Türkei Inhaftierter Journalist Yücel wird bald freikommen

Der türkische Ministerpräsident Yildirim will die Beziehungen zu Deutschland verbessern. Deniz Yücel wird deshalb bald freikommen – auch wenn die Türkei ihr mögliches Ziel verfehlt hat.

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Für eine baldige Freilassung des in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten plädieren die Teilnehmer einer Mahnwache. Quelle: dpa

Istanbul Warum sitzt Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis? Die türkische Führung sagt, er habe möglicherweise Straftaten begangen; Staatschef Erdogan behauptete sogar, der Türkei-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ sei ein Terrorist, der hinter Gitter gehöre. Die deutsche Seite betont, Deniz Yücel sei unschuldig. Die Türkei benutze ihn vielmehr als Geisel, heißt es zum Beispiel von Abgeordneten des Bundestags, damit Ankara von den Deutschen Zugeständnisse abverlangen könne.

Deniz Yücel könnte bald freikommen. Bei einem Treffen zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Berlin haben die beiden auch über den Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten gesprochen. Er hoffe auf eine baldige Freilassung, erklärte Yildirim bereits vorab. Die Bundeskanzlerin wies im Gespräch darauf hin, dass die Bundesregierung ein schnelles und rechtsstaatliches Verfahren wünsche. Merkel sagte, sie habe Yildirim darauf hingewiesen, „dass dieser Fall eine besondere Dringlichkeit für uns hat“. Kleine Spuren, doch ihnen könnten Taten folgen.

Yildirim erklärte, dass in Folge eines versuchten Militärputsches in der Türkei „viele Klagen eingereicht“ worden seien. Die türkische Justiz habe schlicht sehr viel zu tun, betonte Yildirim. Doch jede Verhandlung sei auch eine Hoffnung, deutete Yildirim an. Komme es zu einem Verfahren, gebe es Hoffnung, erklärte er auf Nachfrage. Das sind keine konkreten Versprechen. In der Welt der Diplomatie sind es Meilensteine. Auch wenn er nicht konkreter wurde, kündigte er damit an, dass Bewegung in den Fall Yücel kommt.

Der 44-jährige arbeitet seit 2015 für die Zeitung des Axel-Springer-Verlags in der Türkei. Eine offizielle Presseakkreditierung – eine Art Arbeitsvisum für im Ausland tätige Journalisten – soll er während seiner Entsendung von den türkischen Behörden nicht erhalten haben. Yücel schrieb kritisch, recherchierte tief und brachte die türkische Regierung damit häufig in Verlegenheit. So enthüllte er zum Beispiel gehackte E-Mails des Energieministers und Erdogan-Schwiegersohns Berat Albayrak, in denen es um mutmaßliche unerlaubte Geldtransfers ging. Außerdem traf Yücel mehrere Mitglieder der verbotenen Organisation PKK.

In den Augen der türkischen Führung war das offenbar zu viel. Seit dem 24. Dezember 2016 ließ die Istanbuler Staatsanwaltschaft nach ihm fahnden. Yücel tauchte für mehrere Wochen unter, wo genau, ist nie offiziell zur Sprache gekommen. Am 14. Februar 2017 stellte er sich in Istanbul der Polizei. Aus seinem Umfeld heißt es, er habe geglaubt, die Beamten würden ihn kurz befragen und dann wieder entlassen. Seitdem sitzt Yücel in Untersuchungshaft, ohne Anklage. Der Fall wirft rechtsstaatlich Fragen auf. Vor allem aber hat die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten das politische Verhältnis zwischen beiden Ländern ins Bodenlose fallen lassen.

Yildrim sprach sich mit Erdogan ab

Jetzt nährt der türkische Ministerpräsident Hoffnungen, dass Yücel bald freikommen könnte. Yildirim hat seine Äußerung mit dem türkischen Präsidenten abgestimmt, so viel steht fest. Vermutlich hat er auch Informationen aus der heimischen Justiz vorliegen, dass nun Bewegung in den Fall kommen wird. Sonst würde sich Yildirim nicht derart aus dem Fenster lehnen.

Es steckt aber noch mehr dahinter. Für die Türkei entwickelt sich der Fall Yücel zum Klotz am Bein. Die Bundesregierung gab nicht nach, um ihn freizubekommen. Im Gegenteil: Als auch noch der Menschenrechtstrainer Peter Steudtner in der Türkei gefangen genommen wurde, zog das Auswärtige Amt die Zügel weiter an.

Bundesaußenminister Gabriel kündigte eine Verschärfung der Türkei-Politik an. Dazu gehörte unter anderem die indirekte Warnung, in die Türkei zu reisen oder mit türkischen Firmen Geschäfte zu machen. Der wichtige und anfällige wirtschaftliche Austausch stand in Gefahr. Ein Abwürgen des Wirtschaftswachstums kann sich die türkische Führung nicht leisten.

Ankara hatte gelernt, dass Yücel nicht als Verhandlungsmasse dienen würde. Seine Inhaftierung, ob nun politisch motiviert oder nicht, drohte zum Bumerang zu werden. Seit mehreren Monaten hört man daher aus dem Präsidialamt in Ankara und auch aus dem Umfeld der türkischen Regierung, dass Yücels Verhaftung die angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern bloß unnötig überstrapaziere; häufig versehen mit der geäußerten Überraschung, dass sich Deutschland überhaupt für einen Deutschtürken derart einsetze.
An diesem Tiefpunkt begann die Annäherung. Zunächst ließ die Türkei Steudtner frei. Auch die deutsche Seite bewegte sich. Seit mehreren Monaten gehen deutsche Behörden entschieden gegen Propaganda der verbotenen PKK vor. So werden regelmäßig Demonstrationen der Gruppe in deutschen Großstädten aufgelöst oder gleich vorab verboten, zuletzt Anfang Februar in Köln.

Nach den Bundestagswahlen Ende September entspannte sich zudem die Rhetorik zwischen Berlin und Ankara. Seitdem ist wieder häufiger von einer Partnerschaft beider Länder die Rede. Cavusoglu lud Gabriel in seinen Wahlkreis nach Antalya ein. Kurze Zeit später traf er den deutschen Außenminister in seiner Heimat in Goslar, inklusive Plausch in Gabriels Wintergarten mit türkischem Tee.

Deutschland hielt sich zurück

Auch bei dem Kampfeinsatz des türkischen Militärs in Nordsyrien hielt sich die Bundesregierung mit kritischen Äußerungen zurück. In einem der Zeitung „Junge Welt“ vorliegenden Dokument erklärte Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Lindner, der Einmarsch im nordsyrischen Afrin sei vom „völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht“ gedeckt und kommentiert: „Sicherheitsinteressen der Türkei müssen Beachtung finden.“ Nicht zuletzt stellte Gabriel kürzlich sogar wieder mehrere Rüstungsgeschäfte mit der Türkei in Aussicht. Yücels Freilassung ist die logische Fortsetzung dieser abklingenden Auseinandersetzung.

In seinem Fall gibt es laut türkischem Recht mehrere Möglichkeiten, erklärt der renommierte Türkeirechtler Christian Rumpf von der Kanzlei Rumpf Legal. Der türkische Justizminister könnte demnach, auch wenn er nicht weisungsbefugt ist, dem zuständigen Staatsanwalt nahelegen, beim Haftrichter die Aussetzung der Vollstreckung des Haftbefehls oder sogar seine Aufhebung zu beantragen. Dadurch hätte die türkische Exekutive legal die Möglichkeit, Einfluss auf das Verfahren gegen Yücel zu nehmen. „Ob der Haftrichter dem dann folgt, ist die nächste Frage“, meint Anwalt Rumpf.

Wird Anklage gegen Yücel erhoben, müsste das Strafgericht die Anklage zunächst zulassen. Das Strafgericht würde dann die Gelegenheit haben zu entscheiden, ob die Haft aufrechterhalten bleibt, der Vollzug ausgesetzt oder der Haftbefehl aufgehoben wird, erklärt Rumpf. „Wesentlich für die Entscheidung ist dann die bisherige Dauer der Untersuchungshaft im Verhältnis zu einer denkbaren Strafe, die das Strafgericht aufgrund der Anklage auf den Angeklagten zukommen sieht.“ Das Strafgericht kann die Zulassung demnach auch verweigern mit der Folge, dass sie dann fallengelassen und das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wird.

Derzeit gebe es einige Fälle, in denen der Vollzug der Haftbefehle ausgesetzt worden ist. Dies wäre für die türkische Regierung wohl gesichtswahrend. Sie sieht sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, in die Justiz einzugreifen. Die Aufnahme einer Hauptverhandlung gegen Yücel würde diesen Vorwurf zwar nicht entkräften, aber auch nicht weiter verstärken. „Wir empfehlen, dass er so bald wie möglich vor den Richter gestellt wird“, sagte Yildirim so auch mitreisenden türkischen Medienvertretern am Donnerstag auf dem Flug nach Berlin.

Ein wichtiges Ziel hätte die türkische Führung dann jedoch verfehlt. Seit über einem Jahr fordert Erdogan von Deutschland, die mutmaßlichen Putschführer auszuliefern, die sich in Deutschland versteckt haben sollen. Auch daraus wird wohl nichts. Vor kurzem wurde bekannt, dass einer der mutmaßlichen Rädelsführer des Putschversuchs vom Juli 2016 Asyl in Deutschland erhalten hat.

Das deutsche Recht sieht vor, dass Asylberechtigte nicht ausgeliefert werden dürfen, wenn ihnen ein ungerechtes Verfahren im Heimatland droht; selbst dann nicht, wenn es belastbare Hinweise gegen sie gibt. Theoretisch könnten sie dann vor ein deutsches Gericht gestellt werden.

Deniz Yücel muss das nicht kümmern. Sein Fall steht nun im Licht der wichtigen Wiederannäherung der Türkei an Deutschland, des wirtschaftlichen Austauschs – und ja, auch möglichen Rüstungsgeschäften mit deutschen Waffenfirmen. Und deshalb wird er wahrscheinlich bald freigelassen.

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