Türkei Istanbul, die türkische Hoffnung

Zehntausende feiern in Istanbul den Sieg Imamoglus bei der Bürgermeisterwahl. Quelle: REUTERS

Zehntausende feiern in Istanbul den Sieg des Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu bei der Bürgermeisterwahl. Seine Wahl zeigt, was möglich wäre in diesem Land.

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Die ersten Hupkonzerte begannen kurz nach 20 Uhr Istanbuler Zeit. Da stand der Gewinner der Bürgermeisterwahl von Istanbul zwar noch nicht offiziell fest. Doch der Vorsprung des CHP-Kandidaten Ekrem Imamoglu war bereits so groß, sodass klar war: Nach 25 Jahren wird die größte Stadt des Landes nicht mehr von der AKP regiert werden. Später stand dann auch das Wahlergebnis fest: Imamoglu hat 750.000 Stimmen mehr als der AKP-Kandidat Binali Yildirim. Bei der Wahl am 31. März lag sein Vorsprung bei nur 13.000 Stimmen.

Vor der Parteizentrale der CHP, auf der belebten Istiklal-Straße in Istanbul, begannen kurz darauf die Menschen zu tanzen. Noch wilder waren die Partys in den traditionellen Hochburgen der säkularen Türken, in Besiktas, Moda und auf der Bagdat-Caddessi im asiatischen Teil der Stadt. Eine Stimmung, wie nach einer gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft. Der Sieg des 49-Jährigen ist auch ein Sieg der türkischen Demokratie.

Dabei war der der Wahlkampf wie so oft nicht immer fair geführt worden. Es fing an mit dem Datum: Am 23. Juni verweilt die Istanbuler Mittelschicht selten in der aufgeheizten Stadt, sondern an der Ägäis-Küste. Wer es sich leisten kann zu verreisen, gehört aber meist zu den Wählern der CHP. Zahlreiche Bürger aber verschoben ihren Urlaub oder reisten extra nach Istanbul zurück, um ihre Stimme abzugeben.

Immerhin: Zwei Wochen vor der Wahl hatte es ein TV-Duell gegeben, in dem sich Binali Yildirim und Ekrem Imamoglu direkt gegenüberstanden. Die Debatte wurde von allen TV-Sendern gleichzeitig übertragen und jeder der Kandidaten erhielt dieselbe Redezeit. Allerdings gelten 90 Prozent der türkischen Presse mittlerweile als regierungsnah und in denen erhielt Imamoglu kaum Redezeit. Der Sender CNN Türk unterbrach sogar die Übertragung als Imamoglu über die Korruption und Verschwendung der Stadtverwaltung sprechen wollte.

Trotzdem hatte Imamoglu seinen Vorsprung immer weiter ausbauen können. Ende vergangener Woche lag er laut des Meinungsforschungsinstituts Konda sogar um neun Prozentpunkte vor Yildirim. Imamoglu, mit 49 Jahren 14 Jahre jünger als sein Kontrahent, wirkte agiler und vor allem freundlicher. Er bot kaum Angriffsfläche, stattdessen tat er etwas, was man in der türkischen Politik nicht kennt: Er verbreitete gute Laune. Schon jetzt ist sein Slogan „Her Sey güzel olacak“ in die Geschichte eingegangen: „Alles wird sehr schön werden.“

Dabei ist die wirtschaftliche Lage des Landes allerdings alles andere als sehr schön. Die Inflation liegt zwar unter den Höchstständen vom vergangenen Jahr, verharrt aber noch immer bei 19 Prozent. Sorgen bereitet der Politik vor allem die hohe Arbeitslosigkeit, die mit 13,5 Prozent ebenfalls auf einem Rekordniveau liegt.

Vielleicht ein Anfang

Wie empfindlich das Land ist, zeigte Finanzkrise vom vergangenen Sommer. Damals stritten sich Erdogan und Trump um einen inhaftierten amerikanischen Pastor. Trump forderte dessen sofortige Freilassung. Als Erdogan dies ablehnte, kündigte Trump via Twitter Strafzölle an. In der Folge stürzte die türkische Lira um bis zu 40 Prozent ab. Weil sich Importe verteuerten, zog auch die Inflation an. 

Die Währung bleibt eine Schwachstelle des Landes. Erdogan verweist deswegen gerne auf eine ausländische Verschwörung. Vergangene Woche kursierte ein Propaganda-Video, in dem eine finstere Stimme aus dem Off einen jungen Börsenhändler befiehlt, „die türkische Wirtschaft anzugreifen“. Der Mann antwortet: Tut mir leid, die Märkte sind geschlossen. Die Stimme antwortet: Ich habe Dich nicht um Deine Meinung gefragt, sondern Dir einen Befehl gegeben. Der Mann folgt wie befohlen. In der nächsten Szene sieht man die Kurse der türkische Währung und des Aktienmarkts zusammenbrechen. Schließlich ertönt Erdogans Stimme, die das Volk zusammenruft. 

Was wie billige Propaganda aussieht, drückt tatsächlich das aus, was viele Türken denken. Die Wirtschaftskrise und vor allem der relativ rapide Wertverlust der Lira - noch vor vier Jahren bekam man für einen Euro zwei türkische Lira, heute sind es 6,5 - ist für viele nicht nachvollziehbar. Vermeintliche Verschwörungstheorien ausländischer Mächte gegen die Türkei fallen seit jeher auf fruchtbaren Boden. Dabei wären die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und einer soliden Außenpolitik die wichtigsten Faktoren, um Investitionen zurückzugewinnen.

Imamoglus Sieg in Istanbul ist noch keine Trendwende, aber sie macht Hoffnung. Dass das Land zumindest mittelfristig wirtschaftlich interessant bleibt, zeigen Überlegungen des Volkswagen-Konzerns, in der Türkei ein neues Werk zu veröffentlichen. Nach Informationen der FAZ soll der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Herbert Diess, das Land am vergangenen Mittwoch besucht haben, um über Details zu sprechen. Auf einem 40 Hektar großen Gelände nahe der Hafenstadt Izmir sollen die Modelle Karoq von Skoda und Ateca von Seat gefertigt werden. Sollte das Geschäft zustande kommen, wäre das eine Investition in Höhe von bis zu zwei Milliarden Euro.

Dass die Türkei langfristig ein Land mit einem großen wirtschaftlichen Potenzial ist, darüber sind sich so gut wie alle einig. Die Bevölkerung ist eine der jüngsten Europas, die Infrastruktur zumindest in der Gegend von Istanbul auf hohem Niveau und die geopolitische Lage des Landes kann Fluch, aber auch Segen sein. Nur muss sich dazu in der Politik etwas ändern. Vielleicht ist dies der Anfang.

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