Türkei Die Oberschicht flieht ins Ausland

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Folgt der Exodus von Investoren?

Während viele Reiche fliehen, ist die Lage bei Unternehmern und geschäftlichen Investoren noch diffus. Fadi Hakura, Assistant Fellow of Europe beim Thinktank Chatham House, meint, künftig werde Präsident Erdoğan mehr Macht über die Notenbank ausüben und auch die Finanzaufsicht an die kurze Leine nehmen. Das alles verunsichere auch Unternehmen. Türkische Firmen investierten schon seit ein paar Jahren im Ausland – etwa in Pakistan, Deutschland, der Schweiz – und kauften sich auch in britische und andere europäische Firmen ein. Das deutet natürlich zum einen auf Wachstum hin, zum anderen aber auch auf neue Standbeine neben der instabilen Türkei. So hat das türkische Unternehmen Ülker nicht nur den belgischen Schokoladenhersteller Godiva, sondern auch die britische Firma United Biscuits übernommen. Die türkische Koc-Gruppe erwägt, sich an der Londoner Börse listen zu lassen.

Auch in der Stuttgarter Dependance der Kanzlei Heussen-Law häufen sich die Anfragen. Dort berät Kaan Kalkan Unternehmer, die nach Standortalternativen suchen. „Seit mehr als einem Jahr wollen immer mehr von ihnen nach Deutschland kommen“, sagt er. „Das sind Menschen, die nicht alle Brücken zur Türkei abbrechen wollen, aber auch nicht tatenlos abwarten wollen.“ Stattdessen sondieren sie, ob und wie sie in Deutschland ein zusätzliches Geschäftsfeld aufbauen können.

Zwar sinken seit Monaten die Verbindlichkeiten türkischer Einrichtungen und Unternehmen bei ausländischen Kreditgebern, ein Indikator für abfließendes Kapital. Aber: „Ich würde nicht von einer Kapitalflucht sprechen – eher von einem schon länger feststellbaren konstanten Fluss“, sagt Hakura. Und Roger Kelly, Volkswirt bei der Osteuropabank, berichtet, türkische Investoren seien verängstigt. Doch um Kapitalflucht im großen Stil handle es sich noch nicht.

Das mag auch daran liegen, dass dies für Türken schwieriger geworden ist. Denn auch die Türkei nimmt am automatischen Informationsaustausch gemäß den Vorgaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teil. Damit wird der türkische Staat künftig von rund 100 anderen Ländern Angaben zu Auslandskonten seiner Staatsangehörigen erhalten. Auswanderer und Exbanker Akyol hat das nicht abgeschreckt. Er hat sein Urteil gefällt: „Wir hoffen das Beste, aber erwarten das Schlimmste.“

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