Türkei Steinmeiers Drahtseilakt

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist zu Besuch in Ankara. Der deutsche Chefdiplomat muss die Wogen glätten und die Türken animieren, mit Europa zusammenzuarbeiten. Dabei hat er viel zu verlieren.

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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Quelle: dpa

Ankara Deutsche Regierungsvertreter treten selten schwierige Dienstreisen an. Meist sind die Minister aus Berlin willkommene Gäste in der Welt, wenn es um Kooperationen, wirtschaftliche Partnerschaften und den Austausch unter Amtskollegen geht.

Für den Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in Ankara gilt das nicht. Er trifft dort auf den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Dass das Verhältnis zwischen den beiden nicht gerade freundschaftlich sein dürfte, machte dieser vor Kurzem deutlich: Cavusoglu hatte in einer vom Fernsehen übertragenen Rede der Bundesregierung noch vorgeworfen, Terroristen zu beherbergen.

Steinmeier erwarte keine einfachen Gespräche, sagte er vor dem Abflug in Berlin. Doch sei überfällig, direkt mit der türkischen Regierung zu sprechen, „statt über Mikrofone und Kameras“.

Es ist ein schwieriger Besuch in einer schwierigen Zeit. Steinmeier muss die Türken davon überzeugen, weiter mit Europa zusammen zu arbeiten. Und das, während sein möglicher künftiger Amtskollege, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, sein Land nach dem versuchten Putsch vom 15. Juli auf den Kopf stellt. Teile des Militärs legten damals zunächst die Metropole Istanbul lahm, bevor sie mit Kampfjets Menschengruppen angriffen und in der Hauptstadt Ankara das Parlament beinahe in Schutt und Asche legten. Mindestens 270 Menschen starben in jener Nacht.

Seit dem blutigen Umsturzversuch sind tausende Menschen verhaftet worden. Die Vorwürfe lauten in der Regel, sie hätten die Putschisten oder eine andere terroristische Vereinigung unterstützt. Schon vor dem Putschversuch hatte es viele Festnahmen und Anklagen gegeben. So wurde die Immunität zahlreicher Abgeordneter des türkischen Parlaments aufgehoben, um gegen diese ermitteln zu können – darunter auch gegen Abgeordnete der Regierungspartei AKP vom Präsident Erdogan. Viele Beamte wurden zudem vom Staatsdienst suspendiert – ein Teil derer, bei denen sich ein Verdacht nicht erhärtet habe, sei inzwischen wieder eingestellt worden.

Während die Verhaftungswellen in Ministerien und bei Staatsbetrieben in Europa mit Sorge zur Kenntnis genommen worden waren, führten Festnahmen bei der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet zu einer Welle der Empörung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einer „roten Linie“, die überschritten worden sei. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn brachte Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei ins Spiel; Österreichs Chefdiplomat Kurz verlangte einen Stopp der Verhandlungen über einen EU-Beitritt.


„Die Kanäle sind auf allen Ebenen offen“

Die EU-Kommission hatte in ihrem jährlichen Fortschrittsbericht zum Beitrittskandidaten Türkei einen Rückfall der Justiz und der Meinungsfreiheit kritisiert. Erdogan beschwerte sich über den Befund und brachte jüngst ein Referendum über den EU-Beitritt ins Spiel. Außenbeauftragte Mogherini setzte dennoch auf Dialog: „Die Kanäle sind auf allen Ebenen offen“, sagte Mogherini am Montagabend.

Neben der Thematik, ob die Türkei einmal Mitglied im europäischen Staatenblock sein wird, ist die EU mit der Türkei in einem anderen Punkt bereits längst verwoben. In der Flüchtlingskrise hat die Türkei zugesichert, Schutzsuchende, die über die Türkei nach Europa wollen, an der Weiterreise zu hindern. Dafür erhalten unter anderem staatliche und private Hilfsorganisationen, die in dem Land aktiv sind, Milliarden.

Doch die Bande, die hier geknüpft worden sind, gleichen eher einem seidenen Faden. Kanzlerin Merkel und der ehemalige türkische Regierungschef Davutoglu hatten den Flöchtlingspakt im Oktober vergangenen Jahres ausgearbeitet. Die Türkei erhielt damals neben dem Geld die Aussicht, dass ihre Bürger künftig visafrei in die Union reisen können. Brüssel besteht hierfür jedoch darauf, dass Ankara seine Anti-Terror-Gesetze abmildert - was angesichts beinahe täglicher Anschläge verschiedener Gruppen in dem Land von vorneherein unwahrscheinlich gewesen ist.

Es ist zwar bereits Geld geflossen, die Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute sind rapide gesunken – doch gilt immer noch eine Visumspflicht für Türken im europäischen Schengenraum. Erdogan kündigte an, bis Ende des Jahres abzuwarten, ob die Visaschranke fällt, und droht damit, ansonsten den Flüchtlingspakt fallenzulassen.

Die EU ist allerdings uneins, was den richtigen Umgang mit der Türkei angeht. Neben Österreich wirbt auch Belgien dafür, über die Beziehung „mit so einem Land“ nachzudenken, sagte Brüssels Außenminister Didier Reynders. Er empfahl nach Angaben von Diplomaten, die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen bereits bewilligten Mittel für die Türkei umzuwidmen. Der luxemburgische Außenminister Asselborn hält einen Abbruch der Beitrittsgespräche für einen schweren Fehler, mit der Begründung: „Ich glaube, dass in der Türkei viele Menschen uns in der EU sehen, um einmal aus diesem Loch herauszukommen“, sagte Asselborn.

Stattdessen warnte der britische Außenminister Boris Johnson, die Türkei nun in eine Ecke zu stellen. „Wir sollten nicht in einer Art und Weise überreagieren, die gegen unser gemeinsames Interesse ist“, sagte Johnson am Montagabend in Brüssel.

Und so muss Steinmeier eine Dienstreise übernehmen, die eigentlich zu den Aufgaben der EU-Funktionäre in Brüssel gehört. Der deutsche Chefdiplomat muss einerseits die Wogen glätten und andererseits die Türken animieren, mit Europa zusammenzuarbeiten. Er hat dabei viel zu verlieren: Macht er Ankara große Zugeständnisse, wird man ihm in Berlin und der EU vorwerfen, vor Erdogan eingeknickt zu sein. Beharrt er darauf, das harte Vorgehen gegen Oppositionelle zu unterlassen, dürfte der Flüchtlingspakt zwischen Europa und der Türkei bald Geschichte sein. Das würde vor allem bedeuten: mehr Schutzsuchende, die Orban & Co. zum Wahnsinn treiben; oder deren Flucht auf dem Massengrab Mittelmeer abermals für entgeisterte Gesichter in Brüssel sorgen würde.


„In diesen schwierigen Zeiten“

Dass Steinmeier just seit gestern für das höchste Amt der Bundesrepublik offiziell im Rennen ist, dürfte den Besuch in Ankara nur noch komplizierter machen. Verbale Ausbrüche wie der des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn, die Zustände in der Türkei erinnerten an die Anfänge der Nazi-Diktatur, sind Gift für Steinmeiers heikle Mission – mögen die Zustände in dem Land noch so viel Anlass zur Sorge bieten.

Die Türkei dürfte indes in der Außenpolitik künftig vermehrt auf Alleingänge setzen. In regierungsnahen Medien des Landes wird seit längerem eine außenpolitische Doktrin diskutiert, die auf unilaterale militärische und sicherheitsrelevante Aktionen setzt. Absprachen mit der Nato und anderen Bündnissen – etwa der EU – haben demnach keine Priorität mehr. Der alleinige Vorstoß türkischer Soldaten in Nordsyrien und dem Nordirak zeigt das bereits.

Verabredet ist Steinmeier mit seinem aktuellen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Der hatte der Bundesregierung vergangene Woche vorgeworfen, Terroristen zu beherbergen. Steinmeier ging auf die Vorwürfe nicht direkt ein. Der Bild-Zeitung vom Dienstag sagte Steinmeier, gerade „in diesen schwierigen Zeiten“ könne auf Dialog nicht verzichtet werden. Der künftige Bundespräsident hatte bereits im Vorfeld angekündigt, auch Politiker der Opposition zu treffen, möglicherweise darüber hinaus Vertreter der Zivilgesellschaft. Ob die türkische diese Ankündigung reagieren als Affront verstehen wird, steht bislang aus.

Immerhin wagt sich Steinmeier ins diplomatische Getümmel. Der letzte Spitzenpolitiker der EU, der in die Türkei reiste, war Ratspräsident Donald Tusk. Er besuchte im Februar gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel die Grenzstadt Kilis, die inzwischen mehr syrische Flüchtlinge als türkische Einwohner beherbergt. Das war noch vor dem Putschversuch – und gut 800 Kilometer von Ankara entfernt.

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