Türkei und Israel Machtverschiebungen in Nahost?

Allianzen statt Isolation: Der türkische Präsident beendet die Eiszeit mit der Türkei. Außerdem will er enger mit Katar und Saudi-Arabien kooperieren. Erdogans neuer Kurs hat mit dem Iran und der Terrormiliz IS zu tun.

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Erdogan bei einem Truppenbesuch im türkischen Mardin: Der Präsident sucht neue Allianzen in Nahost. Quelle: AFP

Moskau/Tel Aviv/Athen Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigt sich kooperativ. Nachdem er sein Land in den vergangenen Jahren mit einer konfrontativen Außenpolitik international immer weiter isolierte, geht Erdogan nun auf einige Nachbarn zu. Auch gegenüber Berlin bemüht sich die türkische Regierung offenbar um Deeskalation.

Im Nahen Osten bahnen sich neue Machtkonstellationen an. Israel und die die Türkei wollen ihre bilateralen Beziehungen normalisieren. Gleichzeitig kooperiert Ankara eng mit Katar und Saudi-Arabien. In der neuen Konstellation könnte auch Ägypten seinen Platz finden, da Saudi-Arabiens Diplomatie auf eine ägyptisch-türkische Versöhnung hinarbeitet. Laut israelischen Quellen sollen sich die USA zudem für eine Zypernlösung einsetzen, um die griechisch-türkischen Spannungen zu entschärfen. Zudem bahne sich eine Versöhnung zwischen der Türkei und Russland an. Damit entschärft die Türkei jetzt zwei große außenpolitische Konflikte.

Auch im Verhältnis zu Deutschland ist Ankara nach den scharfen Angriffen der jüngsten Zeit jetzt um Mäßigung bemüht: Nachdem die Türkei wegen des Streits um die Armenier-Resolution des Deutschen Bundestages noch vergangene Woche dem deutschen Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe und einer Abgeordnetendelegation einen Besuch bei Bundeswehrsoldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik verweigerte, erteilte Ministerpräsident Binali Yildirim jetzt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Besuchsgenehmigung für Incirlik.

Hinter den regionalen Verständigungsbemühungen im Nahen Osten steckt die Befürchtung, der Iran könnte seine regionale Vormachtstellung ausbauen. Neue Allianzen sollen zudem helfen, die Terrormilizen des IS zu bändigen, die in den vergangenen Monaten in der Türkei eine Reihe schwerer Anschläge verübt hatten.

Nach langen Geheimverhandlungen unterzeichneten die Türkei und Israel am Dienstag ein Versöhnungsabkommen. Es beendet eine sechsjährige Eiszeit zwischen beiden Ländern. Israel und die Türkei waren in den 1990er Jahren Verbündete und arbeiteten militärisch eng zusammen, auch bei der Bekämpfung des Terrorismus. Seit dem Regierungsantritt Erdogans 2003 hat sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern aber immer weiter verschlechtert.

Einen Tiefpunkt erreichten die Beziehungen Ende Mai 2010 nach dem Angriff eines israelischen Spezialkommandos auf das türkische Schiff „Mavi Marmara“, das die israelische Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen wollte. Bei der Erstürmung des Schiffes durch die israelischen Soldaten wurden neun Türken getötet. Der Zwischenfall führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen.


Befreiungsschlag aus der regionalen Isolation

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu lobte jetzt das türkisch-israelische Abkommen als ersten strategischen Schritt, um eine Insel der Stabilität im turbulenten Nahen Osten zu realisieren. Er erhofft sich davon eine Stärkung der israelischen Position in der Region. Weitere „Stabilitätspunkte“ seien mit Griechenland, Zypern und Russland vorgesehen, so Netanjahu.

Die Vorteile des Abkommens sind auch für Ankara evident. Die Türkei sieht die Normalisierung der Beziehungen zu Israel als Befreiungsschlag aus der regionalen Isolation. Die Verhältnisse zu Ägypten, Syrien, Russland und zum Iran sind gestört. Bei der bilateralen Annäherung spielt auch die Energiepolitik eine Rolle. Israel verfügt über Erdgasreserven, und die Türkei könnte mit israelischem Gas ihre Abhängigkeit vom Kreml-Konzern Gazprom reduzieren. Zudem könnte die Türkei als Transitland für israelische Gaslieferungen nach Europa ihre Rolle als Energiekorridor stärken.

Das türkisch-israelische Abkommen wurde möglich, nachdem die Türkei auf ihre ursprüngliche Forderung verzichtet hatte, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufheben müsse. Jerusalems Kompromissvorschlag sieht vor, dass die Türkei humanitäre Hilfsgüter und andere nichtmilitärische Waren nach Gaza schicken und dabei den israelischen Hafen Aschdod benützen kann. Dort sollen die Lieferungen auf ihre Unbedenklichkeit überprüft und danach nach Gaza weiter transportiert werden.

Zudem will die Türkei im Gazastreifen in die Infrastruktur investieren und ein Krankenhaus fertig bauen. Auch will Ankara in Gaza die Energie- und Wasserkrise angehen. Das türkische Engagement in Gaza könnte die Spannungen im belagerten Küstenstreifen abbauen. Jerusalem erhält mit Ankara zudem einen neuen Vermittler für den Fall, dass ein militärischer Schlagabtausch droht.

Das Tauwetter in der türkisch-israelischen Eiszeit hatte sich bereits im März 2013 abgezeichnet, als Israels Ministerpräsident Netanjahu telefonisch Erdogan sein Bedauern über den Tod der türkischen Aktivisten aussprach. Damit erfüllte Netanjahu eine zentrale Bedingung der Türkei. Jetzt will Jerusalem rund 20 Millionen Dollar an einen Fonds überweisen, die den Verletzten und Hinterbliebenen der Mavi Marmara-Opfer zugute kommen sollen. Damit kommt Jerusalem einer weiteren Forderung Ankaras nach. Die Türkei nimmt im Gegenzug Abstand von allen Verfahren gegen Israels Streitkräfte und Offiziere an nationalen und internationalen Gerichten.


Entspannung zwischen Moskau und Ankara

Auch in den schwer gestörten Beziehungen zwischen Moskau und Ankara zeichnet sich eine Normalisierung ab. Seit die türkische Luftwaffe im November einen russischen Kampfjet im syrischen Grenzgebiet abgeschossen hatte, herrschte Funkstille zwischen beiden Regierungen. Der Kreml reagierte mit Wirtschaftssanktionen, die vor allem zu einem Rückgang der Zahl russischer Touristen in der Türkei um mehr als 90 Prozent führten.

Im Kreml weiß man um die mächtige Wirkung von Sanktionen. In der Auseinandersetzung mit Ankara registriert man sie nun mit Genugtuung. Nach monatelangem Schweigen hat sich der türkische Präsident Erdogan vergangene Woche doch noch dazu durchgerungen, gegenüber Wladimir Putin schriftlich „Bedauern und Trauer“ über den Abschuss und den Tod eines der Piloten zu äußern.

An diesem Mittwoch wollen die beiden Staatschefs diese Woche erstmals seit dem Zwischenfall, den Putin seinerzeit als „Messerstich in den Rücken“ geißelte, wieder miteinander telefonieren. Das Telefonat finde auf russische Initiative statt, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Man dürfe aber nicht erwarten, dass die Angelegenheit nach der Entschuldigung der Türkei für den Abschuss innerhalb von Tagen aus der Welt sei, sagte Peskow. Während Erdogan nun auf eine schnelle Verbesserung der Beziehungen hofft, ist Moskau noch nicht völlig zufrieden gestellt. Man erwartet weitere Zugeständnisse Ankaras, so eine Bestrafung des Verantwortlichen für den Tod des russischen Piloten, der am Fallschirm hängend erschossen wurde – ein Kriegsverbrechen.

Unklar ist, inwieweit die Türkei den russischen Forderungen nach Schadenersatz nachkommen wird. Für Verwirrung sorgte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim mit widersprüchlichen Äußerungen. Nachdem er am Montagabend im Staatsfernsehen TRT erklärt hatte, die Türkei sei bereit, „falls erforderlich“ eine Entschädigung für den Abschuss an Russland zu zahlen, ruderte Yildirim am Dienstag zurück – offenbar nach einer Intervention Erdogans: Eine Entschädigung komme „nicht infrage“, zitierte der Sender CNN Türk den Premier.

Zudem erhebt Russland politische Forderungen. Eine „verspätete Entschuldigung“ reiche sicher nicht aus, um den Konflikt beizulegen, verdeutlichte der Vizeduma-Chef Sergej Schelesnjak die Stimmung in Moskau. „Die Türkei muss mit der Gewalt gegen das kurdische Volk aufhören, seinen Verzicht auf eine Kooperation mit den Terroristen demonstrieren und seine destruktive Haltung im Nahostkonflikt aufgeben“, forderte er. Nur so könne Ankara beweisen, dass es seine Politik wirklich überdenke.

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