Türkei-Wahl So turbulent waren die letzten fünf Jahre in der Türkei

In der Türkei herrscht Unruhe – laut der Regierung soll sich das nach den Wahlen wieder ändern. So verliefen die letzten fünf Jahre in dem Land.

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Türkei-Wahl: Das Präsidialsystem in der Türkei Quelle: dpa

Istanbul In der Türkei werden an diesem Sonntag Präsident und Parlament vorzeitig gewählt, die Regierung verspricht danach Stabilität. Daran mangelte es dem Land – das einst als Anker im unruhigen Nahen Osten galt – in der jüngeren Vergangenheit ganz erheblich. Hinter der Türkei liegen fünf turbulente Jahre, in denen das Land häufiger in seinen Grundfesten erschüttert wurde:

2013: Im Mai beginnen die Gezi-Proteste, die sich bald fast auf das ganze Land ausdehnen. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht sich wegen seines zunehmend autoritären Führungsstils mit Forderungen aus dem Volk konfrontiert, dass er abdanken soll. Er reagiert mit Härte. Die Polizei knüppelt die Proteste nieder, die dennoch über Monate andauern.

Im Herbst kommt es zum offenen Bruch zwischen Erdogan und seinem früheren Verbündeten, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen. Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung und Menschen aus Erdogans Umkreis führen im Dezember zum Rücktritt mehrerer Minister. Erdogan sieht dahinter die Gülen-Bewegung, die nach seiner Überzeugung das Ziel verfolgt, ihn zu stürzen.

2014: Erdogan kann nach den Statuten seiner AKP nicht ein weiteres Mal als Ministerpräsident antreten. Er kandidiert stattdessen als Staatspräsident und wird im August im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vom Volk gewählt. Erdogans Ziel ist der Umbau der Türkei von einem parlamentarischen hin zu einem Präsidialsystem, bei dem der Präsident zugleich Regierungschef ist und deutlich mehr Macht hat. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft.

2015: Bei der Parlamentswahl im Juni verliert die AKP die absolute Mehrheit. Nach dem Scheitern der Versuche, eine Koalition zu bilden, ruft Erdogan für November Neuwahlen aus. Im Juli kommt es zu einem schweren Anschlag auf ein kurdisches Kulturzentrum im südtürkischen Suruc. Daraufhin werden zwei Polizisten getötet. Die PKK bekennt sich zunächst zu der Tat, zieht dieses Bekenntnis dann aber wieder zurück. Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für beendet, der Kurdenkonflikt eskaliert wieder. In manchen mehrheitlich kurdischen Städten in der Südosttürkei kommt es in den Folgemonaten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Im Oktober kommen bei einem Anschlag auf eine pro-kurdische Friedensdemonstration in Ankara mehr als 100 Menschen ums Leben. Sowohl dieser Anschlag als auch der in Suruc werden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugeschrieben. Bei der Neuwahl des Parlaments im November gewinnt die AKP wieder die absolute Mehrheit. Im selben Monat schießt die Türkei einen russischen Kampfjet ab, eine monatelange Krise mit Moskau ist die Folge.

2016: Der Terror in der Türkei eskaliert: Im Januar sterben bei einem Anschlag auf eine Touristengruppe in Istanbul zwölf Deutsche. Für diesen und weitere Anschläge in den Folgemonaten werden der IS verantwortlich gemacht. Der schwerste davon gilt dem Istanbuler Atatürk-Flughafen im Juni. Außerdem verübt die PKK-Splittergruppe TAK schwere Anschläge in Istanbul und Ankara.

Im Juni löst die Völkermord-Resolution des Bundestags eine Krise zwischen Berlin und Ankara aus, die bis ins Folgejahr hinein eskaliert. Am 15. Juli kommt es zum Putschversuch in der Türkei, den die Regierung der Gülen-Bewegung zuschreibt. Der Versuch, Erdogan gewaltsam zu stürzen, scheitert. Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus. Zehntausende Menschen werden inhaftiert oder vom Staatsdienst suspendiert. Kritische Medien werden geschlossen.

2017: Im Februar wird der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel festgenommen, er wird ein Jahr lang hinter Gittern bleiben. Die Festnahmen weiterer Deutscher folgen in den nächsten Monaten. Deutschland verschärft die Reisehinweise für die Türkei. Im Mai beschließt die Bundesregierung, die deutschen Soldaten von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik abzuziehen.

In Folge des Putschversuches treibt Erdogan die Einführung eines Präsidialsystems voran. Im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum im April überziehen Erdogan und Mitglieder seiner Regierung vor allem Deutschland mit Nazi-Vergleichen. Im Referendum stimmt eine knappe Mehrheit für die Verfassungsreform, die mit den für November 2019 geplanten Präsidenten- und Parlamentswahlen abgeschlossen werden soll. Die Opposition spricht von Wahlbetrug. Mit der Reform wird die Regelung gekippt, dass der Präsident keiner Partei angehören darf. Im Mai wird Erdogan wieder zum AKP-Chef gewählt.

2018: Im Januar marschieren türkische Bodentruppen in der nordsyrischen Region Afrin ein, um die Kurdenmiliz YPG zu vertreiben, die Ankara als Ableger der PKK einstuft. Kritiker vermuten dahinter ein Wahlkampfmanöver. Im April zieht Erdogan die für November 2019 geplanten Wahlen um fast eineinhalb Jahre vor. Im Frühjahr verliert die türkische Lira dramatisch an Wert, was Erdogan unter Druck setzt. Am 24. Juni werden das Parlament und der Präsident gewählt.

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