
Fünf Wochen nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei ist Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wieder zum Vorsitzenden der Regierungspartei AKP gewählt worden. Als einziger Kandidat für den Vorsitz kam Erdogan am Sonntag bei einem Sonderparteitag in der Hauptstadt Ankara auf mehr als 96 Prozent der Delegiertenstimmen, wie die AKP mitteilte. Der AKP-Chefposten verschafft dem Staatspräsidenten noch mehr politischen Einfluss. Erdogan übte auf dem Parteitag Kritik an der EU. Er bekräftigte aber den Willen seines Landes, den Beitrittsprozess fortzusetzen.
Erdogan hatte 2001 zu den Mitbegründern der islamisch-konservativen AKP gehört. Nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 musste er nach den damals gültigen Vorgaben der Verfassung aus der Partei austreten. Sein Sieg beim Verfassungsreferendum am 16. April ebnete ihm den Weg zur Rückkehr ins Parteiamt: Als eine der ersten Maßnahmen wurde das Verbot für den Präsidenten aufgehoben, einer Partei anzugehören. Mit dem Parteivorsitz bekommt Erdogan nun direkten Einfluss auf die Auswahl von Kandidaten der AKP und auf deren Abgeordnete im Parlament.
Erdogan sagte beim Sonderparteitag, der Beitrittsprozess zur EU sei „wegen der heuchlerischen Haltung der Union in einer Sackgasse gelandet. Dass man uns Bedingungen aufzwingt, die von keinem einzigen Kandidatenland gefordert wurden, und dass man für uns Regeln eingeführt hat, die für kein Kandidatenland angewandt wurden, zeigt offen die eigentliche Absicht.“
Zahlen und Fakten zum Referendum in der Türkei
55,3 Millionen Wahlberechtigte sind beim Referendum in der Türkei am 16. April dazu aufgerufen, für oder gegen die Einführung eines Präsidialsystems zu stimmen. Die Wahl findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt - rund 380 000 Sicherheitskräfte sind am Wochenende im Einsatz. Im Ausland - wo zusätzlich 2,9 Millionen wahlberechtigte Türken registriert sind - wurde bereits abgestimmt.
Im Osten der Türkei öffnen die Wahllokale um 7.00 Uhr (Ortszeit/6.00 Uhr MESZ) und schließen um 16.00 Uhr. In anderen Landesteilen kann von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr abgestimmt werden.
Auf der linken Hälfte der Stimmzettel steht „Ja“ auf weißem Hintergrund und auf der anderen „Nein“ auf braunem Hintergrund. Der Wähler entscheidet, indem er einen Stempel mit der Aufschrift „tercih“ („Auswahl“) auf den bevorzugten Teil drückt. Dann steckt er den Stimmzettel in einen Umschlag, der in eine Urne kommt. Eine Frage ist auf dem Stimmzettel nicht vermerkt. Nach dem wochenlangen Wahlkampf dürften die Optionen aber bekannt sein.
Landesweit gibt es gut 167.000 Wahlurnen (Wahllokale haben in der Regel jeweils mehrere Wahlurnen). Vertreter von Regierungs- und Oppositionsparteien dürfen Beobachter an die Urnen entsenden, um die Abstimmung und die Auszählung zu beobachten.
Diese Beobachter müssen das Ergebnis aus der jeweiligen Urne unterzeichnen, bevor die Stimmzettel und das Wahlergebnis zur Wahlkommission des Bezirks gebracht werden. Dort werden die Ergebnisse - wieder unter Beobachtung von Vertretern sowohl der Regierungspartei AKP als auch von Oppositionsparteien - in ein Computersystem eingegeben und zur Wahlkommission nach Ankara übermittelt. In der nationalen Wahlkommission in Ankara sitzen ebenfalls Vertreter der Regierung und der Opposition.
Die versiegelten Wahlurnen werden mit einem eigenen Flugzeug unter Aufsicht nach Ankara gebracht und dort der Wahlkommission übergeben. Am Wahltag werden die Stimmen nach Schließung der Wahllokale ebenfalls unter Beobachtung von Regierungs- und Oppositionsparteien ausgezählt.
Ja, aber nicht viele. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat elf internationale Experten nach Ankara entsandt. Zusätzlich sind seit dem 25. März 24 internationale Langzeitbeobachter der OSZE im Land im Einsatz.
Am Abend des Referendums. Unmittelbar nach der Schließung der Wahllokale beginnt die Auszählung. Laut Wahlgesetz dürfen Medien bis 21 Uhr keine vorläufigen Ergebnisse veröffentlichen. Die Wahlbehörde kann am Wahltag selbst aber eine frühere Veröffentlichung erlauben. Ein Verstoß wird allerdings nicht geahndet, das heißt, Medien könnten das Veröffentlichungsverbot auch ignorieren.
Prognosen oder Hochrechnungen gibt es nicht, dafür aber Teilergebnisse, die fortlaufend aktualisiert werden. Wann der Ausgang des Referendums feststeht, hängt vor allem davon ab, wie knapp das Resultat ausfällt. Vermutlich dürfte aber am späteren Abend oder spätestens in der Nacht deutlich werden, welche Seite den Sieg für sich verbuchen kann.
Ja. In den Gefängnissen werden nach den Plänen der Wahlkommission insgesamt 461 Wahlurnen stehen. Allerdings sind wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilte Gefangene von der Wahl ausgeschlossen. Die zahlreichen Regierungskritiker in Untersuchungshaft können aber ihre Stimmen abgeben. Gewährleistet ist ebenfalls, dass der inhaftierte „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel wählen kann: In Silivri, wo der deutsch-türkische Journalist in Untersuchungshaft sitzt, werden 33 Wahlurnen aufgestellt.
Erdogan fügte hinzu: „Trotz allem ziehen wir es vor, unseren Weg gemeinsam mit der Europäischen Union zu beschreiten. Die Europäische Union ist es, die hier eine Entscheidung treffen muss.“ Von einem von ihm zuvor mehrfach ins Spiel gebrachten Referendum über einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen sprach Erdogan am Sonntag nicht. Er betonte aber, es gebe für die Türkei Alternativen zur EU. Am Donnerstag kommt Erdogan in Brüssel mit den EU-Spitzen zusammen.
Erdogan erteilte Forderungen aus dem Westen nach einem Ende des Ausnahmezustands in der Türkei eine Absage. „Mit welchem Recht fragt ihr uns nach der Aufhebung des Ausnahmezustands? Er wird nicht aufgehoben. Bis wann? Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir Frieden und Wohlstand erlangt haben.“





Zu dem Parteitag am Sonntag hatte die AKP nach eigenen Angaben rund 100.000 Besucher aus allen 81 Provinzen der Türkei erwartet. 1565 Busse sollten die Teilnehmer nach Ankara bringen. Außerhalb der Ankara-Arena, in der der Parteitag stattfand, wurden Zelte und Bildschirme für die Besucher aufgebaut.
Erdogan hatte das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems am 16. April mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. Die Opposition hatte Wahlbetrug beklagt und erfolglos eine Annullierung der Volksabstimmung gefordert. Auch internationale Wahlbeobachter hatten dem Referendum Mängel attestiert.
Erdogan war am 2. Mai wieder der AKP beigetreten. Bis Sonntag stand Ministerpräsident Binali Yildirim an der Spitze der Partei, ein treuer Gefolgsmann Erdogans. In ihrer bis zum Referendum gültigen Form schrieb die Verfassung dem Präsidenten Neutralität vor.