie gewichten die Verhandlungen anders als ich. Sie stellen den Verhandlungserfolg in den Vordergrund. Ich sage: Das Prinzip der Demokratie ist die öffentliche Diskussion über Gesetze. Wenn diese nicht gewährleistet ist, dann müssen wir die Gespräche eben abbrechen. Ich finde, es ist eine Unverschämtheit, dass Dinge, die uns täglich betreffen, im Geheimen verhandelt werden.