Türkei Erdogan könnte seinen wichtigsten Mann für Wirtschaft feuern

Der türkische Vizepremier Mehmet Simsek soll seinen Rücktritt erklärt haben. Simsek soll Erdogan bei der Geldpolitik widersprochen haben. Die Lira sank auf ein Rekordtief.

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Der für Wirtschaft zuständige türkische Vize-premierminister soll seinen Rücktritt eingereicht haben. Quelle: AP

Istanbul Recep Tayyip Erdogan verfolgt manchmal seine ganz eigenen Ansichten. Zum Beispiel bei der Geldpolitik: Der türkische Staatschef ist der Meinung, dass niedrige Leitzinsen nicht nur die Wirtschaft ankurbeln, sondern letztlich auch die Inflation senken würde. Ein Widerspruch zu zahlreichen ökonomischen Theorien.

Und ein Widerspruch zur herrschenden Meinung in der türkischen Regierung sowie der Top-Bürokratie des Landes. Einem Bericht der Tageszeitung Hürriyet zufolge soll der für die Wirtschaft zuständige Vize-Premierminister Mehmet Simsek seinen Rücktritt bei Erdogan eingereicht haben. Vorangegangen sei demnach anhaltende Kritik Erdogans an seinem Wirtschaftsfachmann und seinen ökonomischen Ansichten.

Der Sprecher Erdogans, Ibrahim Kalin, äußerte sich am Donnerstag in einer wöchentlichen Pressekonferenz zu den Vorwürfen. Gleich drei Fragen wurden ihm zu diesem Thema gestellt. Er hält die Berichte über Simseks Abgang für Mutmaßungen. Gleichzeitig vermied Kalin vorsichtig ein hartes Dementi zu den Rücktrittsgerüchten: „Das ist, im Moment, eine Behauptung.“ Am Nachmittag gab Simsek über Twitter bekannt, dass er dem Land „bis zum letzten Atemzug“ dienen werde.

Es war Erdogan selbst, der die Differenzen zwischen ihm und seiner Führungsmannschaft für die Wirtschaft offenlegte. Auf einem regelmäßig stattfindenden Treffen der Regierungspartei AKP, dessen Vorsitzender Erdogan ist, kritisierte er indirekt Simsek und den Notenbankchef Murat Cetinkaya, ohne beide Top-Funktionäre beim Namen zu nennen.

Vor einer Auslandsreise habe Erdogan ein Meeting gehabt, in dem es um eine mögliche Senkung des Leitzinses ging. „Wir haben darüber gesprochen, die Zinsen weiter zu senken“, sagt er, „aber als ich dann im Ausland war, hat die Zentralbank die Zinsen angehoben“. Ohne Namen zu nennen, fuhr er fort: „Sie sagen, sie seien nur Einzelpersonen und nicht die einzigen, die Entscheidungen treffen. Aber hinter meinem Rücken machen sie gemeinsame Sache.“

Simsek ist nicht irgendein Regierungsmitglied. Er gilt, genau wie sein Vorgänger Ali Babacan, als das ökonomische Gewissen der türkischen Führung. Investoren aus der Türkei und dem Ausland sehen ihn zudem als orthodoxes Gegengewicht zur rein wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik Erdogans an. Den Berichten zufolge soll Regierungschef Binali Yildirim sich persönlich eingeschaltet haben, um einen Rücktritt Simseks zu verhindern.

Die türkische Wirtschaft ist im Jahr 2017 zwar um 7,4 Prozent gewachsen – so stark wie kein anderes Land. Einer der Gründe war allerdings der niedrige Vorjahreswert aus dem Putschjahr 2016. Außerdem leidet die türkische Lira unter den teuren staatlichen Konjunkturprogrammen. Für einen US-Dollar bekommt man inzwischen vier Lira, für einen Euro sogar fünf Lira.

Am Donnerstagnachmittag fiel der Kurs auf ein Rekordtief, im Verhältnis zum US-Dollar verlor die Währung gut ein Prozent an Wert. Für einen Dollar mussten am Nachmittag erstmals 4,05 Lira gezahlt werden. Nach Simseks Tweet am Nachmittag erholte sich der Kurs wieder leicht. Auch die Preise für Produkte und Dienstleistungen im Land werden immer teurer.

Die Ratingagentur Moody’s hatte der Türkei zuletzt schlechtere Aussichten attestiert. „Bis 2020 wird die Inflation wohl nicht nachhaltig in den einstelligen Bereich fallen“, heißt es in einem Bericht, der im März veröffentlicht worden war. Aktuell liegt sie bei etwas über 10 Prozent.

Ein weiterer Grund zur Sorge ist das hohe Leistungsbilanzdefizit, das zuletzt auf fast acht Prozent der Wirtschaftsleistung angestiegen ist. Die US-Bank Goldman Sachs nannte diesen Wert alarmierend und mahnte ebenfalls eine Zinserhöhung an, „damit genug Kapital in die Türkei fließt“.

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