Irgendjemand hat wohl versucht, das alles dem Ministerpräsidenten zu erklären. Und darum hetzt Erdogan seit einem Monat gegen die „Roboter-Lobby“, offenbar aus seiner Sicht der Dinge eine Bande von nicht-menschlichen Monstern, die ihm selber und der ganzen Türkei schaden wollen. Irgendwie sind die Monster mit den miserablen Typen von der „Verlierer-Lobby“ in einem Boot – das sind wirtschaftliche Versager, die aus Neid den wirtschaftlichen Erfolg des Landes umkippen lassen wollen – und gegen die „Zins-Lobby“, also böse Banker und Spekulanten, die von höheren Zinsen in der Türkei profitieren.
Im Wahlspot von Erdogans Partei für die Kommunalwahl werden diese Lobbyisten von einem schattenhaften schwarzen Mann verkörpert, der eine riesige türkische Fahne von ihrem Mast reißen will – worauf ein Riesenheer von Türken aus allen sozialen Schichten todesmutig den Mast hochklettert, die Fahne rettet und damit die Ehre der Türkei. Es ist zu befürchten, dass Erdogan die Welt so sieht wie in diesem Film.
Sein alter Kampfgenosse Abdullah Gül, Staatspräsident von Erdogans Gnaden, tut das nicht. In vorsichtiger Form hat der Präsident heute mitgeteilt, weltweite soziale Netze könne man einfach nicht von der Türkei fernhalten. Außerdem hofft Gül erklärtermaßen, die neue Bestimmung würde schon bald wieder aufgehoben. Vielleicht nach einer Bauchlandung Erdogans bei den Kommunalwahlen? Bisher gibt es in der Regierungspartei AKP keine innerparteiliche Opposition. Das könnte sich schnell ändern, wenn Erdogan in den Augen seiner Parteifreunde kein Garant für Wahlsiege mehr ist – und Abdullah Gül, dessen Amtszeit als Präsident dieses Jahr endet, wäre eine respektable Alternative an der Parteispitze.
Den merkwürdigen Fahnen-Wahlspot hat übrigens ein Gericht verboten, weil ein Gesetz den Gebrauch der Staatsflagge in türkischen Wahlkämpfen grundsätzlich verbietet. Wozu Erdogan in seiner „Mwitter“-rede mitteilte, er werde jetzt dieses Urteil verbieten. Sozusagen ein „Murteil“.