Türkei will Luftabwehrsystem kaufen Raketen von Moskau, eine Botschaft für Brüssel

Russland will der Türkei S-400-Luftabwehrraketen verkaufen. Ankara geht es dabei nicht nur um Selbstverteidigung, sondern auch um ein Signal an die Nato. Der Deal birgt massiven politischen Sprengstoff.

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Moskau Der Preis ist hoch: 500 Millionen Dollar will Russland für eine S-400 Division, das modernste russische Luftabwehrsystem, haben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur RBK, die sich auf eine Insiderquelle aus dem Kreml beruft, geht es derzeit um insgesamt vier Raketenkomplexe. Das entspräche einem Gesamtwert von zwei Milliarden Dollar. Die Verhandlungen befänden sich „im Endstadium“. Allerdings gibt es weder beim Preis, noch bei der Anzahl der S-400 bislang Einverständnis. „Die Türkei kann sich das nicht leisten, sie müsste einen Kredit bei Russland aufnehmen. Und so abhängig will Ankara von Moskau nicht werden“, sagte der Informant.

Das Thema militärisch-technische Zusammenarbeit wurde auch beim jüngsten Treffen zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in Sotschi besprochen und wie Kremlsprecher Dmitri Peskow anschließend bekannt gab, verlief das Gespräch „im positiven Sinne“. Beide Seiten seien an dem S-400-Geschäft interessiert, fügte er hinzu. Über die Details hüllen sich die Beteiligten in Schweigen.

Die Türkei kann das Waffensystem gut gebrauchen: Katjuschas der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) landen ab und an auch in türkischen Städten. Die von Ankara nach dem Abschuss eines Aufklärungsflugzeugs über Syrien 2013 von der Nato angeforderten Patriot-Raketen  wurden 2015 wieder abgezogen – damals verließen auch 250 Bundeswehrsoldaten die Türkei. Offiziell, weil sich die Bedrohungslage verändert hatte. Intern wurde aber auch kritisiert, dass die türkische Führung statt sich auf den gemeinsamen Kampf gegen den IS zu konzentrieren, lieber Jagd auf Kurden machte.

Die 2007 vom Rüstungskonzern Almas-Antei in Dienst gestellte S-400 hat eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern und kann neben Flugzeugen auch Marschflugkörper und ballistische Raketen bekämpfen. Das leistungsstarke Radarsystem kann Luftziele sogar bis zu 600 Kilometer weit orten. Damit wäre die türkische Grenze relativ leicht abzusichern.


Ein politisches Spiel

Doch Ankara muss nicht nur den finanziellen, sondern auch den politischen Preis eines solchen Geschäfts bedenken. Der Kauf stellt die Beschaffungsdisziplin der Nato in Frage. Allgemein kaufen die Mitglieder der Allianz ihre Waffen nur bei anderen Nato-Mitgliedern ein. So hat die Türkei selbst vor zwei Jahren noch auf den Kauf chinesischer Luftabwehrsysteme vom Typ HQ-9 (entspricht dem russischen S-300 System) für vier Milliarden Dollar verzichtet, nachdem die Nato darum gebeten hatte.

Der Kauf russischer S-400 würde die derzeit ohnehin angespannten Beziehungen zur Allianz weiter strapazieren. Der Leiter des Moskauer Zentrums für moderne Türkeiforschung Juri Mawaschew schätzt die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Vertragsabschlusses daher auch nur auf 30 Prozent ein. „Das ist der Versuch, von Nato und EU vorteilhaftere Beziehungen zu erfeilschen und geopolitische und geostrategische Wichtigkeit zu demonstrieren“, erklärte Mawaschew. Ähnlich argumentiert auch der Politologe Alexander Schumilin vom Nahost-Zentrum des Instituts für US- und Kanadaforschung: Er sieht in den Verhandlungen von türkischer Seite aus ein „politisches Spiel“, um der Nato zu demonstrieren, dass Ankara Alternativen habe.

Die Türkei pokert freilich hoch: Von Russland fordert sie beim Verkauf auch einen Technologietransfer und sogar die Gemeinschaftsproduktion einzelner Komponenten des Waffensystems. Zwar gibt es bereits bei anderen Waffengattungen solche Präzedenzfälle wie die gemeinsame Produktion von Kampfflugzeugen mit Indien, doch Moskau hat kein Interesse daran, seine Technologien mit der Türkei zu teilen. Bislang lehnt Russland die Forderung daher rundweg ab.

Andererseits ist sich der Kreml durchaus der politischen Tragweite des Geschäfts bewusst. Um die Nato zu schwächen, könnte Russland am Ende in einigen Punkten einlenken. Dann müsste Ankara entscheiden, ob es sich für den Waffendeal mit Moskau lohnt, die Beziehungen mit Brüssel endgültig zu ruinieren. Angesichts der ideologischen Entfremdung, die sich derzeit zwischen der Türkei und dem Westen vollzieht, ist in dem Fall die Wahl zugunsten des Nordatlantikpakts zweifelhaft.

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