Türkei provoziert Westeuropa Der Druck, der keine Wirkung zeigt

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel kündigt an, den politischen Druck auf die Türkei hoch zu halten. Das bedeutet auch: Die verschärfte Gangart ist bisher verpufft, die Lage inhaftierter Deutscher wird nicht besser.

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Der Bundesaußenminister muss im diplomatischen Konflikt mit der Türkei langen Atem beweisen. Quelle: dpa

Ankara, Berlin Außenminister Sigmar Gabriel geht davon aus, dass die härtere Gangart gegenüber der Türkei langfristig fortgesetzt werden muss. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur räumte er ein, dass sein vor einem Monat verkündeter neuer Türkei-Kurs die Lage für die deutschen Häftlinge in der Türkei noch nicht verbessert habe. „Das war aber auch nicht zu erwarten“, sagte er. „Ich glaube, dass wir auf eine längere Strecke diese neue Politik fortführen müssen und nicht glauben dürfen, in ein paar Wochen ist das erledigt.“

Nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner hatte sich die Bundesregierung entschieden, ihren moderaten Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufzugeben. Gabriel ließ unter anderem die Reisehinweise verschärfen und warnte deutsche Unternehmen vor Investitionen. „Die erste und wirksamste Reaktion war, dass sie die Liste mit 680 deutschen Unternehmen unter Terrorverdacht zurückgenommen haben“, sagte Gabriel.

Bei den Häftlingen ließ die türkische Regierung aber kein Einlenken erkennen. Nach dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr wurden neun Deutsche in der Türkei verhaftet, darunter der Journalist Deniz Yücel und die Übersetzerin Mesale Tolu Corlu. Ihnen wird die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen.

Gabriel will den Druck jetzt aufrecht erhalten und den ursprünglich geplanten Ausbau der Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei auf Eis legen. „Über die Zollunion kann ich mir keine weiteren Verhandlungen vorstellen, wenn die Türkei deutsche Häftlinge so behandelt“, sagte der Außenminister. Zudem soll die Förderung der Bundesregierung für Investitionen und Exporte begrenzt werden.

Das Interview wurde geführt, bevor der Fall des in Spanien festgenommenen deutschen Schriftstellers Dogan Akhanli öffentlich bekannt wurde, und auch vor den jüngsten Äußerungen Erdogans zum Streit mit Deutschland.

Der türkische Präsident forderte am Samstag erneut die Auslieferung von 4500 Personen, die er als Terroristen einstuft. Er verwies darauf, dass diese Liste von der Bundesregierung nicht angenommen worden sei und stattdessen die Freilassung der inhaftierten Deutschen gefordert werde. „Es tut mir leid, wenn sie eine Justiz haben, so haben wir hier auch eine“, sagte Erdogan.

Deutschland kann gegen eine Auslieferung des in Spanien festgenommenen Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli nur diplomatisch vorgehen. „Das Auslieferungsverfahren läuft direkt zwischen Spanien und der Türkei“, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Gemäß dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen habe die Türkei nach der Festnahme 40 Tage Zeit, einen Auslieferungsantrag zu stellen.


Österreich verbittet sich türkische Einmischung

Außenminister Gabriel hat sich bereits eingeschaltet und mit seinem spanischen Kollegen Alfonso Dastis telefoniert, um eine Auslieferung des türkischstämmigen Schriftstellers an die Türkei zu verhindern. Die spanische Polizei hatte Akhanli, der nur die deutsche Staatsbürgerschaft hat, am Samstag auf Betreiben der Türkei festgenommen.

Nicht nur Deutschland beschäftigt sich mit Erdogans Provokationskurs. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz warnte den türkischen Präsidenten vor Einmischung in die Parlamentswahl seines Landes. Erdogan versuche die türkischstämmigen Gemeinschaften in anderen Ländern zu instrumentalisieren, sagte Kurz der Zeitung „Welt am Sonntag". Damit trage die Türkei heimische Probleme in die Europäische Union (EU) hinein. Das gelte insbesondere für Deutschland und Österreich. Einmischungen bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 15. Oktober werde sein Land keinesfalls akzeptieren, betonte der Minister.

Jüngst hatte Erdogan in Deutschland mit Wahlaufrufen für die Bundestagswahl am 24. September für Empörung gesorgt. So appellierte er an die türkischstämmigen Deutschen, weder für die Union, die SPD noch die Grünen zu stimmen, sondern für Parteien, die der Türkei nicht feindlich gegenüberstünden.

Im Streit um seine Einmischung in den Bundestagswahlkampf hatte Erdogan noch einmal kräftig nachgelegt. An die Adresse von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte Erdogan am Samstag: „Wer sind Sie denn, um den türkischen Präsidenten anzusprechen? Erkennen Sie Ihre Grenzen.“ Gabriel hatte die „Wahlempfehlung“ Erdogans an die in Deutschland lebenden Türken als „einmaligen Eingriff in die Souveränität unseres Landes“ bezeichnet.

Erdogan bekräftigte bei einer Veranstaltung in Denizli seinen Aufruf an die wahlberechtigten Deutsch-Türken, bei der Bundestagswahl am 24. September nicht für die drei Parteien CDU, SPD oder Grüne zu stimmen. Diese Parteien seien Feinde der Türkei, ihnen müsse „die beste Lektion erteilt werden“. Gabriel sei „eine Katastrophe“. Für neue Spannungen sorgte der Fall des türkischstämmigen Schriftstellers Dogan Akhanli, der auf Betreiben der Türkei in Spanien festgenommen wurde.

In seinem verbalen Rundumschlag nahm der türkische Staatschef auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Visier. Er habe „der Dame an der Spitze Deutschlands“ eine Liste mit 4500 von der Türkei gesuchten Terroristen gegeben, doch sei diese nicht angenommen worden.


Tourismuskonzerne sehen keinen Knick

In der Tourismusbranche haben die verschärften Spannungen zwischen Berlin und Ankara und der erhöhte Druck der Bundesregierung bisher keine Spuren bei der Nachfrage nach Türkei-Reisen hinterlassen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Privatreisende vor vier Wochen zu erhöhter Vorsicht bei Trips in das Land aufgerufen. Das habe das Interesse Kurzentschlossene jedoch nicht gedämpft, berichteten Veranstalter der Deutschen Presse-Agentur. Die Türkei sei derzeit eines der beliebtesten Last-Minute-Ziele.

„Wir sehen seit Juni eine Wiederbelebung der Nachfrage bei kurzfristigen Buchungen“, sagte eine Sprecherin von Europas größtem Reisekonzern Tui. Daran hat sich auch insgesamt in den letzten Wochen nichts geändert. Die Türkei zähle aktuell zu den gefragtesten Last-Minute-Zielen.

Ähnliches berichtet Wettbewerber Thomas Cook. Die Buchungseingänge seien in den letzten Wochen sehr hoch gewesen, sagte eine Sprecherin. Das Land sei bei Kurzentschlossenen derzeit das gefragteste Reiseziel. Thomas Cook ist unter anderem mit der Marke Öger Tours stark im Türkei-Geschäft vertreten.

Auch DER Touristik verzeichnete nach eigenen Angaben keine nennenswerten Auswirkungen durch die geänderten Reisehinweise: „Es gab in den Folgewochen keine vermehrten Anfragen nach Umbuchungen oder Stornierungen.“

Die Nachfrage Kurzentschlossener erklärte Reisekonzern Alltours auch mit Kapazitätsengpässen und vergleichbar höheren Preisen in anderen Mittelmeerländern wie Spanien oder Griechenland. Welche Folgen die Terrorattacke in Barcelona für den Spanien-Tourismus haben, lässt sich aus Sicht der Reisebranche zunächst schwer abschätzen.

Das Türkei-Geschäft leidet allerdings insgesamt weiterhin unter der Verunsicherung von Urlaubern nach Terroranschlägen und vor allem dem Putschversuch im vergangenen Jahr. Nach Angaben der GfK-Konsumforscher lagen die Türkei-Buchungen für den Sommer in den Reisebüros bis Ende Juli zweistellig unter dem Vorjahreswert. Im Rekordjahr 2015 waren fast 5,6 Millionen Deutsche in das Land gereist. Im vergangenen Jahr waren es noch knapp 4 Millionen.

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