Die breite öffentliche Diskussion in Deutschland ebenso wie in der Türkei dürfte ihr Übriges getan haben. Zwei Botschaften sind wohl bei jedem Wahlberechtigten in Deutschland angekommen: Erstens, am 16. April wird über eine neue Verfassung abgestimmt. Zweitens, diese Abstimmung ist von großer Bedeutung.
Deutlich schwieriger zu beantworten ist aber die Frage, ob die AKP diesmal so selbstverständlich von einer hohen Wahlbeteiligung auf einen deutlichen Sieg schließen darf, wie das in der Vergangenheit möglich war. Dagegen spricht zum einen die veränderte Lage in der Türkei selbst: Der Wahlkampf verläuft keineswegs so zuverlässig entlang von Parteigrenzen, wie Präsident Erdogan sich das vorgestellt haben mag. Nimmt man die Umfragen der letzten Wochen zusammen, dann deutet vieles auf ein knappes Ergebnis hin. Dabei unterstützt nicht nur die mit absoluter Mehrheit regierende AKP, sondern auch die ultranationale MHP den Entwurf. Und das heißt: Auch in der eigenen Partei ist das Referendum umstritten.
Das liegt nicht an Erdogan selbst, der in seiner Partei trotz der wachsenden wirtschaftlichen Sorgen unantastbar ist. Die meisten Anhänger der AKP sind daher gern bereit, ihm persönlich mehr Macht zu verleihen.
Zweifel kommen all denen, die über die Amtszeit des aktuellen Präsidenten Erdogan hinausdenken. In der neuen Verfassung wäre der Präsident so mächtig wie in kaum einem anderen demokratischen Staat. Die Parteiführung preist zwar die Entscheidungsstärke, die daraus resultiert. Aber mehr Macht heißt eben auch mehr Verantwortung. Wie geeignet das neue System wäre, einen verantwortungslosen Herrscher in seiner Machtentfaltung zu stoppen, daran gibt es große Zweifel.
Hat man dieses Kalkül im Hinterkopf, ist durchaus Skepsis angebracht, ob die vergangenen Wochen Erdogan wirklich genutzt haben. Denn gerade bei dieser Abstimmung ist es für Erdogan von großer Bedeutung, neben der Rolle des Opfers westlicher Willkür auch die des weisen und gemäßigten Staatslenkers auszufüllen.
Ersteres ist zwar besser gelungen als je zuvor. Gerade die Verunglimpfungen Erdogans als kommender Diktator haben ihm bei den Wählern sicher genützt. Zugleich hat er aber auch häufiger als sonst jegliche Contenance vermissen lassen und wirkte manches Mal geradezu jähzornig, vor allem bei seinen öffentlichen Nazi-Vergleichen.
Auch solche heftigen Auftritte goutieren die Wähler zwar unter Umständen, vor allem wenn sie als engagierte Verteidigung der nationalen Ehre wahrgenommen werden. Doch diesmal könnte es Erdogan übertrieben haben. Seine Beschimpfungen hatten so offensichtlich jegliches Maß verloren, dass die bepöbelten Regierungsvertreter in Deutschland kaum mehr reagierten. Ein Kopfschütteln genügte.
Und so stand Erdogan nicht mehr als aufrechter Kämpfer für das stolze Vaterland da – sondern als Rumpelstilzchen, über das die Welt nur müde lächelt. Nicht gerade die Figur, die man sich als allmächtigen Präsidenten wünscht, mag die Parteitreue noch so groß sein.