Türkei Wie der Terror der Freiheitsfalken der PKK schadet

Die „Freiheitsfalken“ haben sich dieses Jahr bereits zu fünf Anschlägen bekannt. Damit schaden sie der PKK in ihrer Rolle als Friedensmaklerin. Es ist Zeit für die Rebellengruppe, Abstand zu nehmen. Ein Gastkommentar.

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Gerade einmal eine Woche ist es her, dass Terroristen der TAK, einer Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, in Istanbul zugeschlagen haben. Quelle: AFP

Mit den jüngsten Anschlägen in Istanbul ist eine kurdische Terrorgruppe in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, die international bisher wenig Beachtung gefunden hat. Dabei war es schon das fünfte Mal innerhalb eines Jahres, dass die kurdische Terrororganisation „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) gezielt Anschläge in den westtürkischen Großstädten Ankara und Istanbul verübte; seit Sommer 2005 kommt sie auf über ein Dutzend Terrorakte. Damit reagierte sie jeweils auf die Erhöhung des militärischen Drucks auf die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den Kurdengebieten durch die Türkei.

So wurde der erste Anschlag am 17. Juli 2005 auf einen Touristenbus in Aydin verübt, nachdem das türkische Militär im Frühling desselben Jahres intensive Militäroperationen im Südosten des Landes durchgeführt hatte. Zwischen 2010 und 2015 setzte die TAK ihre Anschläge aus; die »Freiheitsfalken« wollten die Annäherung und den Friedensprozess zwischen AKP-Regierung und PKK nicht gefährden. Erst nach dessen Scheitern im Sommer 2015 und den sich anschließenden militärischen Großoffensiven gegen die PKK in Cizre, Silopi und anderen Städten Südanatoliens begab sich die TAK wieder auf den Pfad der Gewalt, zunächst mit einem Anschlag auf den Istanbuler Flughafen Sabiha Gökcen am 23. Dezember 2015. Auch die Anschläge vom 10. Dezember lassen sich als Reaktion auf die türkischen Militäraktionen gegen die PKK und die Repressionen gegen kurdische Journalisten, Wissenschaftler und Politiker im Herbst 2016 verstehen.

Die TAK ist eine urbane Jugendorganisation, die vor allem abgehängte und ideologisch leicht beeinflussbare kurdische Jugendliche in den Städten des Südostens anspricht, deren Idol Abdullah Öcalan ist. Das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder liegt bei rund 25 Jahren; keiner ihrer Selbstmordattentäter war älter als 30 Jahre. Die Organisation wurde 1999 in Reaktion auf die Festnahme Abdullah Öcalans gegründet. Der militärische Arm der PKK hatte damit einen radikalen und eigenständigen Stadtableger geschaffen, um das bis dahin vor allem auf den ländlichen Raum konzentrierte Netzwerk zu erweitern und für junge Städter attraktiv zu machen.

Die TAK sollte im urbanen Umfeld eigenständig gegen türkische Sicherheitskräfte operieren können, ohne den einseitigen Waffenstillstand, den die PKK 1999 nach Öcalans Festnahme ausgerufen hatte, zu gefährden. In diesem Sinne verzichtete die PKK-Führung von Beginn an bewusst auf offizielle Verbindungen zur TAK. Im Vertrauen darauf, dass die jungen Aktivisten der ideologischen und operativen Linie der Mutterorganisation getreu handeln würden, gewährten sie ihnen eine völlige Initiativ- und Operationsfreiheit, die bis heute gilt. 2004 spaltete die TAK sich zwar offiziell von der PKK ab, weil sie deren pazifistisch geprägtes Manifest aus dem gleichen Jahr nicht mittragen wollte. Die Verbindungen zur PKK sind aber so eng geblieben, dass man nicht von einer eigenständigen Organisation sprechen kann.

Ihr paramilitärisches Training erhalten die TAK-Kämpfer in den kurdischen Kantonen Nordsyriens, von denen Kobane das bekannteste ist. Diese stehen unter der Kontrolle der YPG, dem syrischen Arm der PKK. Zahlreiche der TAK-Attentäter der vergangenen Monate haben sich bis zu zwei Jahre lang in YPG-Camps ausbilden lassen und in den Reihen der nordsyrischen Kurden gekämpft. Das unmittelbare Erleben türkischer Militäraktionen war ein wichtiger Katalysator, der sie die Gewalt in die westtürkischen Metropolen zurücktragen ließ.

Die TAK ist zwar die radikalste, aber nicht die einzige unabhängige Jugendorganisation im Umfeld der PKK. Die Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) ist eine weitere bewaffnete Splittergruppe, die hauptsächlich in den kurdischen Städten im Südosten operiert und ebenfalls keine offiziellen Verbindungen zur PKK unterhält. Für die Arbeiterpartei haben diese verdeckten Ableger verschiedene Vorteile. Sie sind attraktiv für jene jungen frustrierten Kurden, denen die offizielle Linie der PKK zu friedlich ist und für die Gewalt gegen die als Besatzer empfundenen Türken die brauchbarste Option ist. Insbesondere die Jahre 2004 bis 2012 waren immer wieder von Hochphasen der Gewalt geprägt, in denen PKK und türkische Sicherheitskräfte gleichermaßen brutal gegeneinander vorgingen. Da die PKK sich aber gleichzeitig immer wieder bemühte, die Spirale der Gewalt mit Waffenstillstandsangeboten zu durchbrechen, war es durchaus in ihrem Sinne, sich öffentlich nicht zur Gewalt ihrer Splittergruppen bekennen zu müssen.

Im November 2015 äußerte der operative PKK-Chef Cemil Bayik die Befürchtung, dass seine Generation die letzte sein würde, mit der die AKP-Regierung einen Frieden verhandeln könne. Das war zum einen als berechtigte Sorge um den Frieden und als ehrliches Angebot an die türkische Seite zu verstehen. Gleichzeitig war es aber auch eine Drohung, dass die Jugend verstärkt zu den Waffen greifen könnte. Und so fasste die TAK dieses Signal von Bayik, der die Gründung der TAK einst aktiv unterstützt hatte, denn auch als Ermutigung zu weiterer Gewalt auf.

Mit ihrer Doppelstrategie aus offizieller Verhandlungsbereitschaft auf der einen und inoffizieller Gewalteskalation in den Großstädten im Westen der Türkei auf der anderen Seite aber wird die PKK die Regierungsseite nicht zurück an den Verhandlungstisch bringen können. Mit den Terrorakten in Istanbul und Ankara ist die Gewalt durch kurdische Akteure zu sehr in den Fokus internationaler Medien und Öffentlichkeit gerückt, als dass die PKK noch als glaubwürdige Maklerin für den Frieden gelten könnte.

So schwer es ihr angesichts zunehmender türkischer Repressionen auch fallen mag: Die Arbeiterpartei täte gut daran, auf den Weg der Gewaltlosigkeit zurückkehren. Im Moment müsste sie dies wohl einseitig tun, wie sie es in ihrer Geschichte schon häufiger getan hat. Hierzu muss sie sich vorbehaltlos und nachdrücklich von den »Freiheitsfalken« distanzieren und mit diesen brechen. Dieser Kraftakt wird wiederum nur möglich sein, wenn die Funktionäre in den beiden PKK-Zentren in den Kandilbergen Nordiraks und in den Kantonen Nordsyriens es schaffen, sich auf eine geschlossene Strategie des Gewaltverzichts auf türkischem Boden zu verständigen. Denn machtpolitisch profitiert von der kurdischen Gewalteskalation nur einer: Recep Tayyib Erdogan.

Rayk Hähnlein forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zum Kurdenkonflikt und zur Türkei. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik „Kurz gesagt“.

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