TTIP-Enthüllungen Die EU darf sich nicht über den Tisch ziehen lassen

Die Veröffentlichung geheimer Papiere macht den schnellen Abschluss des Handelsabkommens TTIP unwahrscheinlich. In wichtigen Positionen gibt es noch gar keine Vereinbarungen – allenfalls Absichtserklärungen. Eine Analyse.

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Prominenter Lesesaal: Vor dem Brandenburger Tor hat Greenpeace die TTIP-Papiere ausgelegt. Quelle: Reuters

Brüssel Ist das nun der Todesstoß für die transatlantischen Freihandelsgespräche? Sicher ist: Die Veröffentlichung bislang unbekannter konsolidierter Verhandlungstexte durch Greenpeace ist ein schwerer Schlag für das Projekt eines gemeinsamen europäisch-amerikanischen Binnenmarktes. Es wird sich davon so schnell nicht erholen. Ein erfolgreicher Abschluss der Gespräche in diesem Jahr wird damit noch unwahrscheinlicher – und die Kritiker, deren Bewegung in den vergangenen Monaten immer größer geworden ist, haben Anlass, wieder einmal sich selbst zu feiern.

Dabei sind die heiklen Punkte, die sich aus den Papieren ergeben, nicht wirklich neu: Dass den Amerikaner beispielsweise das Vorsorgeprinzip beim Verbraucherschutz ein Dorn im Auge ist, gilt seit langem als offenes Geheimnis. Schließlich wollen sie gentechnisch veränderte Lebensmittel und mit Hormonen behandeltes Fleisch auf dem europäischen Markt verkaufen.

Und dass Washington knallhart verhandelt und effektive Druckmittel in der Hinterhand hält, hat sich seit Monaten abgezeichnet. So wollen die USA Zölle für die Autoindustrie nur streichen, wenn sich die EU bei den Agrarzöllen bewegt und mehr Agrarprodukte aus den USA auf dem europäischen Markt zulässt.

Doch dass die Amerikaner etwas fordern, heißt noch lange nicht, dass die Europäer es ihnen auch gewähren. Immerhin ist das Europaparlament als Korrektiv nicht machtlos – die Volksvertreter müssen jedem Handelsabkommen zustimmen.

Und sie haben ihre roten Linie gezogen, sowohl beim Umwelt- und Arbeitsschutz wie auch im Bereich gemeinsamer Regulierung und der umstrittenen privaten Schiedsgerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren. Mit der Entscheidung, das Urheberrechtsabkommen „Acta“ abzulehnen, hat das Parlament vor Jahren nicht nur Zähne gezeigt, sondern auch, dass es zubeißen kann.


Entgegenkommen ist keine Einbahnstraße

Allein, den TTIP-Gegner fehlt offenbar das Vertrauen. Sie haben es geschafft, weite Teile der Bevölkerung derart zu verunsichern, dass diese für den potenziellen Nutzen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA als Wachstums- und Beschäftigungsprogramm kaum noch empfänglich sind. Das macht einen Abschluss umso schwieriger.

Von Anfang an krankt das Projekt daran, dass Europa vor allem die Risiken eines Handelsabkommens debattiert, nicht aber die Chancen. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten haben es versäumt, diese Debatte frühzeitig und nachhaltig in eine andere Richtung zu drehen – wohl auch, weil sie die Mobilisierungsmöglichkeiten der TTIP-Gegner über die sozialen Netzwerke unterschätzt haben.

Keine Frage: Die EU darf sich nicht bei TTIP nicht von den Amerikanern über den Tisch ziehen lassen. Entgegenkommen ist keine Einbahnstraße. Natürlich haben die Bürger bei internationalen Verhandlungen ein Mindestmaß an Transparenz verdient. Nur so sind Verhandlungsprozesse wie bei TTIP in Einklang mit demokratischen Prinzipien zu bringen. Die EU-Kommission hat hier in der Vergangenheit viel geleistet. Wohl nie zuvor sind Handelsgespräche auf Brüsseler Seite so offenherzig geführt worden. Doch auch das hat die Skeptiker nicht besänftigen können.

Mit den nun veröffentlichten TTIP-Verhandlungspapieren haben die Bürger nun auch viele Positionen der USA schwarz auf weiß. Und es zeigt sich: Bisher gibt es so gut wie keine Vereinbarungen zwischen den USA und der EU-Kommission. Es mangelt an einer gemeinsamen Sprache jenseits des Bekenntnisses TTIP zu einem Abschluss zu bringen. Europäer und Amerikaner befinden sich in einer Vertrauenskrise.

Nach den deutsch-amerikanischen Differenzen beim Irak-Krieg, der NSA-Affäre und dem ewigen Datenschutz-Gerangel, scheint eine Neujustierung der transatlantischen Partnerschaft notwendiger denn je.

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