Keine Stunde war vergangen, nachdem Erdoğan gestern Nachmittag sein neues Kabinett vorgestellt hatte, da rauschte die Lira um über drei Prozent nach unten - der größte Einbruch seit dem Putschversuch 2016. Der türkische Leitindex gab um fast fünf Prozent nach, vor allem Bankaktien sackten ab. Schuld daran war eine Personalie.
In den vergangenen Jahren hatten internationale Investoren Erdoğans autoritären Weg halbwegs toleriert - so lange das Schwellenland sich wirtschaftlich gut entwickelte. Garant dafür war ein Mann namens Mehmet Şimşek, in seiner letzten Funktion stellvertretender Premierminister. Der ehemalige Merrill-Lynch Banker kurdischer Abstammung sorgte dafür, die internationalen Finanzmärkte trotz der politischen Turbulenzen bei Laune zu halten. Doch seinen Namen suchte man auf der Kabinettsliste vergebens. Şimşek ist weg, ersetzt ausgerechnet durch Erdoğans Schwiegersohn, Berat Albayrak.
Immer kleiner und müder schien Mehmet Şimşek während seiner Amtszeit zu werden. Am Ende wirkte der feingliedrige Mann mit randloser Brille wie jemand, der sich am liebsten verdünnisieren wollte. Das ist nicht so verwunderlich angesichts eines Chefs, der für seine Wutanfälle berüchtigt ist, bei dem auch mal Ordner und iPads durch den Raum fliegen. Schon im April gab es Gerüchte, wonach Şimşek sein Rücktrittsgesuch eingereicht haben soll.
Notenbank an Erdoğans Leine?
Zur Not musste er grobe Schnitzer seines Chefs auch mal persönlich ausbügeln. Als Erdoğan im Mai in einem Interview mit dem Fernsehsender Bloomberg davon sprach, im Falle eines Wahlsiegs die Zentralbank stärker zu kontrollieren, rauschte die türkische Lira augenblicklich in den Keller. Kurz darauf reiste Şimşek nochmals nach London, um die verschreckten Anleger zu beruhigen.
Şimşek galt auch als Anhänger einer orthodoxen Wirtschaftslehre. Was banal sein sollte, entfaltet sich im Kontrast zu Erdoğans Ansichten: Der Präsident hängt der bizarren Wirtschaftstheorie an, wonach hohe Zinsen erst eine hohe Inflation verursachen. Erdoğan davon zu überzeugen, dass diese Sicht irrational ist, dürfte kaum möglich sein. Der Präsident will Wachstum, um seine Wahlsiege nicht zu gefährden.
2017 schuf er einen Garantiefonds, der den Banken die nötige Sicherheit verschaffte, um mehr Kredite zu vergeben. Das verhinderte nach dem Putschversuch im Juli 2016 eine Rezession, flutete die Märkte aber auch mit billigem Geld. Die Inflation galoppierte unterdessen davon. Im Juni lag sie bei über zwölf Prozent. Erdoğan nimmt solche Gelegenheit gern wahr, um gegen eine „internationale Zinslobby“ zu wettern, anstatt einzusehen, dass hohes Wirtschaftswachstum eben auch einen Preis hat.

Immerhin aber scheint es Şimşek noch gelungen zu sein, Druck von der noch unabhängigen Zentralbank zu nehmen. (Erdogan kündigte gestern auch an, den Auswahlprozess des Zentralbank-Direktors zu verändern). Schließlich hoben die Währungshüter den Leitzins auf 17 Prozent an. Der Schritt erfolgte viel zu spät, aber so gelang es, den rapiden Verfall der Lira erst einmal zu bremsen.
Ohne stärkere Reibungsverluste dürfte all das kaum geschehen sein. Und so wirkte Şimşek bei Interviews immer kraft- und mutloser. Seine Elegien auf die fundamentale Stärke der türkischen Wirtschaft und die Westausrichtung des Landes klangen immer öfter nach einer alten Platte, die er selbst schon viel zu oft gehört hatte.




