Türkei-Wahl Erdoğan gewinnt türkische Präsidentenwahl

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Ziel: Mit 52,5 Prozent wurde er am Sonntag offiziellen Angaben zufolge bereits im ersten Wahlgang im Amt bestätigt. Quelle: REUTERS

Die Auszählung der Stimmen in der Türkei ist noch nicht beendet, da erklärt sich Präsident Erdoğans zum Sieger. Kurz darauf folgt ihm die Wahlkommission. Anleger hoffen auf politische Stabilität in der Türkei.

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Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die von Manipulationsvorwürfen der Opposition überschattete Präsidentenwahl in der Türkei nach Angaben der Wahlkommission in der ersten Runde gewonnen. Er wird damit künftig Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Das von Erdogans AKP angeführte Parteienbündnis errang der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge bei der Parlamentswahl am Sonntag außerdem die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung.

„Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Herr Recep Tayyip Erdoğan die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten hat“, sagte Kommissionschef Sadi Güven nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zum Montag in Ankara. Rund 97,7 Prozent der Stimmen seien in das System der Kommission eingegeben worden. „Die Zahl der Stimmen, die noch nicht vom System erfasst wurden, werden das Ergebnis nicht beeinflussen.“ Am Montagvormittag erkannte dann auch der Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP Erdogans Sieg bei den Wahlen in der Türkei an: „Ich erkenne die Wahlergebnisse an“, sagte der unterlegene CHP-Kandidat Muharrem Ince in Ankara.

An Istanbuls Börse hat der Wahlsieg Erdogans begeistert: Die Landeswährung Lira erhielt am Montag Auftrieb und die Anleihekurse legten zu. An der Börse sprang der Leitindex ISE 100 in einer ersten Reaktion um bis zu 3,7 Prozent nach oben, bevor er etwas zurückkam und zuletzt noch rund 2 Prozent gewann. Damit erreichte der ISE 100 wieder das Niveau von Anfang Juni. Wegen der politischen Unsicherheit vor der Wahl steht aber seit Jahresbeginn gerechnet immer noch ein Minus von rund 15 Prozent zu Buche. Zu Wochenbeginn nun lagen fast alle im ISE 100 notierten Aktien im Plus. Unter den Gewinnern zogen zum Beispiel die Papiere von Turkish Airlines um gut 7 Prozent an. Die türkische Lira legte am Vormittag zum amerikanischen Dollar und zum Euro um jeweils zwei Prozent zu. In der Türkei stünden die Zeichen nun auf Kontinuität, schrieb Analyst Murat Toprak von der Bank HSBC. Das Parlament und der Präsident könnten jetzt abgestimmt agieren und in den kommenden Monaten eine auf Dauerhaftigkeit angelegte Politik betreiben.

Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdoğan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Die Opposition hatte für den Fall eines Erdogan-Sieges vor einer „Ein-Mann-Herrschaft“ gewarnt. Erdoğan sagte bei seiner Siegesrede am frühen Montagmorgen in Ankara, es habe sich um Wahlen gehandelt, „die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden“. Der bisherige und künftige Präsident sagte auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers vor jubelnden Anhängern: „Meine Brüder, die Sieger dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich. Der Sieger dieser Wahl ist jeder einzelne unserer 81 Millionen Bürger.“
Erdoğan selber hatte sich schon zum Sieger der Wahl erklärt, als die Auszählung der Stimmen noch lief. „Die inoffiziellen Ergebnisse stehen fest“, sagte er am Sonntagabend in Istanbul. „Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben.“ Bei der Parlamentswahl hätten die Wähler außerdem dem von seiner AKP geführten Parteienbündnis die absolute Mehrheit im Parlament verschafft.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl komme Erdoğan auf 52,55 Prozent. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, landete demnach mit 30,67 Prozent auf Platz zwei. Auch die „Plattform für faire Wahlen“ aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdoğan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent. Ince kam dort auf 31,34 Prozent. Ince wollte sich erst am Montagmittag zum Ausgang der Wahl äußern. Die CHP rief ihre Anhänger dazu auf, Ruhe zu bewahren. Wie auch immer das Endergebnis ausfalle, das Volk solle sich „nicht provozieren lassen“, sagte CHP-Sprecher Bülent Tezcan. Die CHP werde die Situation beobachten, bis die Wahlkommission sich geäußert habe. Die Opposition hatte bei der Stimmenauszählung Manipulationsvorwürfe erhoben. Vereinzelt kam es zu Protesten von Anhängern der Opposition.

Zahlen und Fakten zur Türkei

Bei der Parlamentswahl kommt das von Erdogans AKP geführte Parteienbündnis nach Anadolu-Angaben auf deutlich mehr als 340 der 600 Sitze. Anadolu zufolge lag die Wahlbeteiligung in der Türkei bei gut 88 Prozent. Wahlbeobachter meldeten Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag. Erdoğan sprach dagegen von einem „Fest der Demokratie“. Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen, mehr als drei Millionen davon leben im Ausland. Bei der Wahl in Deutschland erzielte Erdoğan ein deutlich besseres Ergebnis als zu Hause. Nach Auszählung von 78,6 Prozent der Stimmen in Deutschland lag er mit 65,7 Prozent weit vor Ince mit 21,5 Prozent. Erdoğan hatte auch schon bei früheren Abstimmungen deutlich mehr Rückhalt bei den Türken in Deutschland als bei denen zu Hause. Bei der Parlamentswahl im November 2015 kam seine AKP in Deutschland auf 59,7 Prozent. Beim Referendum über Erdogans Verfassungsreform stimmten 63,1 Prozent mit Ja. Das oppositionelle Lager der Reformgegner kam in Deutschland damals nur auf 36,9 Prozent.

Die Einführung des Präsidialsystems ist Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen und wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Das hatte Erdoğan dann im Wahlkampf für den Fall seiner Wiederwahl auch zugesagt.

Bei der Präsidentenwahl lagen der inhaftierte Kandidat der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, und Meral Aksener von der national-konservativen Iyi-Partei mit gut acht beziehungsweise gut sieben Prozent in etwa gleichauf. Zwei weitere Kandidaten spielten keine Rolle.

Ince hatte vor Schließung der Wahllokale auf Twitter geschrieben: „Was sie auch tun, sie werden verlieren. Die Zeiten, in denen mit Betrug und Schwindeleien Wahlen gewonnen wurden, sind nun vorbei. (...) Ich werde Eure Stimmen mit meinem Leben verteidigen, wir werden es schaffen.“ Erdoğan unterstrich nach der Abgabe seiner Stimme in Istanbul die Bedeutung der Wahlen. „Im Moment durchlebt die Türkei mit dieser Wahl regelrecht eine demokratische Revolution“, sagte er. Drei Deutsche, die auf Einladung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP die Wahl beobachten wollten, wurden bei der Wahl festgenommen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die beiden Männer aus Köln und die Frau aus Halle in Sachsen-Anhalt in Uludere in der südosttürkischen Provinz Sirnak von der Polizei festgenommen. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte die Festnahme.

Wahlbeobachter meldeten besonders aus dem Südosten der Türkei Unregelmäßigkeiten. Bei Auseinandersetzungen während der Wahlen wurde ein Oppositionspolitiker getötet. Dabei handele es sich um den Bezirksvorsteher der national-konservativen Iyi-Partei in der osttürkischen Provinz Erzurum, wie die Oppositionspartei mitteilte. Die Nachrichtenagentur DHA sprach von einer weiteren getöteten Person. Es habe sich um eine Fehde zwischen zwei Familien gehandelt.

Fünf turbulente Jahre
2013: Im Mai beginnen die Gezi-Proteste, die sich bald fast auf das ganze Land ausdehnen. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht sich wegen seines zunehmend autoritären Führungsstils mit Forderungen aus dem Volk konfrontiert, dass er abdanken soll. Er reagiert mit Härte. Die Polizei knüppelt die Proteste nieder, die dennoch über Monate andauern. Im Herbst kommt es zum offenen Bruch zwischen Erdogan und seinem früheren Verbündeten, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen. Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung und Menschen aus Erdogans Umkreis führen im Dezember zum Rücktritt mehrerer Minister. Erdogan sieht dahinter die Gülen-Bewegung, die nach seiner Überzeugung das Ziel verfolgt, ihn zu stürzen. Quelle: dpa
2014: Erdogan kann nach den Statuten seiner AKP nicht ein weiteres Mal als Ministerpräsident antreten. Er kandidiert stattdessen als Staatspräsident und wird im August im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vom Volk gewählt. Erdogans Ziel ist der Umbau der Türkei von einem parlamentarischen hin zu einem Präsidialsystem, bei dem der Präsident zugleich Regierungschef ist und deutlich mehr Macht hat. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft. Quelle: dpa
2015: Bei der Parlamentswahl im Juni verliert die AKP die absolute Mehrheit. Nach dem Scheitern der Versuche, eine Koalition zu bilden, ruft Erdogan für November Neuwahlen aus. Im Juli kommt es zu einem schweren Anschlag auf ein kurdisches Kulturzentrum im südtürkischen Suruc. Daraufhin werden zwei Polizisten getötet. Die PKK bekennt sich zunächst zu der Tat, zieht dieses Bekenntnis dann aber wieder zurück. Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für beendet, der Kurdenkonflikt eskaliert wieder. In manchen mehrheitlich kurdischen Städten in der Südosttürkei kommt es in den Folgemonaten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Im Oktober kommen bei einem Anschlag auf eine pro-kurdische Friedensdemonstration in Ankara mehr als 100 Menschen ums Leben. Sowohl dieser Anschlag als auch der in Suruc werden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugeschrieben. Bei der Neuwahl des Parlaments im November gewinnt die AKP wieder die absolute Mehrheit. Im selben Monat schießt die Türkei einen russischen Kampfjet ab, eine monatelange Krise mit Moskau ist die Folge. Quelle: REUTERS
2016: Der Terror in der Türkei eskaliert: Im Januar sterben bei einem Anschlag auf eine Touristengruppe in Istanbul zwölf Deutsche. Für diesen und weitere Anschläge in den Folgemonaten werden der IS verantwortlich gemacht. Der schwerste davon gilt dem Istanbuler Atatürk-Flughafen im Juni. Außerdem verübt die PKK-Splittergruppe TAK schwere Anschläge in Istanbul und Ankara. Im Juni löst die Völkermord-Resolution des Bundestags eine Krise zwischen Berlin und Ankara aus, die bis ins Folgejahr hinein eskaliert. Am 15. Juli kommt es zum Putschversuch in der Türkei, den die Regierung der Gülen-Bewegung zuschreibt. Der Versuch, Erdogan gewaltsam zu stürzen, scheitert. Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus. Zehntausende Menschen werden inhaftiert oder vom Staatsdienst suspendiert. Kritische Medien werden geschlossen. Quelle: dpa
2017: Im Februar wird der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel festgenommen, er wird ein Jahr lang hinter Gittern bleiben. Die Festnahmen weiterer Deutscher folgen in den nächsten Monaten. Deutschland verschärft die Reisehinweise für die Türkei. Im Mai beschließt die Bundesregierung, die deutschen Soldaten von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik abzuziehen. In Folge des Putschversuches treibt Erdogan die Einführung eines Präsidialsystems voran. Im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum im April überziehen Erdogan und Mitglieder seiner Regierung vor allem Deutschland mit Nazi-Vergleichen. Im Referendum stimmt eine knappe Mehrheit für die Verfassungsreform, die mit den für November 2019 geplanten Präsidenten- und Parlamentswahlen abgeschlossen werden soll. Die Opposition spricht von Wahlbetrug. Mit der Reform wird die Regelung gekippt, dass der Präsident keiner Partei angehören darf. Im Mai wird Erdogan wieder zum AKP-Chef gewählt. Quelle: dpa
2018: Im Januar marschieren türkische Bodentruppen in der nordsyrischen Region Afrin ein, um die Kurdenmiliz YPG zu vertreiben, die Ankara als Ableger der PKK einstuft. Kritiker vermuten dahinter ein Wahlkampfmanöver. Im April zieht Erdogan die für November 2019 geplanten Wahlen um fast eineinhalb Jahre vor. Im Frühjahr verliert die türkische Lira dramatisch an Wert, was Erdogan unter Druck setzt. Am 24. Juni werden das Parlament und der Präsident gewählt. Quelle: AP
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