Türkei Erdogan bringt Flüchtlingspakt mit der EU ins Wanken

Der türkische Ministerpräsident Davutoglu war der Architekt des Flüchtlingspakts mit der EU. Nach dessen Rücktrittsankündigung macht Staatschef Erdogan Front gegen Brüssel. Die Bundesregierung pocht auf die Umsetzung.

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Der Staatschef sagte, nur ein Präsidialsystem sei eine „Garantie für Stabilität und Sicherheit“. Quelle: Reuters

Istanbul/Berlin Unmittelbar nach der Rückzugsankündigung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Flüchtlingspakt mit der EU ins Wanken gebracht. Erdogan wandte sich am Freitag in Istanbul unter dem Jubel von Anhängern gegen die Brüsseler Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei. „Wir gehen unseren Weg, geh Du Deinen Weg“, sagte er an die Adresse der EU. „Einige Dich, mit wem Du willst.“ Die Menge skandierte: „Steh aufrecht, beuge dich nicht.“

Die Bundesregierung hatte kurz zuvor von der Türkei eine unveränderte Fortsetzung des Flüchtlingspakts verlangt. „Das Vereinbarte muss nun von beiden Seiten weiter konsequent umgesetzt werden, und das völlig unabhängig von handelnden Personen - von der Türkei genauso wie in Europa“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier „Spiegel Online“. „Vereinbarungen werden mit Staaten und Regierungen abgeschlossen, nicht mit Einzelpersonen.“

Eine Änderung der Terrorgesetze ist einer der fünf offenen Punkte, die Ankara noch erfüllen muss, damit Türken wie geplant Ende Juni von der Visumpflicht befreit werden. Die Visumfreiheit ist Teil des Flüchtlingspaktes, den Davutoglu mit der EU aushandelte. Im Gegenzug unter anderem für die Visumfreiheit sagte die Türkei zu, alle Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen. Erdogan steht dem Flüchtlingspakt kritisch gegenüber.

Davutoglu hatte am Donnerstag nach einem Machtkampf mit Erdogan angekündigt, bei einem AKP-Sonderparteitag am 22. Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Damit verliert er auch das Amt des Ministerpräsidenten. Erdogan kündigte am Freitag an, möglichst bald ein Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems abhalten zu lassen und seine Macht damit auszubauen.

Erdogan sagte, nur ein Präsidialsystem sei eine „Garantie für Stabilität und Sicherheit“. Die entsprechende Verfassungsänderung müsse die neue AKP-Regierung „so schnell wie möglich zur Bestätigung unserem Volk vorlegen“. Das Präsidialsystem ist Erdogans wichtigstes Ziel. Erdogan-Anhänger hatten Davutoglu vorgeworfen, dessen Einführung nicht entschieden genug vorangetrieben zu haben. Für ein Referendum über eine Verfassungsänderung ist eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament nötig, zu der der AKP derzeit 13 Sitze fehlen.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nannte den Rückzug Davutoglus eine schlechte Nachricht für Europa. „In allen für Europa wichtigen Fragen wollte Davutoglu die Türkei in Richtung Europa bringen. Erdogan will das dezidiert nicht“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im Deutschlandfunk. .

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth nannte die „brutale Absetzung und Entmachtung“ Davutoglus „alarmierend“. Die EU dürfe sich „einem dermaßen unberechenbaren Präsidenten“ wie Erdogan nicht unterwerfen. Ähnlich äußerte sich die Linke-Politikerin Sevim Dagdelen. Zum Flüchtlingspakt sagte sie im Deutschlandfunk: „Nur Wahnsinnige konnten diesen Deal überhaupt abschließen. Weil es verrückt ist zu glauben, mit Erdogan Geschäfte machen zu können.“

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